Überall wo Menschen arbeiten, passieren Fehler – die Medizin macht da keine Ausnahme. Sichtbar wird dies bei der Präsentation der Behandlungsfehlerstatistik der Bundesärztekammer für das Jahr 2015. Allerdings: Bei fast 700 Millionen Behandlungsfällen im ambulanten Bereich nimmt sich die Fehlerstatistik mit 12.000 vermuteten Arzthaftungsfällen im abgelaufenen Jahr geradezu winzig aus. Und bei den niedergelassenen Ärzten sieht es noch etwas besser aus. Womöglich gibt es dafür aber auch eine einfache Erklärung: den zunehmenden Hausärztemangel.

Arztfehler sind nicht mit Pfusch gleichzusetzen, wehrte sich Dr. Andreas Crusius, Vorsitzender der Ständigen Konferenz der Gutachterkommissionen und Schlichtungsstellen der Bundesärztekammer, bei der Vorstellung der Behandlungsfehlerstatistik für das Jahr 2015 in Berlin gegen Pauschalvorwürfe: "Fehler können viele Ursachen haben. Pfusch dagegen beinhaltet immer eine gewisse Gleichgültigkeit gegenüber den Auswirkungen des eigenen Handelns."

Ein Grund für ärztliche Fehlleistungen sei der stetig wachsende Behandlungsdruck in Kliniken und Praxen. So hat sich die Zahl der ambulanten Behandlungsfälle zwischen den Jahren 2004 und 2014 um 152 Millionen auf 688 Millionen Fälle erhöht. Im stationären Sektor wurden 2014 mehr als 19 Millionen Patienten behandelt. Laut Statistik der Gutachterkommissionen und Schlichtungsstellen sind die Anträge seit dem Höchststand 2012 mit 12.232 auf 11.822 im Jahr 2015 zwar nur leicht, aber kontinuierlich rückläufig.

1.774 nachgewiesene Behandlungsfehler

So haben die Gutachterkommissionen und Schlichtungsstellen im Jahr 2015 bundesweit insgesamt 7.215 Entscheidungen zu mutmaßlichen Behandlungsfehlern getroffen (Vorjahr 7.751). Es lag in 2.132 Fällen ein Behandlungsfehler vor (Vorjahr 2.252). Davon wurde in 1.774 Fällen ein Behandlungsfehler/Risikoaufklärungsmangel als Ursache für einen Gesundheitsschaden ermittelt, der einen Anspruch des Patienten auf Entschädigung begründete.

Die häufigsten Diagnosen, die zu Behandlungsfehlervorwürfen führten, waren Knie- und Hüftgelenkarthrosen sowie Unterschenkel- und Sprunggelenkfrakturen. In 358 Fällen lag ein Behandlungsfehler/Risikoaufklärungsmangel vor, der jedoch keinen kausalen Gesundheitsschaden zur Folge hatte.

Niedergelassene schneiden gut ab

Was auffällt: Drei Viertel aller Prüfanträge betrafen Behandlungen in Kliniken. Und dies, obwohl der allergrößte Teil der Behandlungen im niedergelassenen Sektor stattfindet. Dies hänge zum einen damit zusammen, so Crusius, dass es in Kliniken die am schwersten erkrankten Patienten gibt, mehr Operationen und mehr komplizierte Krankheitsverläufe.

Darüber hinaus wird ein wenig darüber spekuliert, warum nur gerade einmal 25 % der Prüfanträge in der Praxis von niedergelassenen Ärzten auflaufen. So vermutet Crusius, dass z. B. Patienten in Hausarztpraxen ihr Verhältnis zum behandelnden Arzt nicht belasten wollten – zumal, wenn es in ländlichen Regionen keine Alternativen gebe. Es gebe eben zu Niedergelassenen oft ein engeres Vertrauensverhältnis, und Patienten hätten deshalb mitunter so etwas wie eine "Beißhemmung".

Medikationsfehler dominieren bei Hausärzten

Frei von Fehlern sind aber auch die niedergelassenen Ärzte nicht. In diesem Bereich wurden die meisten Fehler, nämlich 142, in den bildgebenden Diagnostikverfahren gemacht. Speziell in Hausarztpraxen komme es häufiger zu Medikationsfehlern. Zum Beispiel seien etwa Blutungen aufgetreten, weil Gerinnungswerte nur unzureichend kontrolliert wurden. Außerdem wurden zu späte oder fehlende Überweisungen zu Fachärzten und Klinken moniert.

Anonyme Fehlermeldung

Die BÄK möchte Ärzte bei ihrem Engagement für eine offene Fehlerkultur unterstützen. Das Melden von Fehlern trage dazu bei, eine wirksame Fehlerprävention voranzutreiben. Mit Initiativen und Projekten zur Förderung der Patientensicherheit und Qualitätssicherung kämpft die organisierte Ärzteschaft für mehr Transparenz. Allein die Datenbank ärztlicher Qualitätssicherungsinitiativen der Bundesärztekammer führt rund 160 absolut freiwillige Initiativen auf. Für den ambulanten Sektor führt der Qualitätsbericht der Kassenärztlichen Bundesvereinigung rund 9.000 Qualitätszirkel mit mehr als 35.000 teilnehmenden Ärzten und Psychologischen Psychotherapeuten auf. Als vorbildliches Projekt zur Vermeidung von Behandlungsfehlern wurde auch auf das vom Ärztlichen Zentrum für Qualität in der Medizin betriebene Fehlerlernsystem "CIRSmedical" hingewiesen. Über das System können Ärzte Beinahefehler anonym melden, damit potenzielle Risiken abgestellt werden können.

Jeder Fehler zählt

Die DEGAM unterstützt, genau wie die österreichische Fachgesellschaft ÖGAM, das erste Fehlerberichts- und Lernsystem für Hausärzte des Instituts für Allgemeinmedizin der Universität Frankfurt am Main.

Unter der Internet-Adresse www.jeder-fehler-zaehlt.de können Hausärzte anonym über Fehler, Beinahefehler und kritische Ereignisse in ihrer Praxis berichten.

Die Leitidee des Systems lautet: "Man muss nicht jeden Fehler selber machen, um daraus zu lernen." Unter dem Motto "Jeder Fehler zählt", zielt das Angebot daher explizit darauf, das gemeinsame Lernen aus Fehlern zu ermöglichen und die Patientensicherheit in hausärztlichen Praxen zu fördern.

Die Fehler und kritischen Ereignisse werden klassifiziert und in eine Datenbank gestellt. Um ein gemeinsames Lernen zu ermöglichen, werden ausgewählte "Fehler der Woche" bzw. "Fehler des Monats" online zur Diskussion gestellt.

Die DEGAM bittet, diese Möglichkeit wahrzunehmen. Je häufiger gemachte Fehler berichtet werden, desto genauer und praktikabler können die Analysen und die daraus abgeleiteten Strategien zur Vermeidung von Fehlern sein.

Dr. Walter Schaffartzik, Ärztlicher Leiter des Unfallkrankenhauses Berlin und Ärztlicher Vorsitzender der Schlichtungsstelle für Arzthaftpflichtfragen der norddeutschen Ärztekammern, forderte betroffene Patienten auf, sich im Schadensfall an die Gutachterkommissionen und Schlichtungsstellen der Ärztekammern zu wenden.

Es genügt ein formloser Antrag und das Gutachten sowie die abschließende Bewertung ist für Patienten kostenfrei. In rund 90 % der Fälle werden die Entscheidungen der Gutachterkommissionen und Schlichtungsstellen von beiden Parteien akzeptiert und die Streitigkeiten beigelegt. Wird nach Begutachtung durch diese Institutionen doch noch der Rechtsweg beschritten, werden die Entscheidungen der Schlichtungsstellen und Gutachterkommissionen nach Auskunft der BÄK-Statistik überwiegend bestätigt.


Erschienen in: Der Allgemeinarzt, 2016; 38 (7) Seite 27-29