Ernährungs- und Bewegungstherapie sind die Grundlage jeder Diabetestherapie. Bei Typ-2-Diabetiker:innen reichen diese Maßnahmen als alleinige Therapie oft schon aus, ergänzend sollten sie aber neben der Pharmakotherapie immer beibehalten werden. Wie man den Einstieg schafft und die Patient:innen motivieren und beraten kann, soll im folgenden Beitrag erörtert werden.

Nestor der deutschen Diabetologie
Wer kennt ihn nicht? Prof. Dr. med. Hellmut Mehnert ist seit über 50 Jahren auf dem Gebiet der Diabetologie aktiv. Auch heute noch hält der ehemalige Chefarzt der Medizinischen Klinik des Krankenhauses München-Schwabing Vorträge und leistet Aufklärungsarbeit. Prof. Mehnert möchte Diabetesforschung so vermitteln, dass sie auch für niedergelassene Allgemeinärzt:innen umsetzbar ist. In diesem Sinne sind auch "Mehnerts Diabetes-Tipps" verfasst, die als Serie in doctors|today erscheinen und hoffentlich dazu beitragen, dass Sie Ihre Diabetes-Patient:innen besser betreuen können.

Es ist unumstritten, dass eine gute Diabeteseinstellung die Voraussetzung für ein möglichst langes und weitgehend komplikationsfreies Leben der Menschen mit Diabetes ist. Ernährungs- und Bewegungstherapie sind hier dominierend, da sie beim Typ-2-Diabetes häufig als alleinige Behandlungsmaßnahme ausreichen, aber auch stets dann beizubehalten sind, wenn orale Antidiabetika oder Insulin hinzukommen, während andererseits beim Typ-1-Diabetes die Insulingabe sinnvoll durch entsprechende Verteilung der Kohlenhydrate anzustreben ist. Der Ausdruck "Diät" ist leider etwas verpönt und wird dann aber sinnvoll durch Ernährungstherapie ersetzt. An sich wäre es aber zweckmäßig, sowohl die Ernährungs- als auch die Bewegungstherapie als "Diät" zusammenzufassen, da im Griechischen "Diätaia" die allgemeine Lebensweise betrifft und dies für beide Behandlungsformen zutrifft. Im angloamerikanischen Schrifttum wird allerdings Diät nur für Ernährungstherapie angewendet.

Wie soll man nun bei der Beratung und Schulung der Patient:innen beginnen? Zunächst gilt, sie nicht gleich mit Verboten zu überschütten, sondern die individuellen Vorlieben bei Speisen und Getränken zu erfragen. Anschließend wird man dann versuchen, einen entsprechenden Kostplan zusammenzustellen, der neben persönlichem Geschmack auch das Körpergewicht berücksichtigt. Es ist zweckmäßig, dass die Patient:innen in den ersten Wochen eine Aufstellung über die verzehrten Nahrungsmittel und Getränke anfertigen und mit der behandelnden Ärzt:in besprechen. 85 % der Typ-2-Patient:innen sind übergewichtig oder adipös, so dass da eine entsprechende kaloriengerechte, d. h. kalorienreduzierte Kost angezeigt ist. Viel zu wenig bekannt ist, dass auch 50 % der Typ-1-Patient:innen übergewichtig oder adipös sind, was nicht zuletzt auch auf einer fehlerhaften Beratung beruht. Die Aussage, "wenn du sowieso Insulin vor den Mahlzeiten spritzt, dann spritzt du eben etwas mehr und kannst dann essen, was du willst", sollte auf alle Fälle vermieden werden, auch wenn bei bestimmten Anlässen (Taufe, Hochzeit, Konfirmation etc.) natürlich ausnahmsweise einmal so verfahren werden kann.

Der Body-Mass-Index ist entscheidend für die Betrachtung des Körpergewichts. Bei einem BMI von 25 bis 30 spricht man von Übergewicht, ab 30 von Adipositas, die wiederum unterteilt wird in Grad 1 (30–35), Grad 2 (35–40) und Grad 3 (über 40). Bei einem BMI über 40 und womöglich 50 oder 60 ist auch an eine bariatrische Operation zu denken, die entweder als Schlauchmagen oder als Bypass mit hochgezogener Dünndarmschlinge hervorragende Ergebnisse mit sich bringt, der Diabetes wird dadurch entscheidend gebessert, ja womöglich ist eine Insulinbehandlung dann nicht mehr nötig. Durch die Reduzierung des Körpergewichts wird die endogene Insulinproduktion wieder verbessert und ist dann ausreichend, um den Stoffwechsel zu beherrschen.

Bei der Zusammensetzung der Nahrung wird seit eh und je unterschiedlich diskutiert: fettreich oder fettarm, kohlenhydratreich oder kohlenhydratarm, alles wurde schon durchgespielt. Am besten ist wohl ein Mittelweg mit 40 % der Gesamtkalorien an Kohlenhydraten, ebenfalls 40 % an Fett und 20 % an Eiweiß. Unumstritten ist, dass eine kaloriengerechte Kost stets angezeigt ist, Ballaststoffe reichlich verabreicht werden sollten und das Rauchen komplett eingestellt werden sollte. Letzteres ist für Diabetespatient:innen (und im Übrigen auch für Nichtdiabetiker:innen) besonders wichtig, da das Rauchen einen gefährlichen Risikofaktor darstellt. Kaloriengerechte Kost richtet sich, wie gesagt, nach dem Körpergewicht. Ballaststoffe sind ganz allgemein als wichtig anerkannt, weil sie zur Verminderung der Insulinresistenz sowie zur langsamen Resorption der Kohlenhydrate und damit zu einer Verbesserung der Stoffwechsellage führen. Auch die günstige Einwirkung auf die Darmtätigkeit sei erwähnt.

Viele kleine Mahlzeiten, die früher als unabdingbar galten, sind in der Regel jetzt obsolet geworden, vor allem dann, wenn eine 1.000 bis 1.200 kalorienhaltige Kost verordnet wird und durch sechs kleine Mahlzeiten bei dieser Kostform nur eine unnötige Anregung des Appetits durch die kleinen Häppchen erreicht wird. Zucker ist in der Diabetesdiät nicht mehr total verboten, sollte aber auf nur etwa 10 % der Gesamtkalorien – ungefähr 40 bis 60 Gramm Zucker pro Tag – reduziert werden. Auch ist zu bedenken, dass Zucker in Getränken nicht zugeführt werden soll, weil dies zu den gefährlichen, kardiovaskulär bedenklichen postprandialen Hyperglykämien führt. Der sogenannte glykämische Index hat sich bewährt, indem man eben möglichst Nahrungsmittel gibt, die die Glukoselast nicht sprunghaft erhöhen, wie z. B. Weißbrot, Kartoffeln oder Nudeln. Hingegen sind Vollkornbrot, Gemüse und Salate stets angezeigt. Bei den Fetten gilt es auf die Omega-3-Fettsäuren zu achten, die vor allem im Fisch vorhanden sind und die einen günstigen Einfluss auf die Arteriosklerose haben. Es ist aber wichtig zu wissen, dass dies offenbar nur bei solchen Omega-3-Fettsäuren gilt, die in der Nahrung eingebunden sind, und nicht für isolierte Gaben, wie es die Origin-Studie gezeigt hat.

Beim Eiweiß ist stets daran zu denken, dass mit vielen Eiweißträgern auch reichlich Fett zugeführt wird. Fette Wurst sollte vermieden und stattdessen magerer Schinken verzehrt werden. Hauner hat zu Recht erwähnt, dass man im Allgemeinen nicht weniger, sondern anders essen soll, und das immer im Rahmen einer kaloriengerechten Diät. Wie sieht es überhaupt aus mit Süßungsmitteln? Die Zuckeraustauschstoffe Fruktose, Sorbit und Xylit sind entbehrlich, da sie vermehrt die Entwicklung einer Fettleber begünstigen und im Übrigen genauso viele Kalorien enthalten wie gewöhnlicher Zucker. Der geringe Vorteil der weitgehend insulinunabhängigen Wirkung gleicht dies nicht aus. Süßstoffe sind erlaubt: Cyclamat, Saccharin, Aspartame, Acesulfam und Stevia sind alle in vernünftigen Dosen unschädlich.

Ganz besonders wichtig ist auch die Bewegungstherapie, deren Wert immer wieder unterschätzt wird. Dabei ist sie genauso wichtig wie die Ernährungstherapie. Man sollte bedenken, dass körperliche Aktivität in verschiedener physischer und psychischer Hinsicht von Bedeutung ist. Verbessert werden die Gefäßsituation des Diabetes als Folge einer Blutzuckersenkung, der Lipidstoffwechsel, die Gelenke im Sinne einer besseren Mobilisierung und nicht zuletzt die Psyche. Solche Patient:innen, die sich reichlich körperlich betätigen, sind lebensfroher als solche, die lediglich im Sessel vor dem PC oder vorm Fernseher sitzen und dabei im Übrigen oft viel Fast Food und gesüßte Limonaden zu sich nehmen.

Es ist erschreckend, dass gerade bei Kindern und Jugendlichen diese Dinge zutreffen, wodurch sich immer mehr Fälle von Typ-2-Diabetes in jungen Jahren entwickelt haben. Man sollte einen gewissen Morgensport betreiben, z. B. mit Stepper, Gummiband, Expander usw., und einen täglichen Spaziergang machen, der – auch wenn er nur zwei- bis dreimal pro Woche ausgeführt wird – immer noch von gutem Erfolg begleitet ist. Besteht der Wunsch, mit Joggen anzufangen, sollte dies zunächst mit der Hausärzt:in besprochen werden, da womöglich kardiovaskuläre Komplikationen das Joggen verbieten könnten. Keinesfalls soll die körperliche Aktivität übertrieben werden. Wenn Hundertjährige am Marathonlauf mitwirken, ist dies ein schlechtes Beispiel und sollte nicht noch in der Tagespresse als nachahmenswert empfohlen werden.

Zusammenfassend sei festgestellt, dass Ernährungs- und Bewegungstherapie die wichtigsten Therapie-Grundlagen für die 85 % übergewichtigen Typ-2-Diabetiker:innen und neben der intensivierten Insulintherapie auch für die zu 50 % übergewichtigen oder adipösen Typ-1-Diabetiker:innen darstellen. Wenn es gelingt, diese Therapieformen als Grundlage der Gesamtbehandlung einzuführen und einzuhalten (nach Konrad Lorenz ist "durchgeführt noch lange nicht beibehalten"), dann ist mit entsprechend günstiger Physis und Psyche der Patient:innen zu rechnen.



Autor:

© Kirchheim
Prof. Dr. med. Hellmut Mehnert

Forschergruppe Diabetes e.V.
82152 Krailling

Interessenkonflikte: Der Autor hat keine deklariert



Erschienen in: doctors|today, 2021; 1 (5) Seite 50-52