Es gibt Momente, die einem das eigene Verfallsdatum schmerzhaft vor Augen führen. Als mein Computer kürzlich wieder einmal eine Reparaturvisite benötigte, besuchte mich ein junger, alerter IT-Spezialist mit Sneakern und Zweitagebart.

Scharfsichtig diagnostizierte er sofort meine Lage (computer-related helplessness F 60.9) und konnte die offensichtlich nur marginalen Störungen dann auch rasch beheben. Dabei sah ich, dass er bei Notizen oder der Übertragung von Geräteregistrierungen sein Smartphone mit dem legendären Handydaumen in atemberaubender Geschwindigkeit traktierte und die eingabeerforderlichen Ziffernblocks fotografierte. Darauf angesprochen outete er sich nachsichtig lächelnd als Angehöriger der digitalen Oberklasse: Füllfederhalter, Notizblock und Schreibmaschine seien das Imperfekt, wenn nicht sogar das Perfekt, Bedieneroberfläche und Scanner hingegen Präsens und Futur. Das saß und es war klar, wo ich mich zu verorten hatte. Ohne die Gnade der späten Geburt wurde ich eben als digital naiver, nicht nativer Hominid in diese Welt hineingeboren. Die Menschwerdung der digitalen Ureinwohner wird nämlich auf die letzten beiden Jahrzehnte des zweiten Jahrtausends nach Christi Geburt, also ab 1980, datiert. Die digital Nativen repräsentieren Generationen, die ab dem Windelalter digital kontrolliert, dressiert und durch Playstation®, Gameboy®, Tamagotchi®, Smartphone et al. systemdienlich inokuliert werden. Die prädigitalen, analog sozialisierten Vorzeitmenschen müssen sich den Status eines "digital immigrant" hingegen erst mühsam durch das Erlernen zeitgemäßer Technologien erarbeiten. Immerhin war ich für diese Zukunft schon gut präpariert, weil meine fürsorgliche Mutter vor einem halben Jahrhundert aufgrund meiner bedenklichen Zensuren ein frühes Ende meiner humanistischen Schulkarriere befürchtete. Deshalb meldete sie mich vorsorglich zu einem Schreibmaschinenkurs bei der Volkshochschule an, rückblickend einer der nachhaltigsten Lehrgänge, den ich je besucht habe. Das 10-Finger-Blindschreiben machte mir nämlich so viel Spaß, dass ich ab diesem Zeitpunkt alle wichtigen Schreibarbeiten nur noch mit der legendären mechanischen Reiseschreibmaschine meines Vaters, einer Olivetti Lettera, erledigte, allenfalls unter Zuhilfenahme der allgegenwärtigen Tipp-Ex®-Streifen. Dank dieses Olivetti-Bridgings habe ich den Sprung vom naiven zum nativen Digital ganz gut geschafft, zumindest was die Geschwindigkeit des Tastschreibens angeht. Das Ganztagestraining am Praxiscomputer und sporadische Exerzitien mit wohlmeinenden digitalen Natives haben ihr Übriges dazu getan, dass ich zumindest rudimentär in der Brave New World der digital Natives angekommen bin. Geblieben ist mir trotzdem die naiv-sentimentale Liebe zu meinen mechanischen Schreibhilfen.


Dies meint Ihr Fritz Meyer, Allgemeinarzt


Erschienen in: doctors|today, 2021; 1 (2) Seite 65