Die German Doctors sind eine Nichtregierungsorganisation, die sich in verschiedenen Projekten seit Jahrzehnten darum bemüht, armen Menschen in verschiedenen Ländern medizinische Hilfe zukommen zu lassen. Dabei wird großer Wert gelegt auf Schulung und Ausbildung der einheimischen Mitarbeiter, um später einmal die Projekte zurückzugeben in die Hand der jeweiligen Länder. Die Allgemeinärztin Dr. Verena Gröschel war im vergangenen Jahr zum zweiten Mal im Einsatz auf der philippinischen Insel Mindanao. Doch der Besuch endete anders als erwartet.

Als Allgemeinärztin habe ich mich erneut auf den Weg gemacht, um den armen Menschen auf Mindanao zu helfen und Leid zu lindern. Ein großer Koffer nur für die Menschen dort: Kleidung für Erwachsene und Kinder, Buntstifte, Malpapier, ein paar Spielsachen, Puzzles und anderes. Trotz 30 kg Freigepäck war die Grenze schnell erreicht.

Unterwegs mit der rollenden Klinik

Mindanao gehört zu den ärmsten Inseln der Philippinen. Dort betreiben die German Doctors (www.german-doctors.de) drei Armenhospitäler. Zudem versorgen sie die unzugänglichen abgelegenen Bergregionen im Land, wo sonst kein Arzt zu den Menschen hinkommen würde. Bei dieser "Rolling Clinic" (fahrende Ambulanz) ist ein einheimisches Team zusammen mit einem Arzt und manchmal auch mit einem Zahnarzt unterwegs. Zehn Tage dauert diese oft anstrengende Fahrt ins Landesinnere. Ein vollbepackter Jeep bringt das Team zu den Menschen. Alle sechs Wochen kommt so ein Team in die entlegenen Dörfer. Im German Doctors Hospital in Cagayan de Oro werde ich die letzte Ärztin sein, denn die Ambulanz wird geschlossen werden. Die Verwaltung der German Doctors zieht in ein nahegelegenes Gebäude um.

Die Wiedersehensfreude mit Emeliza, meiner Übersetzerin, ist groß. Sie ist eine sehr erfahrene Krankenschwester und übersetzt geduldig alles vom Englischen ins Visayan. Das ist die Landessprache auf Mindanao. Eine Liste mit den wichtigsten medizinischen Termini liegt für uns bereit und ich erweitere diesmal mein Vokabular. Das kommt immer gut an bei den Patienten.

Vier Wochen Ambulanz in Cagayan de Oro im Norden Mindanaos sind geplant und dann zehn Tage Rolling Clinic in die ärmste Gegend von Mindanao im Südosten. Es gibt zwar relativ wenige Patienten in diesen Tagen, denn die Ambulanz wird geschlossen und chronische Patienten sind zum großen Teil schon an die staatlichen Kliniken überwiesen, die die Behandlung weiterführen. Jedoch sind einige Erkrankungen eine Herausforderung für mich als Allgemeinärztin. Viele Krankheitsbilder sind bei uns gänzlich unbekannt und hängen oft mit der Armut dieser Menschen zusammen. Es sind packende und anrührende Patientenschicksale, die ich kennenlernen durfte.

Anrührende Patientenschicksale

Beispielsweise Jenny, eine 35-jährige Patientin, die in Begleitung ihrer Mutter kommt. Unaufhörlich redet sie, hauptsächlich über Gott, und rezitiert Bibelsprüche, aber auch alltägliche Themen diskutiert sie ausführlich. Ihr Redeschwall ist nicht zu stoppen. Sie hat Schizophrenie, Halluzinationen und ihre Medikation schon eine Weile nicht genommen. Die Mutter bittet verzweifelt um Hilfe. Jenny sitzt draußen vor dem Krankenhaus in einem Jeepney (offenes Mehrpersonentaxi) und unterhält die Leute! Ich nehme mir Verstärkung mit, ein Medikament ziehe ich in einer Spritze auf. Sie lässt sich natürlich nicht beruhigen, aber sie bleibt wenigstens sitzen und rennt nicht wieder davon, wie tags zuvor. Also vorsichtig nähern, drei Leute halten sie fest, wir beruhigen sie und zack Spritze in den Arm. Dann gibt es noch die Tabletten und alle sind froh, dass Jenny uns nicht böse geworden ist. Trotz Spritze bin ich "ihre Freundin".

Eine Familie aus dem Stamm der Manobos kommt mit einem sechs Monate alten Mädchen in die Ambulanz. Sie sind neun Stunden aus dem entfernten Surigao angereist mit dem Bus. Es war eine Hausgeburt. Das kleine Mädchen hat einen Nabelbruch, der etwas Flüssigkeit absondert. Ich schicke sie zum Kinderchirurgen ins Krankenhaus. Postwendend kommen sie zurück, der Kinderchirurg möchte einen Ultraschall. Ich habe noch nie einen Säuglingsultraschall gemacht, aber einmal ist immer das erste Mal, sage ich mir. Die kleine Chrissa hält ziemlich ruhig und lässt alles stoisch über sich ergehen. Die Familie kann in unserem "Mothers house" wohnen bei freier Kost und Logis, bis der Op.-Termin stattfindet.

Auch Krankheiten, wie wir sie in Deutschland kennen, gehören zum Alltag. Aber immer wieder begegne ich Armutserkrankungen: Abszesse, Krätze, Läuse, Tuberkulose, Unterernährung, Geschwüre und Wurmerkrankungen. Gerade die Wurm-
erkrankungen sind oft der Auslöser für viele Begleiterkrankungen wie Blutarmut, Schwäche, Bauchschmerzen und Durchfälle. Zudem werden sie oft auf andere Familienmitglieder übertragen, da die Menschen eng zusammenleben.

Sexueller Missbrauch steht auf der Tagesordnung

Ein großes Problem ist der Missbrauch von Kindern. Dies geschieht oft unter Gewalt in den Familien. Auch aus Armut werden Kinder, besonders Mädchen, ausgesetzt oder zu Verwandten in die Stadt geschickt und dort zu sexuellen Handlungen gezwungen. Sextourismus ist auf Mindanao leider an der Tagesordnung. Die Armut zwingt Frauen und Mädchen dazu. Oft geschieht dies alles unter Drogen.

Ein sechsjähriges Mädchen wurde von ihrer Mutter vorgestellt. Es stellte sich heraus, dass sie mit Gonorrhoe infiziert war. Sie musste mit mehreren Antibiotika behandelt werden, nachdem sie von mir untersucht worden ist. Leider war sehr schnell klar, dass der eigene Vater das kleine Mädchen missbraucht hatte. Welch tragisches Schicksal für sie und die Familie. Der Vater flüchtete, nachdem er erfuhr, dass staatliche Stellen ihn (nach Tagen!) suchten. Die Gonorrhoe ist weiter unbehandelt. Wir stellen Kontakt zu einer weiteren Hilfsorganisation, TISAKA, her. Persönlich bringe ich die Familie dort hin. Diese kümmern sich um missbrauchte Frauen und Mädchen und leiten sie oft weiter an staatliche Stellen oder geben auch finanzielle Hilfe für den Ausstieg.

Minderjährige Mädchen können beim Ausstieg aus dem Milieu im "Malisa Home" untergebracht werden. Dieses Haus wurde von Maria Furtwängler gegründet. Zurzeit leben 16 Mädchen im Alter zwischen 10 und 18 Jahren dort, es werden demnächst noch einige hinzukommen. Die Mädchen werden dort therapeutisch betreut und es wird versucht, sie wieder in den Alltag zu integrieren. Nach einer Vorbereitungsphase sollen die Mädchen auf umliegende staatliche Schulen gehen. Ein erster Schritt in ein selbstbestimmtes Leben.

Abrupter Abschied

Dieses Mal hatte ich nicht so viel Glück beim Einsatz: Erst kam ein Erdbeben der Stärke 6,7, was ich zwar spüren konnte, aber ich war nicht unmittelbar gefährdet. Dann wurden die Hilfskonvois im Erdbebengebiet von kommunistischen Rebellen angegriffen, nachdem Präsident Duterte die Friedensverhandlungen mit ihnen abgebrochen hatte. Zusätzlich mobilisierten die muslimischen Extremisten, u. a. Abu Sayyaf, ihre Kämpfer, die immer wieder Entführungen bei Einheimischen und besonders Ausländern verursachen. Abu Sayyaf sympathisiert mit dem "Islamischen Staat". So wurde die Sicherheitslage für uns German Doctors zu gefährlich. Wir alle mussten Mindanao innerhalb weniger Tage verlassen.

Dies war für uns German Doctors sehr bedrückend und frustrierend. Unsere Mission betrachten wir in gewissem Sinne als gescheitert oder zumindest als nicht vollendet. Ich musste drei Wochen früher abreisen und konnte nicht mehr die entlegenen Dörfer auf der Rolling Clinic besuchen. Wie wird es dort weitergehen? Der Konflikt wird wohl nicht innerhalb von Wochen oder gar Monaten gelöst werden. Die Leidtragenden der politischen Konflikte sind damit wieder einmal die armen Menschen auf Mindanao.

German Doctors

Seit 1983 hat die NGO über 7.000 Hilfseinsätze mit mehr als 3.100 Medizinern unternommen.
Die Ärzte arbeiten unentgeltlich in ihrem Jahresurlaub oder Ruhestand.

Informationen gibt es unter http://www.german-doctors.de .

Das Spendenkonto der NGO lautet IBAN DE12 5206 0410 0004 8888 80, BIC GENODEF1EK1.

Dr. med. Verena Gröschel


Erschienen in: Der Allgemeinarzt, 2018; 40 (7) Seite 94-96