Funktionelle Störungen haben in der proktologischen Sprechstunde eine hohe Relevanz. Sie reichen von der Stuhlentleerungsstörung über die Stuhlinkontinenz bis zum Prolaps. Dem Arzt begegnen sie nicht nur als eigenständig führendes Problem, sondern auch als – eventuell sogar kausales, nicht immer erkanntes – Begleitphänomen vieler anderer Beschwerdebilder. Bei der Diagnosestellung ist es deshalb wesentlich, das führende Leitsymptom der Funktionsstörung zu identifizieren.

Der Krankheitswert der Störungen ist immer subjektiv: Auch nach Ausschöpfen aller Diagnostik findet sich oft kein objektivierbar ursächliches Korrelat [1]. Die Beurteilung wird dadurch erschwert, dass morphologisch darstellbare Veränderungen sowohl Ursache, aber auch Folge der Funktionsstörung sein können oder gar keinen Zusammenhang mit der Symptomatik aufweisen. Das Anorektum ist bei aller Differenzialdiagnostik immer auch als funktionelle Endstrecke des gesamten Gastrointestinaltrakts zu sehen [2].

Die drei führenden Leitsymptome treten, oft überlappend, als Stuhlentleerungsstörung/Obstipation, Stuhlinkontinenz und Rektumprolaps in Erscheinung (Abb. 1). Proktogene Störungen sind meist Ausdruck einer Beckenbodeninsuffizienz und werden mit deren höherem Schweregrad isoliert oder kombiniert symptomatisch. Aufgrund des funktionellen Charakters der Störung steht immer – bis auf die operative Korrektur eines manifesten, äußeren Rektumprolapses– die konservative Therapie an erster Stelle [3].
Für das individuelle Therapiekonzept ist initial eine differenzierte Anamnese wichtig, um das führend beschwerderelevante Leitsymptom zu identifizieren [4]. Erleichternd für das Patientengespräch kann ein Anamnesebogen mit Fragen zu Stuhlfrequenz und -konsistenz, Haltefähigkeit, Entleerungsverhalten sowie Druck- und Prolapsgefühl sein, den der Patient initial selbst ausfüllt.

Proktologische Diagnostik

Nach der Anamnesebesprechung und Eingrenzung des führenden proktologischen Symptoms sollte eine standardisierte proktologische Basisdiagnostik (Tabelle 1) erfolgen, die aus Inspektion, Palpation, starrer Rekto- und Proktoskopie besteht. Diese unaufwendigen Untersuchungen sollten unter dynamischen Aspekten, also nicht nur im Ruhezustand, sondern auch unter Pressen und Muskelanspannung stattfinden. Die Rektoskopie erfolgt dabei ohne vorbereitende Maßnahmen, um eine unverfälschte Aussage über die Stuhlentleerung des distalen Rektums, die Stuhlbeschaffenheit und eventuelle Schleimhautalterationen zu erhalten. Wie die statische Bildgebung, etwa mittels CT oder MRT, ist auch die flexible Endoskopie für funktionelle Fragen nicht geeignet, da sie nach Vorbereitung des Darms und unter Gasfüllung erfolgt. Sie ist hier nur zum Ausschluss entzündlicher Darmerkrankungen und von Tumoren bedeutsam.

Eine erweiterte funktionelle Diagnostik (Tabelle 2) sollte zielgerichtet nur bei infrage kommender Therapiekonsequenz veranlasst werden und beinhaltet die anorektale Endosonographie, Defäkographie (konventionell radiologisch oder als MR-Untersuchung), Kolontransitzeit-Bestimmung und perkutane Nervenevaluation. Sphinkter-Manometrie und EMG haben dagegen im klinischen Alltag keine Therapie-entscheidende Bedeutung mehr.

Stuhlentleerungsstörung

Das Beschwerdebild der Obstipation wird oft führend als Stuhlentleerungsstörung wahrgenommen. Diese in der proktologischen Praxis am häufigsten geäußerte funktionelle Störung kann eigenständig mit großem Leidensdruck einhergehen oder Wegbereiter für andere proktologische Erkrankungen sein. Nach anamnestischem Ausschluss sogenannter Alarmsymptome ist ohne weitere Diagnostik zunächst immer ein probatorischer konservativer Therapieversuch (Tabelle 3) nach dem Stufenschema der Leitlinie Obstipation gerechtfertigt [5]. Durch differenzierte Anamneseerhebung und proktologische Basisdiagnostik ergeben sich oft schon Hinweise, ob eine Stuhltransportstörung (Slow Transit Constipation) oder eine proktologisch bedingte Defäkationsstörung (Outlet Obstruction) im Vordergrund steht. Neben stuhlregulierenden Maßnahmen können bedarfsgerecht dann schon frühzeitig Entleerungshilfen eingesetzt werden. Eine erweiterte Diagnostik mittels Defäkographie oder Kolontransitzeit-Bestimmung sollte nur bei einer selten infrage kommenden Op.-Indikation indiziert werden [6].
Diese ist vor einer invasiven Therapie und bei dem stets schwer einzuschätzenden Therapieerfolg funktioneller Erkrankungen dann aber zu fordern, um mit dem operativen Ansatz (abdominell/transanal) der morphologischen Veränderung möglichst gerecht zu werden.

Stuhlinkontinenz

Die Diagnose Stuhlinkontinenz ist grundsätzlich anamnestisch zu stellen. So orientiert sich auch die im Alltag praktikabelste Einteilung in drei Grade (Tabelle 4) – Undichtigkeit für Winde (Grad I), für auch flüssigen Stuhl (Grad II) und für alle Stuhlqualitäten (Grad III) – an der subjektiven Wahrnehmung des Patienten [7]. Zunächst sind zumindest anamnestisch Ursachen für eine Diarrhoeneigung (am häufigsten Nahrungsmittelintoleranzen und Medikamenten-Nebenwirkungen) zu bedenken. Nach proktologischer Basisdiagnostik zur Beurteilung der Beckenboden- und Sphinktermuskulatur erfolgt primär immer eine konservative Therapie (Tabelle 5) mit stuhlregulierenden Maßnahmen und gegebenenfalls Beckenbodentraining. Nur in seltensten Fällen kommt bei Versagen dieser Therapie eine operative Behandlung in Betracht [8]. Aufgrund der Komplexität der die Kontinenz beeinflussenden Faktoren erfolgt die Auswahl des Op.-Verfahrens nach Klärung der wesentlichen Inkontinenzursache (sensorisch, muskulär, neurogen). Hier kommen diagnostisch zur Beurteilung von Muskeldefiziten die anorektale Endosonographie und zur Erfolgseinschätzung einer sakralen Nervenmodulation die perkutane Nervenevaluation zum Einsatz.

Rektumprolaps

Steht als Leitsymptom ein Prolapsgefühl im Fokus, lässt sich in der Regel ein äußerer Rektumprolaps nachweisen, der bei entsprechender Beschwerderelevanz nur operativ behoben werden kann. Die verschiedenen Prolapsformen und auch die Stadien eines Rektumprolapses lassen sich durch die beschriebene proktologische Basisdiagnostik suffizient differenzieren, wobei ein äußerer Prolaps in seinem Ausmaß am sichersten durch intensives Pressen (in Hockstellung) erkennbar wird [9].
Bei noch inkomplettem Rektumprolaps, der dann in der Regel nicht das Leitsymptom ist, lässt sich die Prolapsstrecke rektoskopisch an der mechanisch induzierten Mukosaalteration, gegebenenfalls auch mit einem Ulcus simplex recti an der Prolapskuppe, abschätzen. Weitere bildgebende Diagnostik ist für die Operationsindikation bei äußerem Prolaps entbehrlich. Alter und Zustand des Patienten, Voroperationen und Prolapsgröße (technische Grenzen) werden individuell das einzusetzende Verfahren bestimmen [10].


Literatur
1. Andresen V (2013) S2k-Leitlinie Chronische Obstipation (AWMF 021/019). Z Gastroenterol 51:651-672
2. Dindo D (2016) Stuhlinkontinenz. In: Sailer M, Aigner F, Hetzer F (Hrsg.) Koloproktologie. Thieme, Stuttgart, S 150-157
3. Gaßmann P, Gohrbandt AE (2017) Stuhlinkontinenz. Coloproctology 39:353-364
4. Isbert C, Germer CT (2013) Transanale Verfahren bei funktionellen Darmerkrankungen. Chirurg 84:30-38
5. Kienle P, Horisberger K (2013) Transabdominelle Verfahren bei funktionellen Darmerkrankungen. Chirurg 84:21-29
6. Roblick M et. al. (2016) Anale Inkontinenz. Akt Dermatol 42:177-188
7. Schiedeck THK (2008) Diagnostik und Therapie der Stuhlinkontinenz. Chirurg 79:379-389
8. Schiedeck TH (2017) Beckenbodendysfunktion aus chirurgischer Sicht. Chirurg 84:909-917
9. Schwandner O, Hillemanns P (2017) Indikation, Technik und Ergebnisse der STARR-Operation. Coloproctology 39:316-323
10. Stoll M, Roblick M (2018) Anorektale Funktionsstörungen. In: Stoll M (Hrsg.) Repetitorium Proktologie. Springer, Berlin, S 129-147



Autor:

Dr. med. Michael Stoll

End- und Dickdarmzentrum Hannover
30169 Hannover

Interessenkonflikte: Der Autor hat keine deklariert



Erschienen in: Der Allgemeinarzt, 2019; 41 (18) Seite 18-20