Tabakabhängige können die Kosten für Medikamente zur Entwöhnung nicht bei ihrer gesetzlichen Krankenkasse geltend machen, so hat es das Bundessozialgericht entschieden. Die Begründung: Arzneimittel zur Raucherentwöhnung sind aus dem Leistungskatalog der GKV ausgeschlossen, das Behandlungsziel könne auch durch nichtmedikamentöse Maßnahmen erreicht werden. Dr. med. Ulf Ratje, Facharzt für Allgemeinmedizin, übt in seinem Kommentar herbe Kritik an diesem Urteil.

Eine tabakabhängige Patientin aus Eckernförde hatte auf Kostenerstattung ihrer Raucherentwöhnungsbehandlung durch ihre Krankenkasse geklagt. Die Urteilsbegründung des Bundessozialgerichts wirft einige Fragen auf.

Medikamente sollen Entzugssymptome dämpfen

Die Kostenerstattung von Medikamenten zur Raucherentwöhnung ist im § 34 SGB V ausgeschlossen mit der Begründung, dass bei deren Anwendung eine Erhöhung der Lebensqualität im Vordergrund steht. Zum einen ist diese Begründung medizinisch-wissenschaftlich widerlegt. Eine Erhöhung der Lebensqualität steht in keinem Fall im Vordergrund, der Einsatz der Medikamente dient allein der Dämpfung von Entzugssymptomen im Rahmen von Abstinenzversuchen. Zum anderen wird der allgemeine Gleichheitssatz des Art. 3 Abs. 1 Grundgesetz missachtet, wenn z. B. die Behandlung der Alkoholabhängigkeit von den Krankenkassen übernommen wird, die Behandlung der Tabakabhängigkeit hingegen nicht.

Nikotinersatztherapie: wirksam oder nicht?

Bei der Klageabweisung stützt sich das Gericht auf die Einschätzung des Gesetzgebers, dass das Behandlungsziel der Raucherentwöhnung ebenso auch durch nichtmedikamentöse Maßnahmen erreicht werden könne. Weiterhin sei die Wirksamkeit der Nikotinersatztherapie wissenschaftlich umstritten. Vom Gericht herangezogen wurde eine Studie von Alpert et al. [1], die keinen Zusatznutzen einer Nikotinersatztherapie feststellt. Bei dieser Beobachtungsstudie mit rund 800 Erwachsenen wurden Befragungen im Zeitraum von 5 Jahren durchgeführt. Demgegenüber wurde in der dem Gericht vorliegenden S3-Leitlinie "Screening, Diagnostik und Behandlung des schädlichen und abhängigen Tabakkonsums" der Nikotinersatztherapie eine Evidenz-A-Bewertung gegeben. Die Wirksamkeit wurde begründet durch das Vorliegen zahlreicher randomisierter, kontrollierter Studien sowie auch Leitlinien [2], Metaanalysen [3] und Cochrane- Reviews [4, 5]. Insgesamt 117 Studien mit mehr als 50.000 Teilnehmern wurden in der zitierten Cochrane-Analyse zur Wirksamkeit der Nikotinersatztherapie ausgewertet [4] und belegen eine Wirksamkeit der Nikotinersatztherapie im Vergleich zu Placebo mit RR=1,60, CI=1.53-1,68. Die neueste Cochrane-Analyse [6] kommt zu dem Schluss, dass die Nikotinersatztherapie die Chance eines erfolgreichen Rauchstopps um 50 bis 60 % erhöht, und bestätigt somit die Erkenntnisse der S3-Leitlinie.

Es stellt sich die Frage, warum das Bundessozialgericht die Erkenntnisse der vorliegenden S3-Leitlinie nicht heranzieht, obwohl diese eine ungleich höhere Evidenz aufweisen im Vergleich zu der zitierten Beobachtungsstudie.

Das Gericht weist auf Angebote zur Raucherentwöhnung in der Prävention hin (Angebote nach § 20 SGB V), die die Entstehung von Erkrankungen einschließlich einer Sucht verhindern sollen. Derartige Angebote sind bei Vorhandensein einer Tabakabhängigkeit (ICD-10 F17.2) oder eines schädlichen Gebrauchs von Tabak (ICD-10 F17.1), wie bei Vorliegen einer COPD, nicht mehr indiziert und für den verhandelten Fall daher belanglos.

In der vertragsärztlichen Versorgung sollen die hausärztliche Versicherungspauschale (GOP Nr. 03000 EBM) sowie das problemorientierte ärztliche Gespräch (GOP Nr. 03230 EBM) sowie Inhalte strukturierter Behandlungsprogramme, z. B. im DMP COPD, ausreichende Maßnahmen zur Raucherentwöhnung in der Therapie der Tabakabhängigkeit darstellen. Zeitlicher Rahmen und Honorierung reichen für den ärztlichen Ratschlag aus, mit dem Rauchen aufzuhören. Die Erfolgsrate liegt dann bei ca. 5 % Abstinenz. Eine strukturierte verhaltenstherapeutische Intervention analog zu Inhalten der Alkoholentwöhnung und in der S3-Leitlinie mit einer Evidenz A bewertet hat eine Erfolgsquote von ca. 20 %, in Kombination mit einer medikamentösen Nikotinentzugsbehandlung von über 30 % Abstinenz.

120.000 Todesfälle jährlich

Warum erachtet das Bundessozialgericht eine Abstinenzrate von 5 % im Bereich nichtmedikamentöser Maßnahmen für ausreichend?

Bei der Tabakabhängigkeit handelt es sich um eine Erkrankung, an deren Folgen jährlich 120.000 Menschen in Deutschland versterben. Seit Ausschluss der Kostenerstattung für Medikamente zur Raucherentwöhnung im § 34 SGB V zum 1. Januar 2004 sind rund 2.000.000 Menschen in Deutschland vorzeitig an den Folgen des Rauchens verstorben. Es wird höchste Zeit, dass diese gesundheitliche Katastrophe eine angemessene Beachtung findet und die notwendigen therapeutischen Konsequenzen gezogen werden. Die Patientin hat am 30. September 2019 Verfassungsbeschwerde beim Bundesverfassungsgericht erhoben.


Literatur:
1. Alpert et al. (2012); doi: 10.1136/tobaccocontrol-2011-050129,
2. (Fiore et al. 2008),
3 (Eisenberg et al. 2008)
4. (Stead et al. 2012,
5. Cahill et al. 2013).
6. Hartmann-Boyce J, et al. Cochrane Database Syst Rev. 2018, 133 Studien mit 64.640 Teilnehmern)



Autor:

Dr. med. Ulf Ratje

Facharzt für Allgemeinmedizin
24340 Eckernförde

Interessenkonflikte: Der Autor hat keine deklariert


Erschienen in: Der Allgemeinarzt, 2019; 41 (18) Seite 38-39