Wie lange darf sich ein Arzt Zeit lassen, wenn er zur Leichenschau gerufen wird? Was tun, wenn sich die Todesursache nicht eindeutig bestimmen lässt oder die Todesart unklar ist? Wie genau müssen die Angaben zur Todeszeit sein? Diese und ähnliche Fragen rund um die Leichenschau sollen im folgenden Beitrag erörtert werden.

Die gesetzlichen Regelungen zur Vornahme der Leichenschau unterliegen der Kompetenz der Bundesländer, wobei jedoch in den meisten Kernaussagen Kongruenzen bestehen (müssen). Für den folgenden Beitrag wurde, wenn nicht explizit anders angegeben, das Bestattungsgesetz NRW zugrunde gelegt.

Zunächst sei zu bemerken, dass in NRW seit 2009 Ärzten eine Leichenschau bei nahen Angehörigen und Personen, bei denen ein wirtschaftliches Abhängigkeitsverhältnis besteht, untersagt ist. Ebenso ist der Arzt z. B. nach § 2 Abs. 3 Bestattungsgesetz Bayern von der Leichenschau entpflichtet, wenn er sich selbst oder einen seiner Angehörigen der Gefahr strafrechtlicher Verfolgung aussetzen würde.

Wie dringend ist die Leichenschau?

Nach Erhalt der Nachricht über einen Todesfall hat der Arzt die Leichenschau unverzüglich, also lediglich ohne schuldhaftes Zögern (und nicht sofort!), durchzuführen. Das Bestattungsgesetz Hamburg gibt als zeitliche Obergrenze sechs Stunden vor, in Berlin ist sogar von zwölf Stunden die Rede. Somit werden Hausbesuche zum Zweck der Leichenschau disponibel, falls die meldenden Angehörigen nicht auf schnelles Erscheinen drängen. Dies bedeutet also implizit, dass der Gesetzgeber dem verständigen medizinischen Laien zubilligt, zwischen einem (noch) lebenden Menschen und einer Leiche unterscheiden zu können. Dem folgt aber nicht unbedingt die Rechtsprechung, wie ein Blick in die Entscheidungen der Berufsgerichte zeigt: „Der Notfalldienst dient der Sicherstellung der ärztlichen Versorgung. Hierzu gehört auch und an hervorragender Stelle die ärztliche Versorgung eines vermeintlich Verstorbenen, solange dessen Tod nicht durch einen Arzt festgestellt ist. Ob jemand verstorben ist, kann nur der Arzt zuverlässig feststellen. Noch viel weniger kann ein Laie die Chancen einer Reanimation abschätzen. Die Feststellung des Todes darf der Arzt daher nicht einem Laien überlassen.“ [2]

Kein Abtransport ohne Totenschein?

Zu den Erwartungen der Angehörigen gehört das Ausfertigen einer Todesbescheinigung, weil erst diese den Abtransport einer Leiche ermögliche. Diese Ansicht ist weit verbreitet, jedoch nicht korrekt: Im Rahmen strafrechtlicher Ermittlungen kann eine Leiche als Beweismittel von der Kriminalpolizei beschlagnahmt und ohne vorliegende Todesbescheinigung transportiert wer-den, was nicht jedem (Kriminal-)Polizisten bekannt zu sein scheint.

Totenschein muss komplett sein?

Alle länderunterschiedlichen Todesbescheinigungen bestehen aus einem nichtvertraulichen, dem Standesbeamten vorzulegenden und einem vertraulichen, an das Gesundheitsamt zu überstellenden Teil. Sollten zu einem späteren Zeitpunkt als unmittelbar zur Leichenschau noch Informationen, die für das Ausstellen des vertraulichen Teils von Bedeutung sind, eingeholt werden können, darf dieser separat nach Komplettierung dem Gesundheitsamt zugeleitet werden. Es existiert keinerlei Verpflichtung, einen kompletten Totenschein für die Angehörigen, das Bestattungsunternehmen und damit für das Sterberegister bei der Leiche zu belassen.

Personalangaben im Totenschein

Sollte die verstorbene Person dem Leichenschauer nicht als Patient bekannt sein, kann eine Identifizierung nach Personalausweis oder Reisepass erfolgen. Häufig kann dieses Dokument vor Ort nicht gefunden werden. Eine ausführliche Suche ist nicht zumutbar und auch nicht notwendig, da die glaubhafte Identifizierung durch Angehörige oder Dritte zulässig ist und in ihrer Wertigkeit den beiden anderen Möglichkeiten nicht nachsteht. Alles Weitere ist Angelegenheit des Standesamtes.

Todeszeitpunkt bestimmen

Ebenso wenig kann die Bestimmung eines exakten Todeszeitpunktes zwingend vom Leichenschauer gefordert werden. In den seltensten Fällen ist der Arzt beim Eintritt des Todes zugegen, Angaben Angehöriger/Dritter können hilfreich sein und den Zeitpunkt festlegen lassen, sind aber bisweilen nicht zu erhalten, müssen sogar manchmal bezweifelt werden. Unter Umständen kann die Angabe eines exakten Todeszeitpunktes sogar alles andere als opportun sein, man bedenke nur die erheblichen zivilrechtlichen Konsequenzen bei der Festlegung einer Erbfolge anhand einer Versterbensreihenfolge!

Sollte bei stets exakt anzugebender Auffindezeit der Todeszeitpunkt anhand der Ausprägung der frühpostmortalen Veränderungen zumindest in das 24-h-Intervall des gleichen oder vorherigen Tages fallen, kann eine etwas präzisere Angabe wie z. B. in Abb. 1 dokumentiert werden.

Todesursache und Todesart

Der Begriff „Todesart“ bezieht sich auf die juristisch-technische Klassifikation oder Kategorisierung der Umstände des Todeseintritts (Fragestellung: wie gestorben?). Die Angabe „Todesart ungeklärt“ bedeutet also nicht die medizinisch-nosologisch ungeklärte Ursache des Versterbens, sondern dass der Todesfall auf ein von außen verursachtes, ausgelöstes oder beeinflusstes Geschehen zurückzuführen sein könnte [4].

Der Begriff „Todesursache“ bezieht sich auf die medizinische Klassifikation oder Kategorisierung der Umstände des Todeseintritts (Fragestellung: woran gestorben?). Die Angabe „Todesursache unbekannt“ bedeutet also das Unwissen um den Schluss einer zum Tode führenden nosologischen Kausalkette (sogenannte thanatologische Brücke).

Vorherrschende Meinung zum Zusammenhang zwischen Todesart und Todesursache ist eine strenge, aber logisch falsche Ansicht, z. B. in folgender Formulierung: „Unsicherheit und Unklarheit in Bezug auf die Diagnose (d. h. die unmittelbar zum Tode führende Krankheit) widersprechen einer eindeutigen Festlegung hinsichtlich der Todesart.“ Wie soeben dargelegt, werden hier schlichtweg Kategorien verwechselt [5]. Todesursache ist nicht Todesart, medizinisches Nichtwissen impliziert nicht zwingend juristische Konsequenzen.

Typologie des Sterbeprozesses

Hans von Kress, Internist und Gründungsrektor der FU Berlin, beschreibt hierzu (zitiert nach Leiss 1982 [3]) bereits 1969 [6] vier verschiedene Ausprägungen von nosologischen Kausalketten (Abb. 2):

  • Linearer Sterbetyp: die „klassische“ monokausale Kette
  • Divergenter Sterbetyp: die sich aufzweigende Kausalkette über einer Grundkrankheit
  • Konvergenter Sterbetyp: die gemeinsame Endstrecke mehrerer Grunderkrankungen
  • Komplexer Sterbetyp: parallel verlaufende Erkrankungen mit interdependentem gleichwertigem Beitrag zum Todeseintritt.

Das Wissen um diese Umstände zeigt sich auch in einer im Vorwort zur 10. Revision des ICD geäußerten WHO-Empfehlung [7]: In Anbetracht der zunehmenden Multimorbidität sollten die Todesursachen nicht mehr als monokausale, sondern vielmehr als multikausale Kette erfasst werden, also den divergenten und den komplexen Sterbetyp bei den Angaben im Totenschein berücksichtigen und so in die Todesursachenstatistik einfließen.

Leider trägt die vom Statistischen Bundesamt veröffentlichte Kurzanleitung zum Bearbeiten der Todesbescheinigung [1] dieser WHO-Empfehlung nur zögerlich Rechnung, warnt aber immerhin vor einer Verfälschung der Todesursachenstatistik durch Eintragen („ut aliquid fiat“) eines nicht sicher anzugebenden letzten Gliedes der zum Tode führenden Kausalkette.

Für diese Fälle ist im ICD 10 in Kapitel XVIII [8] die Gruppe R95 - R96 [9] eingeführt. Bei Unkenntnis der zum Tode führenden Endstrecke beim divergenten oder komplexen Sterbetyp kann R96.0 oder R96.1 (nicht gewaltsamer Tod, dessen Ursache nicht festgestellt werden kann) als Angabe in der obersten Zeile der Todesursachenkausalkette eingetragen werden.

Die gemeinsame Leichenschau

Im Tätigkeitsbereich des Autors hat sich seit ca.15 Jahren folgende Verfahrensweise bewährt: Wird der Rettungsdienstleitstelle oder auch der Leitstelle der Polizei das Auffinden einer Leiche unter glaubhafter Angabe sicherer Todeszeichen mitgeteilt, ist der Hausarzt nicht erreichbar oder vorhanden und steht kein anderer Arzt ohne größere (d. h. unverhältnismäßige) Wartezeit für die Leichenschau zur Verfügung, so erfolgt die Alarmierung und Entsendung eines Leichenschauers anhand einer bei der Leitstelle hinterlegten separaten Telefonliste. Diesem ist es freigestellt, nach erster Sichtung der Auffindesituation und der Umstände vor Ort, falls noch nicht geschehen, ein Team des Kriminaldauerdienstes (und nicht der (uniformierten) Schutzpolizei) hinzuzuziehen. Es wird eine gemeinsame äußere Leichenschau und Beurteilung der Auffindesituation inklusive Foto-dokumentation, Sichtung allfällig vorhandener Unterlagen und Befragung von Angehörigen und anderen involvierten Personen vorgenommen.

Sehen weder der leichenschauende Arzt noch die präliminar ermittelnden Kriminalbeamten irgendeinen Hinweis für ein von außen beeinflusstes Geschehen und liefert die Anamnese ausreichenden Anhalt für mindestens ein Grundleiden oder ein Erkrankungsmuster, wird als Todesart „natürlich“ festgelegt. Bei divergentem oder komplexem Sterbetyp, welcher deutlich überwiegt, erfolgt dies ohne Angabe einer definierten Todesursache (Eintrag R96.1), bei konvergentem Sterbetyp ohne Angabe einer einzigen Grunderkrankung. Durch diese Verfahrensweise wird einerseits eine größere Zahl von Verstorbenen polizeilichen Ermittlungsmaßnahmen unterzogen, was der Qualität der Todesartenstatistik zugutekommt, andererseits wird die vielmals unsinnige Gleichstellung von unbekannter Todesursache und ungeklärter Todesart mit nachfolgenden Irritationen betroffener Angehöriger vermieden.

Ausschlussbefunde für eine natürliche Todesart

Todesart „ungeklärt“ sollte immer festgelegt werden bei

  • ausgeprägten postmortalen Veränderungen, die eine äußerliche Beurteilung der Leiche unmöglich machen (z. B. fortgeschrittene Fäulnis mit Gasbildung, Koloritänderungen und Volumenexpansion der Leiche)
  • bestimmten Auffindesituationen (befüllte/leere Badewanne, Sauna, Kühlhaus)

Handling von Versicherungsnachfragen

Bisweilen erreichen den leichenschauenden Arzt Nachfragen zu den Umständen des Todeseintritts bei dem Kunden einer Versicherungsgesellschaft. Sollte eine unnatürliche oder ungeklärte Todesart festgelegt worden sein, berechtigt dies zum Verweis auf das stattgefundene staatsanwaltschaftliche Ermittlungsverfahren ohne irgendwelche weiteren Aussagen zum Thema. Als Serviceleistung kann das Aktenzeichen mitgeteilt werden, es lässt sich jederzeit ohne Schwierigkeiten von den zuständigen Ermittlungsbehörden (Kriminalpolizei, Staatsanwaltschaft) erfragen.


Der Autor dankt EKHK Klaus Thevis, Leiter KK11 beim Polizeipräsidium Aachen, und PD Dr. Karl-Heinz Schiwy-Bochat, Institut für Rechtsmedizin Köln, für wertvolle Hinweise zum Manuskript.


Literatur
1. DESTATIS Statistisches Bundesamt Wiesbaden (o. J.) Download von der Homepage
2. Heile B, Mertens K, Pottschmidt G, Wandtke F (Hrsgg.) (2001): Sammlung von Entscheidungen der Berufsgerichte für die Heilberufe -HeilBGE-. A 1.1; Unterlassene Hilfeleistung (Pflichten des Notfallarztes) Nr. 2.14. Berufsgericht für Heilberufe beim Verwaltungsgericht Köln, Urteil vom 3.7.1980 - 1 T 12/78
3. Leiss J. (1982) Die Todesursache unter individual-pathologischen Gesichtspunkten, DMW 107: 1069-72
4. Madea B. (2006) Die ärztliche Leichenschau 2. Auflage p.26, Springer Berlin-Heidelberg-NY
5. Ryle G. (1969) Der Begriff des Geistes 1. Auflage Kap.1 passim, Reclam Stuttgart
6. von Kress H. [1969] Das Problem des Todes in: Altmann H.W. et.al. Handbuch der Allgemeinen Pathologie Band 1 p.205, Springer Berlin-Heidelberg-NY
7. WHO (2011), ICD 10 WHO 2011 p. 20/21, DIMDI Köln
8. ibid. p.675
9. ibid. p.700

Interessenkonflikte:
keine deklariert

Uwe Wainwright


Kontakt:
Uwe Wainwright
Klinik für Anästhesiologie
UK Aachen
52057 Aachen

Erschienen in: Der Allgemeinarzt, 2012; 34 (12) Seite 38-40