Die Zahl der älteren und alten Diabetiker nimmt ständig zu. Dies liegt zum einen an der angestiegenen Lebenserwartung in der Gesamtbevölkerung und zum anderen an der längeren Diabeteslebensdauer aufgrund der heute möglichen intensiven Therapie.

Nestor der deutschen Diabetologie
Wer kennt ihn nicht? Prof. Dr. med. Hellmut Mehnert ist seit über 50 Jahren auf dem Gebiet der Diabetologie aktiv. Auch heute noch hält der ehemalige Chefarzt der Medizinischen Klinik des Krankenhauses München-Schwabing Vorträge und leistet Aufklärungsarbeit. Auch auf der practica erfreuen sich seine Seminare gleichbleibender Beliebtheit. Das liegt daran, dass Mehnert Diabetesforschung so vermitteln möchte, dass sie auch für den niedergelassenen Allgemeinarzt umsetzbar ist. In diesem Sinne sind auch "Mehnerts Diabetes-Tipps" verfasst, die als Serie im Allgemeinarzt erscheinen und hoffentlich dazu beitragen, dass Sie Ihre Diabetes-Patienten besser betreuen können.

Es hat sich sehr bewährt, den Grad der Gebrechlichkeit bzw. der noch vorhandenen Beweglichkeit wie folgt zu kennzeichnen: "Go go" ist die Gruppe von Patienten, die ihre Beweglichkeit voll erhalten haben. "Slow go" kennzeichnet eine große Gruppe von Patienten, die zwar noch nicht gebrechlich, wohl aber in ihrem Aktionsradius eingeschränkt sind. Schließlich gibt es die am meisten gefährdete Gruppe von "No go", also Menschen, die gebrechlich sind und sich praktisch nicht mehr außerhalb ihres Bettes oder ihres Sessels bewegen können. Eine Diabetestherapie unterliegt in allen diesen drei Gruppen bestimmten Restriktionen.

Folgeschäden und Gewichtsabnahme

Eigentlich gibt es bei den hier in erster Linie zu besprechenden Patienten mit Typ-2-, aber auch bei den alt gewordenen Typ-1-Diabetikern zwei Therapieziele, die oberste Priorität haben. Es geht um die Behandlung von Folgeschäden mikro- und makrovaskulärer Art und um eine Gewichtsreduktion bei den größtenteils übergewichtigen (85 % der Typ-2-Diabetiker bzw. 50 % der Typ-1-Diabetiker) Patienten. Die Prävention von Langzeitschäden tritt bei fortgeschrittenem Lebensalter dagegen eher in den Hintergrund. Bei der Gewichtsreduktion ist im Alter besondere Vorsicht geboten, da vor allem die gebrechlichen alten Patienten oft eher durch Untergewicht gefährdet sind und weil bekannt ist, dass alte Menschen mit einem BMI unter 25 ein höheres Sterberisiko aufweisen als solche mit leichtem Übergewicht.

Einstellung: Nicht zu streng, nicht zu lasch

Ein wichtiges Ziel besteht darin, unter allen Umständen schwere Hypoglykämien zu vermeiden, ebenso wie extreme Hyperglykämien, die womöglich zur Glucosurie und zur Exsikkose führen. Wie der Dichter sagt: In der Mitte liegt holdes Bescheiden! Anzustreben sind also HbA1c-Werte zwischen 7,5 und 8,5 %, gelegentlich sogar etwas höher.

Unterzuckerungen können nicht nur Stürze begünstigen, sondern auch, wie Withmer gezeigt hat, die Demenzentwicklung verstärken. Ein weiteres Ziel ist es, bereits vorhandene Folgeschäden, wie die Retinopathie und vor allem den diabetischen Fuß, zu bekämpfen.

Ausgewogene Ernährung

Die ernährungstherapeutischen Maßnahmen ähneln weitgehend denen, die auch bei jüngeren Menschen angezeigt sind: Eine Verteilung der Nährstoffe auf die Gesamtkalorienmenge pro Tag sollte etwa lauten: 40 % Kohlenhydrate, 40 % Fett und 20 % Eiweiß. Es gibt allerdings auch Stimmen, die einer noch fettreicheren Ernährung das Wort reden, was man aber wegen der Verstärkung der Insulinresistenz, die schon nach einer fettreichen Mahlzeit zu beobachten ist, und des Angebotes des Nährstoffs mit dem höchsten Kaloriengehalt wohl doch eher vermeiden sollte. Auch kann eine etwas kohlenhydratreichere Ernährung im obigen Sinne Hypoglykämien besser entgegenwirken als eine fettreiche Kost.

Als Grundlage der Therapie gilt also die ausgewogene Ernährung und eine zumindest für die ersten beiden obigen Gruppen indizierte Ausschöpfung aller bewegungstherapeutischen Maßnahmen wie Morgensport und tägliche Spaziergänge. Zur Abschätzung der körperlichen Bewegung wird empfohlen, die Zeit zu stoppen, die der sitzende Patient benötigt, um aufzustehen, zwei Meter zu laufen, dann zurückzukehren und sich wieder zu setzen. Patienten der "Go go"-Gruppe brauchen hierzu weniger als 10 Sekunden, sehr gebrechliche Patienten in der "Slow go"-Gruppe über 20 Sekunden.

Orale Antidiabetika

Große Vorsicht ist bei der Verordnung oraler Antidiabetika geboten. Auch bei den alten Menschen steht Metformin im Vordergrund, wobei die gelockerten Bedingungen bezüglich der GFR unter Dosisreduzierung bis herab zu 30 von Vorteil sind. Wenn dieses nicht ausreicht, sollten unbedingt Sulfonylharnstoffe, vor allem Glibenclamid, vermieden werden. Hier hat sich gezeigt, dass ältere Menschen unter Sulfonylharnstofftherapie einer 50 % höheren Sturzgefahr ausgesetzt sind als Diabetiker, die nicht diese insulinotropen Stoffe erhalten. Diese Komplikation ist vor allem auf die ständige Hypoglykämiegefahr zurückzuführen. Die scheinbar so günstige Kostenfrage bei den Sulfonylharnstoffen relativiert sich durch diese Nebenwirkungen erheblich. So ist zu bedenken, dass 5,5 % der gestürzten hypoglykämischen Patienten einen längeren stationären Aufenthalt mit operativen Eingriffen durchmachen, was natürlich auch zur Kostensteigerung beiträgt.

Als insulinotrope Stoffe empfehlen sich daher die Gliptine (DPP4-Hemmer), die im Gegensatz zu Sulfonylharnstoffen den Blutzucker nur dann senken, wenn er erhöht ist. Es gibt also keine Unterzuckerungen bei der Anwendung dieser Substanzen. Sitagliptin ist überdies schon mehr als zehn Jahre im Handel und hat sich ohne Nebenwirkungen (auch was die ursprünglich befürchtete Pankreatitis angeht) bewährt. Schwierig zu beurteilen ist der Einsatz von SGLT2-Rezeptorenhemmern (Gliflozine), die ja den Blutzucker durch eine gezielte Glucosurie senken. Sicherlich gibt es in der Empa-Reg-Outcome-Studie eine hervorragende Analyse, die bewiesen hat, dass sämtliche kardiovaskulären Parameter (Mortalität, Herzinsuffizienz) zu über 30 % im Vergleich zu den Kontrollen reduziert werden. Man muss aber bedenken, dass die Nierenschwelle im Alter ansteigt und damit einem Teil der Patienten die gewünschte Wirkung entzogen würde. Auch sollte man immer an die erhöhte Exsikkosegefahr im Alter denken. Hinzu kommen mykotische Genitalinfektionen (zu 8 % bei Frauen).

Die zu injizierenden GLP1-Rezeptor-Agonisten Liraglutid und Semaglutid sind wegen ihrer ebenfalls günstigen Einwirkungen auf die kardiovaskulären Komplikationen wie die Gliflozine als Option zu diskutieren. Acarbose kommt wegen der gastrointestinalen Nebenwirkungen eher nicht infrage, Glitazone sind nicht mehr verschreibungsfähig.

Insulin

Die endogene Insulinsekretion bei Typ-2-Diabetes lässt ständig nach, so dass diese Patienten – ebenso wie alle Typ-1-Diabetiker – im Alter häufig insulinbedürftig werden. Gerade alte Patienten leben unter dem "Wundermittel" Insulin förmlich auf, verlieren ihre Exsikkose, die kognitiven Fähigkeiten nehmen zu und es lässt sich eine befriedigende Einstellung im obigen Sinne damit erreichen. Eine intensivierte Insulintherapie hat den Vorteil, dass man auch unmittelbar nach der Mahlzeit die kurz wirkenden Insulinanaloga spritzen kann, wenn vorher nicht vorausgesagt werden kann, wie viel der angebotenen Kohlenhydrate der Patient dann wirklich zu sich nimmt.



Autor:

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Prof. Dr. med. Hellmut Mehnert

Forschergruppe Diabetes e. V.
82152 Krailling

Interessenkonflikte: Der Autor hat keine deklariert.



Erschienen in: Der Allgemeinarzt, 2018; 40 (1) Seite 46-47