Bei gastroenterologischen Routineendoskopien des Verdauungstrakts, vermehrt bei invasiven endoskopischen Eingriffen, stellt sich die Frage, wie für Patienten mit kardiovaskulärer Vorerkrankung Blutungs- und Infektionsrisiken minimiert werden können. In die Vor- und Nachbereitung solcher Interventionen ist der Hausarzt oft entscheidend eingebunden.
Bei Patienten, die Antikoagulanzien und Thrombozytenaggregationshemmer einnehmen, sollte vor jeder Therapiepause wegen endoskopischer Eingriffe das Risiko einer eingriffsbedingten relevanten Blutung gegen das Risiko einer arteriellen Thrombose oder Thromboembolie abgewogen, ggf. sogar individuell mit dem betreuenden Kardiologen erörtert werden. Eine Monotherapie mit Acetylsalicylsäure (ASS) kann nahezu immer fortgeführt werden. Eine Antibiotikaprophylaxe wegen des Risikos einer bakteriellen Endokarditis ist auf wenige endoskopische Hochrisikoeingriffe bei kardiovaskulären Hochrisikopatienten beschränkt.
Antikoagulation und Thrombozytenaggregationshemmung
Bis zu 8–10 % der älteren Bevölkerung in entwickelten Ländern nehmen Antikoagulanzien [5, 22], davon benötigen 10 % pro Jahr eine Therapiepause wegen offen-operativer oder endoskopischer Eingriffe [6]. Die Einnahme von Thrombozytenaggregationshemmern steigert das Blutungsrisiko im Rahmen der gastrointestinalen Endoskopie, allerdings wird das Risiko für kardiovaskuläre Ereignisse durch Therapiepausen oft vernachlässigt. Die Unterbrechung einer lange bestehenden Therapie mit Thrombozytenaggregationshemmern für wenige Tage kann bereits zu einem relevanten kardiovaskulären Ereignis führen. Der Großteil (60–70 %) schwerer kardiovaskulärer Ereignisse (z. B. Herzinfarkt, Schlaganfall) tritt innerhalb von zehn Tagen nach solchen Therapieunterbrechungen auf [2, 18, 22]. Das Gefährdungspotenzial lässt sich erahnen: Umfragen unter Endoskopikern in den USA ergaben, dass mehr als 25 % vor jeglicher Endoskopie ein Absetzen sämtlicher Thrombozytenaggregationshemmer fordern [11].
Häufig verwendete Substanzgruppen
Unter den Antikoagulanzien sind neben den bekannten Vitamin-K-Antagonisten (VKA) Phen
procoumon (Marcumar®) und Coumadin (Warfarin®) die sog. direkten oralen Antikoagulanzien (DOAK, Hemmer der Gerinnungsfaktoren IIa bzw. Xa) Dabigatran (Pradaxa®), Rivaroxaban (Xarelto®), Apixaban (Eliquis®) und Edoxaban (Lixiana®) von zunehmender Bedeutung. Dies insbesondere in der Prophylaxe/Therapie von tiefen Venenthrombosen und Lungenembolien sowie der Prophylaxe von zerebralen Embolien bei Vorhofflimmern. Für einen Einsatz bei sehr hohem Thromboserisiko, z. B. bei mechanischem Herzklappenersatz, besteht für DOAK derzeit keine Zulassung. Die Medikamentengruppe besticht mit fixer Dosierung, kurzer Halbwertszeit und fehlender Erfordernis von Routine-Laborkontrollen [12]. Heparin spielt in der Langzeitanwendung eher keine Rolle. Bei den Thrombozytenaggregationshemmern sind neben ASS die ADP(P2Y12)-Rezeptorantagonisten (P2Y12-RA, Thienopyridine) Clopidogrel (Plavix®, Iscover®) und Prasugrel (Efient®) weit verbreitet.
Wie hoch ist das Blutungs- und Thromboserisiko?
Endoskopische Eingriffe gehen mit unterschiedlichen Blutungsrisiken einher. Ein hohes Blu-tungsrisiko besteht bei:
- endoskopischer Polypektomie,
- endoskopisch-retrograder Cholangio-Pankreatikographie (ERCP) mit Sphinkterotomie und Ballon-Dilatation der Papille,
- endoskopischer Mukosaresektion (EMR) und Submukosadissektion (ESD),
- endoskopischer Dilatation von Strikturen im oberen und unteren Gastrointestinaltrakt,
- endoskopischer Varizentherapie,
- perkutaner endoskopischer Gastrostomie (PEG),
- endoskopischem Ultraschall (EUS) mit Feinnadelaspiration (FNA) sowie
- Einlegen von Stents in Ösophagus, Dünn- oder Dickdarm [1, 21].
Demgegenüber bergen diagnostische endoskopische Eingriffe mit oder ohne Biopsie, einfache biliäre oder pankreatische Stentimplantationen sowie instrumentell assistierte Enteroskopien ohne Polypektomie nur ein geringes Blutungsrisiko [1, 21].
Stratifiziert man das Thromboserisiko bei Pausierung von VKA (und ggf. Heparin-Bridging), so ist auf die zugrunde liegende kardiovaskuläre Erkrankung Bezug zu nehmen. Ein hohes Thromboserisiko ist anzunehmen:
- bei Herzklappenersatz durch Metallprothesen in Mitralposition,
- bei Herzklappenersatz und Vorhofflimmern,
- bei Vorhofflimmern und Mitralstenose sowie
- bei einem Thromboembolieereignis innerhalb der letzten drei Monate [21].
Ein niedriges Thromboserisiko liegt vor für einen Herzklappenersatz durch Metallprothesen in Aortenposition, einen Herzklappenersatz durch Bioprothesen, durch Vorhofflimmern ohne Erkrankung der Herzklappen, durch eine Thromboembolie außerhalb der letzten drei Monate sowie durch Thrombophilie-Syndrome (hier ist eine Diskussion mit Hämatologen angezeigt) [21].
Das Thromboserisiko bei Pausierung von P2Y12-RA muss als hoch eingestuft werden, wenn "Drug eluting"-Koronarstents innerhalb der letzten zwölf Monate oder "bare metal"-Koronarstents innerhalb der letzten vier Wochen implantiert wurden. Ein niedriges Thromboserisiko besteht bei koronarer Herzerkrankung ohne Koronarstents, bei zerebrovaskulärer Erkrankung und bei peripherer Gefäßerkrankung [21].
Praktisches Management
Bei endoskopischen Eingriffen mit niedrigem Blutungsrisiko ist die Fortführung einer Therapie mit P2Y12-RA und Cumarinen (INR in der Vorwoche im therapeutischen Bereich) möglich, bei DOAKs sollte die Morgendosis am Eingriffstag ausgesetzt werden [21].
Bei endoskopischen Eingriffen mit hohem Blutungsrisiko muss zwischen solchen mit niedrigem und hohem Thromboserisiko unterschieden werden. Bei niedrigem Thromboserisiko wird ein Aussetzen der Therapie mit P2Y12-RA 5 Tage vor dem Eingriff empfohlen (bei dualer Thrombozytenaggregationshemmer-Therapie ist ASS als Monotherapie fortzuführen), ebenso sollte die Cumarin-Therapie 5 Tage vor dem Eingriff beendet werden (mit dem Ziel, eine INR < 1.5 zum Eingriff zu erreichen).
Bei hohem Thromboserisiko ist eine ASS-Therapie fortzusetzen, das Aussetzen einer P2Y12-RA-Therapie ist bezüglich der Risiko-Nutzen-Relation mit Kardiologen zu diskutieren. Das Aussetzen einer Cumarin-Behandlung 5 Tage vor dem Eingriff ist mit einer überlappenden Bridging-Therapie mit fraktioniertem, niedermolekularem (LMW) Heparin zu kombinieren. Ein erhöhtes eingriffsbedingtes Blutungsrisiko muss dabei natürlich beachtet werden. Bei DOAK-Therapie sollte die letzte Dosis 48 Stunden vor dem Eingriff eingenommen werden (bei Dabigatran und eingeschränkter Nierenfunktion mit einer GFR von 30–50 ml/min 72 Stunden vor dem Eingriff) [21].
Ein sog. Heparin-Bridging bei Pausierung einer VKA-Therapie wird üblicherweise wie folgt durchgeführt: Gabe von LMW-Heparin in therapeutischer Dosis (100 IE/kg 2x täglich), beginnend bei einer Ziel-INR < 2 (erreicht meist 36 Stunden nach letzter VKA-Dosis bzw. drei Tage vor dem endoskopischen Eingriff) und endend 4–6 Stunden vor der endoskopischen Intervention. Hernach Wiederaufnahme der Antikoagulanzientherapie am Abend des Eingriffstages, der LMW-Heparin-Therapie am Folgetag (bei hohem Blutungsrisiko erst nach 48 Stunden) bis zum Erreichen einer therapeutischen INR (meist nach 5 Tagen) [6, 22]. Bei Niereninsuffizienz und/oder Hämodialyse ist anstelle von LMW-Heparin unfraktioniertes Heparin zu verwenden.
Notfallendoskopie
Im Falle erforderlicher notfallendoskopischer Eingriffe ist ein diagnostisches und therapeutisches Vorgehen ohne Zeitverzug angezeigt, eine Blutstillung ist zumeist auch unter Vollantikoagulation (INR ≤ 2.5) sicher und effektiv. Eine kurzfristige Antagonisierung der Wirkung von Antikoagulanzien und Thrombozytenaggregationshemmern ist ggf. möglich (Vitamin K, Prothrombinkonzentrat, Thrombozytenkonzentrat, Idarucizumab [Dabigatran-Antagonist]), soweit das Thromboserisiko bei Aussetzen der Antikoagulanzien und Thrombozytenaggregationshemmer stets beachtet wird [14, 22]. In einer kürzlich publizierten Studie reduzierte eine Pausierung der Antikoagulanzientherapie die Rezidivblutungsrate nicht signifikant (15 vs. 20 %), erhöhte jedoch das Thromboserisiko deutlich (8 vs. 0,8 %) [17].
Antibiotikaprophylaxe
Infektiöse Risiken durch gastroenterologisch-endoskopische Eingriffe beziehen sich vorwie-gend auf die infektiöse Endokarditis (IE). Zwar ist generell nur von einer geringen Inzidenz der Erkrankung (3–10/100.000/Jahr) auszugehen [4, 10, 15, 20], gleichwohl ist das IE-Risiko bei Patienten mit künstlichen Herzklappen oder rheumatischen und angeborenen Herzerkrankungen 10- bis 50-fach erhöht [3, 7]. Streptokokken der Mundflora gelten als klassische Auslöser der IE, indes ist ihr Anteil am Erregerspektrum in entwickelten Ländern rückläufig und liegt aktuell bei 10–30 % [7, 16]. Gemeinhin wird das IE-Risiko mit einer Bakteriämie assoziiert. Deren Rolle als Surrogatparameter der IE ist jedoch strittig. Auch fehlen randomisierte kontrollierte Studien zum Nachweis der Effektivität einer Antibiotikaprophylaxe zur IE-Prävention.
Bakteriämien im Rahmen endoskopischer Eingriffe
Bezogen auf endoskopische Eingriffe finden sich relevante Häufigkeiten von Bakteriämien bei der Bougierung von Ösophagusstenosen (12–22 %), der Sklerotherapie von Ösophagusvarizen (15 %) und der ERCP bei Gallenwegsobstruktion (18 %), wohingegen für Routine-Gastroskopien und -Koloskopien mit/ohne Biopsie Raten von jeweils etwa 4 % ermittelt wurden [3, 13, 20]. Alltagsaktivitäten wie Zähneputzen übertreffen dieses Risiko teilweise deutlich (Bakteriämiehäufigkeit 20–68 %) [13]. So erklärt sich, dass über Jahrzehnte das IE-Risiko ganz vorwiegend im Rahmen zahnärztlicher Eingriffe diskutiert wurde.
Gemäß Leitlinie der European Society of Cardiology (ESC) 2015 [9] ist eine Antibiotikaprophylaxe angezeigt, wenn sich ein kardialer Hochrisikopatient einer endoskopischen Hochrisikoprozedur unterzieht. Die (vorwiegend an Gesichtspunkten der Kosteneffektivität orientierte) britische Leitlinie des National Institute for Health and Care Excellence (NICE) 2015 negierte zunächst jegliche Indikation für eine Antibiotikaprophylaxe, relativierte aber im Folgejahr ihre Aussage dahingehend, dass eine solche Prophylaxe lediglich nicht routinemäßig erfolgen sollte (NICE 2016) [19, 20].
Risiken für eine infektiöse Endokarditis
Nach der Leitlinie der American Society for Gastrointestinal Endoscopy (ASGE) 2015 [13] wird ein sehr hohes IE-Risiko angenommen bei Patienten mit Herzklappenprothesen, IE-Episoden in der Anamnese, nach Herztransplantation mit neu entwickelter Klappenerkrankung und bei angeborenen zyanotischen oder unter Verwendung prothetischen Materials korrigierten Herzerkrankungen.
Eine Antibiotikaprophylaxe sollte bei gastrointestinalen Endoskopien routinemäßig nicht erfolgen, jedoch bei kardialen Hochrisikopatienten mit gastrointestinalen Infekten (insbesondere mit Enterokokken), ERCP-Eingriffen nach Lebertransplantation und bei erwartbarer inkompletter biliärer Drainage (hier sollte das antibiotische Spektrum speziell gramnegative Keime und Enterokokken erfassen), bei endoskopischer Ultraschalldiagnostik mit Feinnadelpunktion von mediastinalen und Pankreaszysten (nicht jedoch bei der Feinnadelpunktion solider Läsionen), bei Anlage von perkutanen gastralen oder jejunalen Ernährungssonden (PEG/PEJ), bei Leberzirrhose und gastrointestinaler Blutung sowie bei niereninsuffizienten Patienten mit chronischer Peritonealdialyse (CAPD), die eine Endoskopie des unteren GI-Traktes erhalten. Bei Patienten mit Gefäßprothesen oder kardialen Implantaten ohne Bezug zu den Herzklappen wie auch bei Patienten mit orthopädischen Prothesen ist eine Antibiotikaprophylaxe nicht angezeigt.
Nach einem Vortrag anlässlich der 45. Jahrestagung der Gesellschaft für Gastroenterologie in Bayern, Juni 2017
Interessenkonflikte: Der Autor hat keine deklariert.
Erschienen in: Der Allgemeinarzt, 2018; 40 (1) Seite 22-25