Trauma ist nicht gleich Trauma: Während ein Patient auf eine elektive Hüftendoprothetik optimal vorbereitet werden kann, ist die Schenkelhalsfraktur eines geriatrischen Patienten verbunden mit einer signifikanten gesundheitlichen Beeinträchtigung – und entsprechenden negativen Effekten auf die zeitlich dringliche Akutversorgung und den weiteren Verlauf.
Die Schenkelhalsfraktur beim geriatrischen Patienten ist in der Regel die Folge eines niedrigenergetischen Sturzes in Verbindung mit Osteoporose und ein medizinischer Problemkomplex. Dieser beeinflusst sowohl die traumatologische Indikationsstellung als auch die definitive Versorgung wesentlich und muss im Rahmen des engen Zeitfensters bis zur Op. – wie die traumatologische Diagnostik – differenziert bewertet und behandelt werden. Schlüsselelemente zur Optimierung der Ergebnisse sind u. a. eine patientenorientierte traumatologische Indikationsstellung und ein strukturierter, multiprofessioneller und interdisziplinärer Behandlungsansatz.
Ein hüftnaher Oberschenkelbruch ist für die Betroffenen generell ein sehr einschneidendes Ereignis. Für mehr als die Hälfte der Patienten schränkt diese Fraktur die Mobilität wesentlich ein und beeinträchtigt den allgemeinen Gesundheitszustand – nicht selten ist dann die Unterbringung in einer Pflegeeinrichtung nötig. Die funktionelle Beeinträchtigung bedeutet wiederum eine zusätzliche Gefährdung: Jeder fünfte Patient erleidet innerhalb der nachfolgenden zwei Jahre eine neuerliche Fraktur. Auch die Komplikationsrate ist sehr hoch: Nahezu jeder zweite Patient ist während des stationären Aufenthalts von zumindest einer Komplikation (z. B. Wundinfektion, tiefe Beinvenenthrombose, kardiovaskuläre Ereignisse, Delir) betroffen [1]. Die Sterblichkeit nach einem Krankenhausaufenthalt beträgt nach einem Monat durchschnittlich 13,3 %, nach einem Jahr im Schnitt 24,5 %, nach zwei Jahren 34,5 % und bleibt im weiteren Verlauf über Jahre wesentlich erhöht (20 – 22 %). Für Pflegeheimbewohner ist die Sterblichkeit mit bis zu 75 % innerhalb der ersten 1,5 Jahre exzessiv hoch [2 – 5].
Die offensichtliche, knöcherne Verletzung ist oft nur ein Teil eines umfassenden medizinischen Problempakets von Patienten mit mehreren Begleiterkrankungen, das bei der Krankenhausaufnahme nicht immer sofort im ganzen Umfang sichtbar wird. Für einen erfolgreichen Behandlungsverlauf muss man dies aber umgehend spezifisch angehen. Zudem ist der Patient beim Eintreffen im Krankenhaus oft dehydriert, in einem reduzierten Ernährungszustand, verwirrt oder hat zumindest ein hohes Risiko, dies zu werden. Er befindet sich darüber hinaus oft in einem labilen Gleichgewicht der Kompensation ("Frailty") – mit nur geringen "Reserven", um Abweichungen ausgleichen zu können. Außerdem hat er ein höheres Risiko für allgemeine und spezifische Komplikationen [6, 7].
Interdisziplinärer Therapieansatz
Ein wesentlicher Ansatz zur Prävention von behandlungsassoziierten Komplikationen und zur Optimierung des Behandlungsergebnisses ist die Etablierung eines patientenzentrierten, protokollbasierten und interdisziplinär von Traumatologen, Anästhesisten und Geriatern getragenen Behandlungsablaufs [8 – 17].
Stellenwert der kognitiven Funktion
Eine Beeinträchtigung der kognitiven Funktion im Rahmen einer Fraktur des hüftnahen Oberschenkels – sei sie nun vorbestehend oder während der Behandlung aufgetreten – geht mit einer höheren Mortalität sowie einer erhöhten Infektions- und Luxationsrate nach einer HüftTEP einher. Hinzu kommt eine allgemein deutlich reduzierte Funktion und eine vermehrte Pflegebedürftigkeit im weiteren Verlauf [18]. Bei Patienten mit einer hüftnahen Oberschenkelfraktur werden während des stationären Aufenthalts in 35 – 61 % der Fälle kognitive Beeinträchtigungen festgestellt – diese sind entweder vorbestehend oder entwickeln sich während des stationären Aufenthalts [19 – 24].
Präoperative Evaluierung und Vorbereitung
Diagnosesicherung und Schmerztherapie, Begleiterkrankungen und Risiken
Eine standardisierte Schmerztherapie wird idealerweise schon beim Erstkontakt und bei entsprechender Verdachtsdiagnose, basierend auf der Schmerzerfassung (VAS-Score beziehungsweise Dolo-Plus-2-Short-Skala) [25], eingeleitet. Auch ist nach der radiologischen Diagnosesicherung eine Thromboseprophylaxe angezeigt. Zudem werden wesentliche Begleiterkrankungen und die Begleitmedikation erfasst, eine erste Einschätzung hinsichtlich der Auswirkungen auf die Operationstauglichkeit vorgenommen und mögliche Risikofaktoren für das Auftreten eines postoperativen Delirs identifiziert. Auch gehört ein Screening auf vorliegende Infektionskrankheiten (z. B. Harnwegsinfekt, Pneumonie) dazu.
Mit dem ISAR ("Identification of Seniors at Risk")-Score [26] und dem MINICog-Test [27] erfolgt eine erste Einschätzung des Risikopotenzials des Patienten und eine orientierende Bewertung der kognitiven Funktion. Diese fließt auch in den traumatologischen Therapieentscheidungspfad mit ein. Ergänzend nimmt der Arzt eine Ersteinschätzung des Ernährungsstatus mit dem MUST-Score vor. In unserem Setting wird bei einem ISAR-Score von ≥ 3 ein Akutkonsil für eine internistisch-geriatrische Evaluierung angefordert – diese findet innerhalb von 24 Stunden statt.
Zur Infektionsprophylaxe erfolgt die Einleitung einer MRSA-Dekontamination der Nase, des Munds und der Haut – entsprechend den WHO-Empfehlungen zur Reduktion von perioperativen Infektionen bei elektiver Hüft- und Knieendoprothetik – noch vor der operativen Versorgung [28]. Initiiert wird zudem eine Substitutionstherapie mit Vitamin D und Kalzium. Zu vermeiden sind lange Liege-/Wartezeiten für die Patienten, ebenso wie deren Auskühlung.
Zeitpunkt der Versorgung
Angestrebt werden sollte eine definitive operative Versorgung in einem Zeitfenster von 24 bis maximal 48 Stunden im Rahmen einer strukturierten anästhesiologischen Risikostratifizierung [14, 17, 29 – 31].
Unfallchirurgischer Entscheidungspfad
Hierbei sind fünf Entscheidungskriterien relevant: Frakturtyp, Patientenalter, funktioneller Anspruch, Op.-Fähigkeit und mentaler Status.
- Kopferhaltende Osteosynthese: unverschobene Fraktur, verschobene Fraktur bei biologisch jungen Patienten und bei Immobilität und sehr hohem perioperativem Risiko
- Teilendoprothetische Versorgung: verschobene Frakturen bei Patienten mit geringerem bis mittlerem funktionellem Anspruch, mentaler Beeinträchtigung und hohem perioperativem Risiko
- Totalendoprothetische Versorgung: bei mental intakten Patienten mit hohem funktionellem Anspruch und geringem perioperativem Risiko
Die Auswahl des traumatologischen Behandlungsverfahrens basiert im Wesentlichen auf den oben genannten fünf Kriterien. Neben der Frakturlokalisation gilt es, den Frakturtyp zu unterscheiden: mediale vs. laterale Schenkelhalsfraktur und stabile respektive undislozierte/valgisch impaktierte vs. instabile dislozierte Frakturen. Wichtig sind ferner das (biologische) Patientenalter (< 65, > 75), der funktionelle Anspruch des Patienten (immobil, eingeschränkt mobil, hochmobil), sein mentaler Status und das individuelle perioperative Risiko (Op.-Fähigkeit/Belastbarkeit innerhalb von 24 – 48 Stunden).
Das heißt: Neben der primären radiologischen Frakturanalyse und der resultierenden Behandlungsoption sind sowohl der individuelle funktionelle Anspruch (bettlägerig vs. hochaktiv) als auch das individuelle Operationsrisiko (gesund vs. multimorbid) für die Verfahrenswahl wesentlich.
Unverschobene oder nur gering verschobene respektive valgisch impaktierte Frakturen werden osteosynthetisch versorgt, da bei konservativer Therapie in bis zu einem Drittel der Fälle mit einer sekundären Dislokation zu rechnen ist. Für instabile, verschobene Schenkelhalsfrakturen stehen entweder ein teilendoprothetischer Ersatz (Hemiprothese) oder ein totalendoprothetischer Ersatz (TEP) zur Auswahl. Die Standzeit einer Hemiprothese, bis eine operative Revision erforderlich ist, beträgt für einen Großteil der Patienten im Schnitt circa neun Jahre. Die Implantation einer Totalendoprothese korreliert mit einer signifikant erhöhten allgemeinen und speziellen Komplikationsrate sowie einer signifikant erhöhten Krankenhausmortalität, vor allem bei Patienten mit eingeschränkter mentaler Funktion.
- eine angemessene Schmerztherapie
- ein initiales internistisch-geriatrisches Screening
- ein initiales Infekt-Screening und eine suffiziente Infekt-Prophylaxe
- eine primäre rasche operative Versorgung
- eine strukturierte und patientenorientierte traumatologische Entscheidungsfindung
- eine stabile knöcherne Verankerung der Endoprothesen-Zementierung
- eine unmittelbare postoperative Mobilisierung und Physiotherapie
- ein Delir-Screening, eine Delir-Prophylaxe und -Therapie
- eine patientenfokussierte, fachübergreifende strukturierte und zielorientierte Zusammenarbeit
Andererseits kann man für altersentsprechend gesunde, körperlich sehr aktive Patienten mit nicht eingeschränkter mentaler Funktion bei Implantation einer Hüfttotalendoprothese mittelfristig bessere funktionelle Ergebnisse erwarten, ohne dass die Rate an Komplikationen wesentlich über der für eine elektive Implantation liegt [32 – 40]. Die Zementierung der Endoprothesen geht nicht mit einer erhöhten Sterblichkeit einher, resultiert aber in einer geringeren Morbidität und Revisionsrate und einem besseren funktionellen Ergebnis [41 – 45].
Ob sich die Verwendung eines monopolaren oder eines bipolaren Prothesenkopfs bei der teilendoprothetischen Versorgung auf das Behandlungsergebnis auswirkt, lässt sich anhand der Literatur nicht belegen. Tendenziell besteht eine höhere Rate an postoperativen Luxationen bei monopolaren Prothesenköpfen [44, 46, 47].
Für nahezu immobile Patienten oder solche mit hohem Operationsrisiko ist auch bei verschobenen Frakturen die Schraubenosteosynthese eine Option [48]. Perioperativ sollte bei endoprothetischer Versorgung eine antibiotische Abdeckung mit einem Cephalosporin der zweiten Generation erfolgen (Viermal-Gabe: einmal präoperativ, dreimal postoperativ) [49]. Wunddrainagen kommen in unserem Setting nur noch ausnahmsweise zur Anwendung.
Postoperative Maßnahmen
Als postoperative Maßnahmen gelten die Frühmobilisation, die Komplikationsprävention, das Delir-Screening und die poststationäre Weiterbehandlung. Lässt es der Allgemeinzustand des Patienten zu, wird er am ersten postoperativen Tag ins Querbett und zum Stehen mobilisiert. Eingebrachte Drainagen entfernt man am ersten postoperativen Tag, einen perioperativ gelegten Harnkatheter spätestens nach 48 Stunden – sofern der Patient auf dem Toilettenstuhl sitzen kann. Die Mobilisation erfolgt unter schmerzadaptierter Vollbelastung der betroffenen unteren Extremität. Anfänglich am Rollator, sofern es der Patient im weiteren Verlauf bewerkstelligen kann, dann an Unterarmgehstützen. Die präoperativ eingeleitete Schmerztherapie ist entsprechend anzupassen.
Besonderes Augenmerk wird auf die Prophylaxe, das Erkennen und die Therapie eines postoperativen Delirs gerichtet. Ein etabliertes Werkzeug zur Erkennung ist z. B. die CAM ("Confusion Assessment Method") [50]. Auf der Station erfolgt eine weitere Evaluierung hinsichtlich der Lebensumstände und der Mobilität des Patienten vor dem Sturzereignis, des Ernährungszustands und des Bedarfs an weiterer Versorgung, ebenso hinsichtlich sturzspezifischer Medikamente und einer Osteoporosetherapie. In der weiteren Betreuung wird angestrebt, innerhalb der ersten drei Tage nach Aufnahme den Bedarf etwa an Betreuung und Hilfsmitteln sowie die erforderlichen Maßnahmen zur Deckung des Betreuungsbedarfs zu klären – mit dem Ziel, den Patienten zwischen dem sechsten und achten postoperativen Tag von der unfallchirurgischen Akutstation in die weitere Betreuung verlegen zu können.
Für Patienten, die vor dem Sturz noch mobil waren, sind weiterführende remobilisierende Maßnahmen essenziell und effektiv, um die Mobilität wiederzuerlangen [51]. Die schon bei der Aufnahme eingeleitete MRSA-Dekontamination wird entsprechend den WHO-Empfehlungen fortgeführt.
Nachdruck aus: JATROS Orthopädie & Traumatologie Rheumatologie 1/2018
