Digitalisierung heißt das neue Zauberwort, mit dem der Gesetzgeber versucht, der immer offener zutage tretenden Knappheit im Gesundheitswesen zu begegnen. Eine der Initiativen ist die Videosprechstunde, die jedoch bislang nicht auf sehr viel Gegenliebe bei den Ärzten stößt. Seit April dieses Jahres können entsprechende Leistungen auch für gesetzlich Versicherte abgerechnet werden – welche technischen Anforderungen der Arzt hierfür erfüllen muss, erfahren Sie in diesem Beitrag.

In seinem Sachbuch "Five Patients" aus dem Jahr 1970 beschreibt der junge Arzt Michael Crichton (der später den "Jurassic Park" erfand) eine der ersten Videosprechstunden, bei dem die Sanitätsstation des Bostoner Flughafens mittels Fernsehübertragung einen Arzt aus einem Krankenhaus der Stadt zur Behandlung von Patienten hinzuziehen konnte. Wer die Fernsehbilder der Mondlandungen kennt, wird sich vorstellen können, wie verschwommen, schwarz-weiß und körnig diese Bilder waren. Und trotzdem sah man diese Technik seinerzeit als zukunftsweisende Möglichkeit, ärztlichen Rat und Hilfe an Orte zu bringen, an denen keine ärztliche Kompetenz vorhanden war.

Fast fünfzig Jahre später haben wir hochauflösendes Video-Streaming über mobile Geräte, überall verfügbar und zu einem Bruchteil des damaligen Preises, und dennoch ist die Video-Kommunikation zwischen Ärzten und ihren Patienten immer noch kein Standard im ärztlichen Werkzeugkasten. Natürlich kann und soll ein rein visueller Kontakt niemals die umfassende körperliche Untersuchung eines Patienten durch einen erfahrenen Arzt ersetzen. Aber wie ist es in Situationen, in denen eine rein visuelle Inaugenscheinnahme ausreicht oder in denen die beratende Hinzuziehung eines entfernten Spezialisten die Behandlung verbessern kann?

Viele Patienten erhoffen sich von einer Videokonsultation auch Erleichterungen, wenn Anfahrt und Zugang zu räumlich weiter entfernten Ärztinnen und Ärzten schwierig ist, sowie weniger Wartezeiten [1].

Technische Voraussetzungen

Im Bereich der Privatversicherten sind Konsultationen per Videoübertragung schon längst Alltag und können regulär über die GOÄ abgerechnet werden [2]. Für die gesetzlich Versicherten haben GKV und KBV im letzten Jahr mit der Definition der Videosprechstunde erstmalig Anwendungsfälle und technische Anforderungen festgelegt und dazu die Möglichkeit der Abrechnung über den EBM geschaffen. Der Einsatz der Videosprechstunde für gesetzlich Versicherte ist allerdings aktuell auf einige wenige Indikationen, wie visuelle Verlaufskontrollen von Wunden und Hauterkrankungen sowie Beurteilungen des Bewegungsapparates oder der Stimme, beschränkt [3] (siehe auch nächster Beitrag "Videosprechstunde: Die Abrechnung").

Um das über Internet übertragene Arzt-Patienten-Gespräch einer Präsenz-Situation im Behandlungszimmer möglichst anzugleichen, stellt die Vereinbarung zwischen GKV und KBV eine Reihe von Anforderungen an den Ablauf der Videosprechstunde sowie die verwendete technische Plattform. Technisch müssen auf beiden Seiten ein Rechner, Tablet oder Mobilgerät mit Internetanschluss, Kamera (mind. 640 x 480 Pixel), Mikrophon, Lautsprecher und Bildschirm vorhanden sein. Für die Videoverbindung selbst muss ein Dienst eines zertifizierten Anbieters verwendet werden, der Sicherheit und Datenschutz seines Dienstes durch entsprechende Zertifikate nachgewiesen hat [4].

Der Ablauf

Die Patientin oder der Patient muss vor der Videosprechstunde schriftlich in deren Durchführung einwilligen. Arzt oder Ärztin benötigen ein Konto bei einem entsprechenden Videodienstanbieter. Für die Sprechstunde wird, wie bei einer Präsenz-Sprechstunde auch, vorab ein gemeinsamer Termin vereinbart. Zur vereinbarten Zeit melden sich beide Seiten auf der Webseite des Videodienstanbieters an. Dieser verbindet die Gesprächspartner und stellt sicher, dass ihre Verbindung gegenüber anderen Teilnehmern abgeschirmt ist und alle übertragenen Daten Ende-zu-Ende verschlüsselt werden. Wurde die Verbindung erfolgreich hergestellt, übergibt der Videodienstanbieter diese direkt den Geräten der Gesprächsteilnehmer, so dass die übertragenen Videodaten des Gesprächs nur zwischen diesen Geräten ausgetauscht werden (sog. Peer-to-Peer-Verbindung). Der Videodienstanbieter selbst ist nicht in der Lage, den Datenstrom mitzulesen oder zu speichern. Diese Anforderung wird von herkömmlichen Video-Chats wie beispielsweise Skype oder WhatsApp nicht angeboten, da deren Datenströme immer über zentrale Server geleitet werden.

Videosprechstunde und Berufsgeheimnis

Obwohl KBV und GKV sich durch entsprechende Anforderungen an Prozess und Technik bemüht haben, das ärztliche Berufsgeheimnis bei einer Videosprechstunde genauso zu schützen wie bei einem Präsenz-Gespräch, gibt es aufgrund technischer Gegebenheiten gewisse Einschränkungen. Da die Teilnehmer stets nur das Kamerabild ihrer Gegenseite sehen, ist nicht auszuschließen, dass sich weitere Personen außerhalb des sichtbaren Bereichs verbergen. Dass sich, wie gefordert, alle anwesenden Personen vor Beginn des Gesprächs vorstellen und sichergestellt ist, dass keine Unbefugten mithören können, kann daher nicht garantiert werden. Auch kann die Identität der Patienten selbst durch technische Verfahren nicht eindeutig verifiziert werden.

Sind die Patienten dem Arzt nicht persönlich bekannt, etwa bei Anmeldung über Online-Buchung zur privat abzurechnenden Videosprechstunde, kann der Arzt oder die Ärztin nicht prüfen, ob die vom Patienten eingegebenen und vom Videodienstanbieter angezeigten identifizierenden Patientendaten "echt" sind. Zum Schutz der Privatsphäre des Patienten darf kein Teilnehmer die durchgeführte Videosprechstunde aufzeichnen. Rein technisch kann allerdings nicht verhindert werden, dass der teilnehmende Patient oder die Patientin das Gespräch nicht doch aufzeichnet. Zur Beweissicherung für eventuelle Haftungsfälle sowie für die eigene Patientendokumentation wäre es auch aus ärztlicher Sicht wünschenswert, das Gespräch zu protokollieren – hier muss vom Gesetzgeber nachgebessert werden.

Geschäftsmodell Videosprechstunde?

Da Ärztinnen und Ärzte für die Durchführung der Videosprechstunde einen zertifizierten kostenpflichtigen Videodienstanbieter nutzen müssen, lohnt sich die Durchführung von Videosprechstunden wirtschaftlich nicht unbedingt. Sie erhalten für maximal 47 mögliche Videosprechstunden im Quartal einen Technik- und Förderzuschlag von je 4,21 Euro (GOP 01450). Den durch die Vergütung insgesamt zu erzielenden möglichen Einnahmen von maximal 632 Euro/Quartal stehen Kosten für den Videodienstanbieter zwischen 90 und 200 Euro im Quartal entgegen.

Ob sich das vor dem Hintergrund des begrenzten Indikationskataloges gerade für Allgemeinmediziner rechnet, muss jeder für sich selbst entscheiden – die Videosprechstunde kostet gerade am Anfang oder wenn die Technik nicht reibungslos läuft, sicherlich mehr Zeit als die reale Sprechstunde [5].

Indikationskatalog und Ausgestaltung der Leistungsziffern zeigen jedoch, dass die Videosprechstunde den direkten Arzt-Patienten-Kontakt nicht ersetzen soll, sondern ein neues, zusätzliches Werkzeug für Ärztinnen und Ärzte bereitstellt, das Patientenkontakte auch zu Zeiten und an Orten ermöglicht, an denen eine ärztliche Präsenz nicht möglich ist und ein Gespräch oder eine Inaugenscheinnahme ausreicht. Hier obliegt es jetzt der Ärzteschaft, dieses Werkzeug zu nutzen und neuen Anwendungsfällen zuzuführen.


Literatur:
(1) https://www.aerztezeitung.de/praxis_wirtschaft/e-health/article/940868/e-health-drei-zehn-deutschen-wollen-videochat-arzt.html
(2) https://www.teramed.de/magazin/praxismanagement_11_11/die-neue-videosprechstunde-in-der-praxis-r109/
(3) http://www.kbv.de/media/sp/Anlage_31b_Videosprechstunde.pdf
(4) http://www.kbv.de/html/videosprechstunde.php
(5) http://www.allgemeinarzt-online.de/a/videosprechstunde-ersetzt-keine-aerzte-und-schafft-distanz-1815331, https://www.teramed.de/magazin/praxismanagement_11_11/die-neue-videosprechstunde-in-der-praxis-r109/


Autor:

Alexander Wilms

Alexander Wilms betreut seit über 15 Jahren die allgemeinärztliche Praxis seiner Frau in IT-Fragen und war maßgeblich an der Entwicklung von RED Medical, der ersten webbasierten Arztsoftware, beteiligt. Die Server stehen in einem deutschen Hochsicherheits-Rechenzentrum. Die Patientendaten werden ausschließlich verschlüsselt gespeichert. Die Software hat alle maßgeblichen Zertifizierungen der KBV und das Datenschutzgütesiegel des Unabhängigen Landesdatenschutzzentrums (ULD) und des TÜV Saarland.

Erschienen in: Der Allgemeinarzt, 2017; 39 (20) Seite 70-74