Ein Typ-1-Diabetes bei Kindern wird später diagnostiziert, als es wünschenswert wäre. Unspezifische Symptome locken häufig auf eine falsche Fährte. Dabei ließe sich der Zuckerkrankheit leicht auf die Spur kommen: mit der Frage nach übergroßen Trink- und Urinmengen und gegebenenfalls einer einzigen kapillären Blutzuckermessung.

Warum ein neu aufgetretener Typ-1-Diabetes bei Kindern leicht übersehen wird, führen Keya Ali und Kollegen von der Universität Oxford [1] in erster Linie auf die unspezifischen klinischen Merkmale zurück, vor allem bei Kindern unter zwei Jahren. Als Frühsymptome sind bei kleinen Kindern Kopfschmerz, Obstipation, abdominelle Schmerzen, Erbrechen sowie orale (Soor) und vaginale Pilzinfektionen beschrieben. Wie eine Untersuchung eines kanadischen Forscherteams zeigt, war etwa jedes dritte Kind mit neu diagnostiziertem Diabetes wegen entsprechender Symptome schon mindestens einmal beim Arzt, ohne dass die Stoffwechselkrankheit erkannt worden wäre. Stattdessen führten die Behandler die Beschwerden fälschlicherweise auf eine Atemwegsinfektion, einfache Candidiasis, Gastroenteritis, Harnwegsinfektion, Stomatitis oder Appendizitis zurück, berichten Ali und Kollegen.

Fallbeispiel: Mit Bauchschmerzen und Erbrechen bringt die Mutter ihren siebenjährigen Jungen zur Hausärztin. Diese vermutet eine Appendizitis, will aber zunächst eine Harnwegsinfektion ausschließen. Ein Urinstix ist positiv auf Glukose und Ketone. Auf Nachfrage erfährt die Ärztin, dass der Junge seit einiger Zeit nachts einnässt. Die Mutter hatte das auf Stress in der Schule und Mobbing durch Klassenkameraden zurückgeführt. Die Hausärztin weist das Kind zur Behandlung der diabetischen Ketoazidose sofort ins Krankenhaus ein.

Häufigstes Symptom: Einnässen

Als Hauptsymptome eines Diabetes treten bei Kindern aller Altersgruppen offenbar Polyurie und Polydipsie auf (Kasten 1). Sie kommen bei bis zu drei Vierteln der Kinder im Schulalter vor, berichten Ali und Kollegen. Doch nach ihren Erfahrungen werden große Trink- und Urinmengen von den Eltern eventuell nicht erwähnt, ignoriert (insbesondere von Jugendlichen) oder falsch interpretiert – selbst wenn Kinder wieder mit Bettnässen beginnen, die bereits trocken waren.

Fragen Sie die Eltern daher unbedingt nach Polyurie und Polydipsie und untersuchen Sie Kinder mit Polyurie, Polydipsie und Gewichtsverlust auf Diabetes, mahnt das Autorenteam. Nur so lasse sich weitere Gefahr von den Kindern abwenden: Denn bereits innerhalb von 24 Stunden nach der Erstvorstellung können sie eine Dehydratation und Azidose entwickeln, wobei unter Zweijährige am meisten gefährdet sind. Ali und Kollegen verweisen auf eine britische Studie, die zeigte, dass bei verspäteter Diabetes-Di­agnose weit häufiger bereits eine diabetische Ketoazidose vorlag als bei Kindern, bei denen der Diabetes sofort erkannt worden war (52 % vs. 21 %). Als Anzeichen für eine Ketoazidose (Kasten 2), die umgehend stationär von einem auf Kinder-Diabetes spezialisierten Team behandelt werden sollte, gelten schwere Dehydratation, Erbrechen, Kussmaul-Atmung, eingeschränkte Bewusstseinslage und Bauchschmerzen. Sie können jedoch fälschlicherweise als Symptome eines akuten Abdomens, einer Gastroenteritis, als akutes Asthma oder Pneumonie gedeutet werden. Biochemische Kriterien für eine Ketoazidose sind: pH < 7,3, Bikarbonat < 15 mmol/L, Hyperglykämie > 11 mmol/L assoziiert mit Ketonurie bzw. Ketonnachweis im Serum.

Ein erhöhter Blutzuckerwert genügt

Bei Diabetesverdacht sollte die Konsultation erst dann beendet sein, wenn eine entsprechende Diagnose gestellt oder ein Diabetes ausgeschlossen wurde, mahnen Ali und Kollegen. Die Diagnose erfordert nur eine einzige Blutzucker-Sofortmessung in der Praxis: Nachdem sich das Kind bzw. der Jugendliche die Hände gewaschen und gründlich abgetrocknet hat, wird die kapilläre Blutglukose bestimmt. Werte über 11,1 mmol/L (200 mg/dl) weisen auf einen Diabetes hin. In diesem Fall ist das Kind oder der Jugendliche noch am selben Tag zur weiteren Untersuchung in ein Krankenhaus einzuweisen. Auf die Ergebnisse eines Nüchtern-Blutzuckertests oder der Urinuntersuchung sollte nicht gewartet werden, da in der Zwischenzeit eine Ketoazidose auftreten kann. Die Ergebnisse der kapillären Blutglukosebestimmung werden im Krankenhaus durch eine Blutglukosebestimmung im Labor überprüft. Ebenso sollten hier das TSH und Schilddrüsenautoantikörper (TPO-AK, Tg-AK) bestimmt und das Kind auf Zöliakie untersucht werden, empfehlen die Leitlinien der Deutschen Diabetes-Gesellschaft [2].

Erstbehandlung in der Klinik

Bereits am Überweisungstag erhält das Kind bzw. der Jugendliche in der Klinik zum ersten Mal Insulin. Behandlungsstandard ist die intensivierte Insulintherapie (&gt; 3 Injektionen/Tag) mit Human­insulin oder Insulin­analoga [2]. Bis zum Vorschulalter ist eine Pumpentherapie mit kurzwirksamen Analoga zu erwägen. Angestrebt wird ein HbA1c-Wert unter 7,5 %, ohne dass schwerwiegende Hypoglykämien auftreten. Auch Blutzuckerschwankungen sollen möglichst gering gehalten werden.

Grundpfeiler eines langfristig erfolgreichen Diabetes-Managements ist die Schulung des Kindes und der Familie. Sie müssen zügig alle praktischen Techniken erlernen zur Insulininjektion, Blutzuckermessung und Behandlung leichter Hypoglykämien. Zudem empfehlen die Leitlinien eine psychosoziale Beratung.

Stefanie Lindl-Fischer


Literatur
1) Ali K, Harnden A, Edge JA Praxis 2011; 100 (18): 115 – 117
2) Leitlinie der Deutschen Diabetes-Gesellschaft: Diagnostik, Therapie und Verlaufskontrolle des Diabetes mellitus im Kindes- und Jugendalter. 2009

Erschienen in: Der Allgemeinarzt, 2012; 34 (8) Seite 54-55