Dem ärztlichen Gespräch wird weder im Krankenhaus noch im ambulanten Sektor ausreichend Zeit eingeräumt. Dabei ist die Sprechende Medizin die Basis des ärztlichen Handelns.

"Ich war bei meiner Heilpraktikerin und ich soll jetzt Nahrungsergänzungsmittel einnehmen. Für 435 €. Plus 80 € für das Gespräch. Aber naja, sie nimmt sich ja auch die Zeit und hört mir zu." Oder: "Beim [Facharzt] war ich nach zwei Minuten schon fertig. Er hat mir gar nicht zugehört."

Solche oder ähnliche Sätze höre ich öfter und sie drücken aus, dass in unserem Gesundheitswesen einiges im Argen liegt und dem ärztlichen Gespräch sowohl im Krankenhaus als auch im ambulanten Sektor nicht ausreichend Zeit eingeräumt wird. Dabei ist die Sprechende Medizin die Basis unseres ärztlichen Handelns und ihr sollte ein hohes Maß an Aufmerksamkeit zukommen. Dem entgegen stehen volle Wartezimmer, (Fach-)Ärztemangel insbesondere auf dem Land und mangelnde Honorierung des gesprochenen Wortes.

Das Sprechen ist eine ärztliche Handlung, und es wirkt. Diese ärztliche Handlung umfasst multiple Themen der Arzt-Patienten-Beziehung: das ärztliche Gespräch, das Informieren und Aufklären der Patient:innen, das Erarbeiten und Besprechen von Erwartungen, Möglichkeiten und Prognosen, die Übermittlung schwieriger Diagnosen sowie Fragen der Therapietreue. Die Sprechende Medizin steht damit konträr zur Apparativen Medizin, dabei sollten diese sich gegenseitig ergänzen. Die Apparative Medizin hat durch immer bessere, technische Möglichkeiten immer mehr an Bedeutung gewonnen. Diese Möglichkeiten sind eine Errungenschaft der modernen Medizin und ein Segen. Dennoch darf nicht außer Acht gelassen werden, dass ein Zuviel an apparativer Diagnostik auch immer Diagnosen zum Vorschein bringt, die keinen Krankheitswert haben. Ein Zuviel an Medikamenten erhöht die Wahrscheinlichkeit für Arzneimittelinteraktionen. Und ein Zuwenig an Sprechender Medizin treibt die Menschen in die sogenannten "alternativmedizinischen Bereiche", in denen zuweilen nicht evidenzbasierte Behandlungen erfolgreich sind, allein weil der Placeboeffekt und die menschliche Zuwendung heilende Wirkung haben können.

Fakt ist aber doch: Wir als Ärzt:innen machen Medizin, und das Sprechen gehört grundlegend dazu, dafür sollte man nicht zu selbsternannten Heiler:innen gehen müssen, von denen manche den Patient:innen viel Geld abknöpfen und fragwürdige Methoden durchführen. Durch das intensive, ärztliche Gespräch finden wir heraus, wie viel es an einer apparativen Diagnostik bedarf und wo wir sie uns sparen können. Durch das Sprechen kommen wir tieferliegenden Problemen auf den Grund und darüber hinaus hat es per se eine helfende Wirkung. Eine sorgfältige Anamnese, die gemeinsame Entscheidungsfindung und das Erklären von Krankheit oder auch von Gesundheit fördern die Adhärenz und tragen zu einer besseren Genesung bei. Wir brauchen die Zeit, um mit unseren Patient:innen reden zu können. Es wäre schön, wenn diese Zeit auch angemessen honoriert würde.

Von Frau Dr. Koock ist auch das Buch "Frau Doktor, wo ich Sie gerade treffe …" im Verlag Droemer Knaur erschienen (ISBN: 978-3-426-79091-5)



© Fingerfoto.de/Franziska Finger
Dr. med. Ulrike Koock

ist Ärztin in Weiterbildung Allgemeinmedizin und arbeitet derzeit als Hausärztin in einer Allgemeinarztpraxis 61130 Nidderau

Erschienen in: doctors|today, 2021; 1 (7) Seite 5