Bei genauerer Betrachtung der digitalen Entwicklung der Branche könnte eine „Amazonisierung“ des deutschen Gesundheitswesens drohen.

Vor diesem Hintergrund haben ETL ADVISION und Civey einen Blick auf die digitale Entwicklung des deutschen Gesundheitswesens geworfen und die Ergebnisse im Meinungsbarometer „Der amazonisierte Patient − was Versandhandelskunden und Patienten gemeinsam haben“ aufbereitet. Die Umfrage unter niedergelassenen Ärzt:innen möchte einen aussagekräftigen Blick auf die Stimmung und die Veränderungsbereitschaft von Praxen und Patient:innen bieten. Unter Berücksichtigung der digitalen Trends der Gesellschaft sowie sich abzeichnenden veränderten Patientenbedürfnissen werden insbesondere Parallelen und Synergien zur Entwicklung von Online- und stationärem Einzelhandel bewertet.

Über die Umfrage

Zwischen dem 17.9. und dem 22.11.2021 wurden rund 200 niedergelassene Ärzt:innen befragt. Verwendet wurde ein vielseitiger Fragenkatalog: z.B. zum derzeitigen und erwarteten Patientengruppen-Verhalten im digitalen Bereich, zur Einführung digitaler Angebote in Arztpraxen sowie möglichen Hindernissen und Ablehnungsgründen. Ziel ist es, nicht nur den aktuellen Stand der Digitalisierung im Gesundheitswesen widerzuspiegeln, sondern auch die Veränderungsbereitschaft der Branche zu reflektieren sowie Herausforderungen und Hürden aufzuzeigen.

Was steckt dahinter?

„Das Patientenverhalten unserer Gesellschaft verändert sich. Profiteure werden die Mediziner sein, die veränderte Patientenbedürfnisse erkennen und darauf aktiv reagieren. Es ist eine offene Einstellung und Mut gefragt, um die eigene Praxis auf das neue Zeitalter einzustimmen“, so die grundlegende Annahme des Meinungsbarometers: In der derzeitigen Digitalisierung des Gesundheitswesens erkennen die Studienautoren Parallelen zur Entwicklung im Einzelhandel, wo der Boom des E-Commerce mit einem Niedergang des stationären Handels einhergeht. Dort seien mittlerweile große Zusammenschlüsse und Ketten vorherrschend. Kleine Geschäfte hingehen müssten heutzutage ideenreich und innovativ sein, um sich in ihrer Nische behaupten zu können. „Spätestens mit der Pandemie“, so heißt es in der Publikation, „haben digitale Veränderungen auch das Bewusstsein der Patienten erreicht.“ Seit Jahren sei im Gesundheitswesen z.B. ein Trend zu größeren Praxen und medizinischen Zusammenschlüssen erkennbar. „E-Health-Leistungen“ hätten langfristig das Potenzial, die Bedürfnisse der Patienten noch besser zu bedienen und ihr Einsatz werde folglich immer mehr eingefordert. Aus Onlineshoppenden könnten in diesem Sinne auch „Onlinepatienten“ werden. Das habe aber auch das Potenzial, eine patientenorientierte im deutschen Gesundheitswesen weiter voranzubringen, auch im Sinne der niedergelassenen Mediziner:innen.

Der Glaube an eine digitale Zukunft

ETL ADVISION wollte in der Civey-Umfrage von den Teilnehmenden u.a. wissen, wie aufgeschlossen die Ärzt:innen in Deutschland gegenüber der Einführung einer Videosprechstunde oder anderen digitalen Angeboten wie der elektronischen Patientenakte (ePA) oder dem E-Rezept sind. Weitere Fragen zielten auf die Erfahrung der Mediziner im Umgang mit den Patienten um Auskunft darüber zu erhalten, inwiefern digitale Angebote von Patienten angenommen bzw. eingefordert werden und welche Patientengruppen z.B. Videosprechstunden bevorzugen.

Dabei zeigt sich eine durchaus ambivalente Haltung der niedergelassenen Ärzteschaft gegenüber digitalen Angeboten: Zwar identifizieren über die Hälfte der Befragten die Corona-Pandemie als Beschleuniger für die Einführung von Videosprechstunden in ihrer Branche und 37,3 % geben an, dass solche digitalen Angebote eine sinnvolle Ergänzung für die medizinische Versorgung der Patienten auf dem Land bedeuten. Doch das Potenzial einer Videosprechstunde für die Attraktivität der eigenen Praxis sieht nur jeder Zehnte. Zudem geben 63,5 % an, in den nächsten beiden Jahren keine Einführung von Videosprechstunden zu planen. Ein Drittel der Befragten wiederum hat den Service bereits im Angebot bzw. in Planung oder ist noch unentschlossen.

Ein Grund für diese Skepsis könnte in den Schwierigkeiten und hohen Hürden bei der praktischen Umsetzung begründet liegen. So bemängeln jeweils rund 30 % der befragten Ärzt:innen Unklarheiten beim Datenschutz sowie zu langsame Internetverbindungen. Rund 41 % nennen ein zu geringes Honorar für Videosprechstunden. Probleme, bei denen die Politik gefragt ist, den Praxen Unterstützung zu leisten.

Aus der Pflicht eine Kür machen

Angesichts der fortschreitenden Digitalisierung und sich verändernder Patientenbedürfnisse warnt die Studie vor Stillstand: „Das Vogel-Strauß-Prinzip“, so Janine Peine, „wird zumindest langfristig keine Lösung sein. Diesen Praxen wird es sonst ähnlich ergehen wie seinerzeit dem Einzelhändler.“ Die Umfrageergebnisse zeigen aber auch, dass gerade kein grundsätzlicher Widerstand der Ärzteschaft gegenüber digitalen Angeboten vorhanden ist. Für die Mehrheit der befragten Ärzt:innen ist das tatsächliche Potenzial für die eigene Praxis allerdings noch nicht schlüssig erkennbar.

ETL ADVISION Meinungsbarometer "Der amazonisierte Patient":
http://www.etl-advision.de/aktuelles/etl-advision-meinungsbarometer-der-amazonisierte-patient


Quelle
ETL ADVISION





Erschienen in: Der Allgemeinarzt, 2019; 41 (x) Seite xx-xx