Der Ikterus beschreibt eine Gelbfärbung der Haut, der Schleimhäute und der Skleren, die sich ab einem Bilirubinwert von 2 mg/dl bemerkbar macht. Der Ikterus ist in vielen Fällen das erste Zeichen einer hepatobiliären oder pankreatischen Erkrankung mit unterschiedlichen therapeutischen Ansätzen, aber auch unterschiedlichen Prognosen. Aus diesem Grund ist eine systematische Annäherung an die Diagnose essenziell.

Eine 88-jährige Patientin stellt sich aufgrund eines zunehmenden Ikterus vor. Sie berichtet, dass sie vor wenigen Tagen zuerst eine Gelbfärbung der Skleren bemerkt habe, im Verlauf habe sich auch die Haut gelblich verfärbt und sie leide an einem starken Juckreiz. Es bestünden keine abdominellen Schmerzen. Des Weiteren berichtet die Patientin über eine zunehmende Abgeschlagenheit, Nachtschweiß sowie über eine deutliche Gewichtsabnahme. Auf gezielte Nachfrage beschreibt sie eine Entfärbung des Stuhls sowie einen zunehmend dunkler werdenden Urin.

Befund:

Bei der körperlichen Untersuchung ist der Auskultationsbefund der Lunge und des Herzens unauffällig. Bei der abdominellen Palpation lässt sich kein Druckschmerz auslösen, die Darmgeräusche sind regelrecht. Am ganzen Körper finden sich eine Gelbfärbung sowie Exkoriationen als Hinweise auf einen starken Juckreiz.

Laborwerte:

Laborchemisch fällt eine leichte normochrome, normozytäre Anämie, ein Bilirubin von 11,3 mg/dl, eine Alkalische Phosphatase von 196 U/l, eine γ-GT von 981 U/l, eine AST von 102 U/L und eine ALT von 98 U/l auf.

Fragen:

  1. Was könnte die Ursache des neu aufgetretenen Ikterus sein?
  2. Welche weiterführende Diagnostik ist indiziert?
  3. Welche symptomlindernden Maßnahmen können bezüglich des Juckreizes unternommen werden?

Verlauf:

Der schmerzlose Ikterus und die beschriebene B-Symptomatik (Nachtschweiß, Gewichtsabnahme) lassen in erster Linie an ein Pankreaskarzinom denken. In der initial durchgeführten Abdomensonographie zeigten sich dann auch tatsächlich im Bereich des Pankreaskopfes eine inhomogene Raumforderung und eine intra- und extrahepatische Cholestase. Computertomographisch bestätigte sich der Verdacht auf ein Pankreaskarzinom. Zudem zeigten sich multiple Lebermetastasen mit einer maximalen Größe von 2 cm. Die Computertomographie des Thorax konnte eine pulmonale Metastasierung ausschließen. Zur histologischen Sicherung wurde eine der Lebermetastasen unter sonographischer Kontrolle punktiert. Das Ergebnis zeigte eine Metastase eines Adenokarzinoms des Pankreas. Im weiteren Verlauf erfolgte die Einlage einer Gallengangsendoprothese über eine ERCP (endoskopisch retrograde Cholangiopankreatographie) zur Überbrückung der im CT nachgewiesenen tumorbedingten Stenose des Ductus hepatocholedochus. Nach erfolgter suffizienter Galleableitung besserte sich der Juckreiz mit fallendem Bilirubin.

Nach Diskussion des Falles im interdisziplinären Tumorboard fiel die Entscheidung zur Einleitung einer palliativen Chemotherapie mit Gemcitabine und Abraxane® (Paclitaxel als Nanopartikel an Albumin gebunden).

Pathophysiologie des Ikterus

Über 80 % des Bilirubins entstehen durch den Abbau des Hämoglobins aus den Erythrozyten, welches zuerst zu Biliverdin konvertiert und dann in wasserunlösliches Bilirubin (unkonjugiertes Bilirubin, indirektes Bilirubin) über eine Reihe von enzymatischen Reaktionen verändert wird. Bilirubin wird an Albumin gebunden, von welchem es in den Sinusoiden der Leber gelöst und aktiv von den Hepatozyten aufgenommen wird. In den Hepatozyten erfolgt eine Glucuronidierung des Bilirubins über die UDG-Glucuronyltransferase mit der Folge, dass das Bilirubin wasserlöslich wird und über die Galle ausgeschieden werden kann (konjugiertes Bilirubin, direktes Bilirubin). 98 % des Bilirubins in der Galle werden im Darm jedoch nicht resorbiert, sondern durch Bakterien zu Urobilinogen umgewandelt. Hiervon werden 20 % resorbiert und gelangen in den enterohepatischen Kreislauf. Die restlichen 80 % werden über den Stuhl ausgeschieden.

Symptome des Ikterus

Klinisch zeigt sich ein Ikterus zuerst an den Skleren, da diese einen hohen Gehalt an Elastin besitzen, welches eine ausgeprägte Bindungsaffinität zum Bilirubin zeigt [1]. Bei zunehmender Hyperbilirubinämie entwickelt sich eine Gelbfärbung der Haut. Wie in dem beschriebenen Fall leiden die Patienten mit einem Ikterus oft an einem ausgeprägten Juckreiz, welcher durch eine Vielzahl unterschiedlicher Mediatoren, unter anderem Gallensäuren, Serotonin, Histamin und andere, verursacht wird [2]. Dieses Symptom ist oft sehr schwer zu behandeln.

Angriffspunkte in der medikamentösen Therapie sind eine Entfernung des Juckreiz-auslösenden Agens aus dem enterohepatischen Kreislauf mit nicht-absorbierbaren Anionenaustauschern (Ursodesoxycholsäure 10 – 15 mg/kg KG, Cholestyramin 4 – 16 g/d) und falls möglich durch eine adäquate Galleableitung, eine Veränderung des Metabolismus der puritogenen Substanzen (Rifampicin 300 – 600 mg/d) oder durch eine Modifikation der neuralen Signalübertragung des Juckreizes (Antihistaminika, Antidepressiva, z. B. Sertralin 100 mg/d, Opiatantagonisten, z. B. Naltrexon 50 mg/d) [3].

Die Ursachen des Ikterus

Die Ursachen des Ikterus sind vielfältig und es empfiehlt sich hierbei eine Einteilung anhand des physiologischen Metabolismus des Bilirubins.

a) Vermehrter Bilirubinanfall, eingeschränkte Aufnahme des Bilirubins in die Hepatozyten oder eingeschränkte Glucuronidierung (prähepatischer Ikterus)

In diesen Fällen lässt sich laborchemisch ein erhöhtes unkonjugiertes Bilirubin nachweisen. Tritt eine Hämolyse auf, so kommt es im Organismus zu einem vermehrten Auftreten von nicht gebundenem Bilirubin. Steigt die Menge des unkonjugierten Bilirubins auf mehr als das Dreifache der Norm an, ist die Kapazität der UDP-Glucuronyltransferase erschöpft. In der Folge kommt es zu einem Anstieg des unkonjugierten Bilirubins im Serum. Weiterhin kann die Aufnahme des Bilirubins in die Hepatozyten eingeschränkt sein. Dies findet sich beispielsweise bei einem Leberversagen, einem portosystemischen Shunt, als unerwünschte Wirkung bestimmter Medikamente, wie z. B. Rifampicin, aber auch bei einem Rechtsherzversagen.

Eine eingeschränkte Glucuronidierung findet statt bei genetischen Erkrankungen, wie dem Gilbert-Meulengracht-Syndrom und dem Crigler-Najjar-Syndrom. Auch eine fortgeschrittene Leberzirrhose, ein Hyperthyreoidismus und bestimmte Medikamente (insbesondere Östrogenpräparate) können zu einer verminderten Glucuronidierung führen.

b) Gestörte Bilirubinverarbeitung (intrahepatischer Ikterus)

Bei einer hepatobiliären Schädigung unterschiedlicher Genese findet sich eine gestörte Verarbeitung des Bilirubins. Hierbei zeigt sich ein Anstieg des unkonjugierten und auch des konjugierten Bilirubins in unterschiedlichem Ausmaß. Dies ist auf den unterschiedlichen Ort der Schädigung des Hepatozyten zurückzuführen. Ein erhöhtes konjugiertes Bilirubin lässt auf eine Schädigung des Hepatozyten "nach der Glucuronidierung" schließen. Tabelle 1 fasst typische Ursachen zusammen.

c) Gestörter Bilirubinabfluss (extrahepatischer Ikterus)

Einen gestörten Bilirubinabfluss findet man bei Verlegung der intra- und extrahepatischen Gallengänge. Typische Ursachen hierbei sind eine Choledocholithiasis, Tumoren (Pankreaskarzinom, Klatskin-Tumor, Cholangiozelluläres Karzinom, Hepatozelluläres Karzinom), eine primär sklerosierende Cholangitis (PSC), eine akute oder chronische Pankreatitis oder gutartige, beispielsweise postoperative Strikturen der Gallengänge.

Die diagnostische Abklärung des Ikterus

Die Anamnese stellt in der diagnostischen Abklärung des Ikterus einen wichtigen Bestandteil dar. Wichtige Fragen beziehen sich hierbei in erster Linie auf die Stuhl- und Urinfarbe, da diese bereits eine erste differenzialdiagnostische Einordnung der Ursache des Ikterus liefern können. Steigt beim prähepatischen Ikterus das unkonjugierte, wasserunlösliche Bilirubin an, kommt es zu keiner Änderung der Urin- und Stuhlfarbe. Beim hepatischen Ikterus steigen hingegen das unkonjugierte und das konjugierte Bilirubin an mit der Folge einer Entfärbung des Stuhls und einer konsekutiven Dunkelfärbung des Urins. Beim posthepatischen Ikterus zeigt sich die gleiche Konstellation.

Eine weitere wichtige Frage richtet sich nach dem Auftreten von Schmerzen und deren Charakter. Ein schmerzloser Ikterus ist bis zum Beweis des Gegenteils höchstverdächtig auf eine Neoplasie des Pankreas oder der Gallenwege und bedarf einer zügigen Abklärung, während kolikartige Schmerzen eher an eine Choledocholithiasis denken lassen.

Weitere gezielte Fragen sollten Komorbiditäten (z. B. chronisch-entzündliche Darmerkrankung als Hinweis auf eine cholestatische Hepatopathie, insbesondere eine primär sklerosierende Cholangitis), möglicherweise stattgefundene Therapien (Chemotherapie, operative oder interventionelle Eingriffe) sowie Allgemeinsymptome (Fieber, Gewichtsverlust, Nachtschweiß, Übelkeit und Erbrechen) als mögliche Hinweise auf ein Infektgeschehen oder eine systemische Erkrankung erfassen.

Des Weiteren sollte nach Ikterus-spezifischen Symptomen wie dem Juckreiz gefragt werden, da dieser mit einem für den Patienten hohen Leidensdruck einhergeht.

Weitere diagnostische Schritte umfassen laborchemische Analysen, insbesondere Transaminasen (ALT, AST), Cholestaseparameter (ALP, γ-GT, Bilirubin gesamt, Bilirubin direkt) sowie Blutbild, LDH, Haptoglobin und die Gerinnungsparameter, insbesondere die Prothrombinzeit.

Als weitere diagnostische Schritte kommen dann bildgebende Verfahren zum Einsatz. Darunter spielt die Abdomensonographie als initiale Bildgebung eine entscheidende Rolle. Mit einer Sensitivität von 55 – 91 % können erweiterte Gallengänge, eine Choledocholithiasis und in vielen Fällen auch erste Hinweise auf eine maligne Ursache des Ikterus nachgewiesen werden [5]. In einem weiteren Schritt kommen endoskopische Verfahren, insbesondere die ERCP (endoskopisch retrograde Chol-
angiopankreatographie), und schnittbildgebende Verfahren (CT, MRCP) zum Einsatz. Bei letztendlich weiterhin unklarem Ikterus stellt die Leberblindpunktion die Ultima Ratio dar. Abbildung 2 zeigt einen möglichen diagnostischen Algorithmus beim Leitsymptom Ikterus.

Zusammenfassung

In der Diagnostik des Ikterus spielt die Anamnese eine herausragende Rolle. Anhand bestimmter Leitsymptome kann bereits aus dem ersten Gespräch auf eine mögliche Ursache des Ikterus geschlossen werden. Gezielte laborchemische Analysen können weitere Hinweise auf die mögliche Genese des Ikterus geben und bestimmen zudem die weitere radiologische und/oder endoskopische Diagnostik.


Literatur:
1. Moses RA, Grodzki WJ Jr, Starcher BC, Galione MJ (1978) Elastin content of the scleral spur, trabecular mesh, and sclera. Invest OphthalmolVis Sci: 17: 817-818
2. Bassari R, Koea JB (2015). Jaundice associated pruritis: A review of pathophysiology and treatment, World J Gastroenterol 21(5): 1404-1413
3. Beuers UH, Boberg KM, Chapman RW, Chazouilleres O, Invernizzi P, Jones DE (2009) EASL clinical practice guidelines: managment of cholestatic liver diseases. J Hepatol; 51: 237-267
4. Houlihan D et al. Investigation of jaundice, MEDICINE 39:9
5. Pedersen OM , Nordgard K, Kvinnsland S. (1987) Value of sonography in obstructive jaundice. Limitations of bile duct caliber as an index of obstruction. Scand J Gastroenterol 1987; 22:975e81.


Autor:

Dr. med. Dominik Bettinger,Freiburg (Foto)

Prof. Dr. med. Robert Thimme
Dr. med. Michael Schultheiß

Universitätsklinikum Freiburg
Department Innere Medizin
Klinik für Innere Medizin II
79106 Freiburg

Interessenkonflikte: Die Autoren haben keine deklariert.


Erschienen in: Der Allgemeinarzt, 2015; 37 (11) Seite 37-42