Raus aus den Kinderschuhen, rein ins Erwachsenenleben: Wenn junge Menschen mit chronischen Erkrankungen in die Pubertät kommen, ändert sich grundlegend die medizinische Betreuung von der pädiatrisch orientierten hin zur Erwachsenenmedizin. Dieser Prozess, die Transition, geschieht oft nicht reibungslos. Im Kindesalter haben die Eltern das Sagen und die Führung der Patienten gelingt meist gut. Mit zunehmendem Alter wird die Zusammenarbeit zwischen Arzt und Patient schwieriger. Eine effektive ärztliche Betreuung im Transitionsprozess ist jedoch das A und O für eine erfolgreiche Behandlung dieser jungen Patienten.
Transition ist definiert als "Übergangszeit vom Jugend- ins Erwachsenenalter, in der die Überleitung von Menschen mit speziellem medizinischen Versorgungsbedarf von der Pädiatrie zur Erwachsenenmedizin stattfindet" (Sondergutachten des Sachverständigenrates zur Begutachtung der Entwicklung im Gesundheitswesen 2009).
Defizite in der ärztlichen Betreuung in dieser Phase sehen auch die Jugendlichen selbst. So erlebt etwa die Hälfte der jungen Diabetiker und Rheumapatienten den Übergang ins Erwachsenenalter als medizinisch schlecht organisiert. Die Prävalenz chronischer Erkrankungen im Kindes- und Jugendalter liegt in Deutschland bei ca. 16 % und nimmt weiter zu. Das Spektrum reicht von ADHS, angeborenen Herzfehlern und Asthma bronchiale über chronisch entzündliche Darmerkrankungen (CED), Depressionen, Diabetes mellitus bis zu psychosomatischen Erkrankungen, Rheuma und seltenen Stoffwechselstörungen. Wie der Fall von Dirk M. zeigt, sollte sich die Transitionsmedizin nicht nur auf medizinische Probleme konzen-trieren – sie muss auch individuelle und strukturelle Aspekte berücksichtigen.
Medizinische Probleme
In der Transitionsphase sind die medizinischen Probleme krankheitsbedingt sehr unterschiedlich, wie folgende Beispiele zeigen: Die CED-Erkrankung ist bei jugendlichen Patienten durch einen häufig aggressiven, schubweisen Verlauf gekennzeichnet. Bei ständigen Exazerbationen kann eine Entwicklungsretardierung auftreten. Psychische Beschwerden treten hinzu. 25 % der Jugendlichen entwickeln eine Depression. Bei Morbus-Crohn-Patienten im Kindes- und Jugendalter steht die Ernährungstherapie an erster Stelle, mit der eine Krankheitsberuhigung erzielt werden kann. Steroide sind Mittel der zweiten Wahl und sollten wegen der drohenden Wachstumshemmung nicht über längere Zeit eingesetzt werden. In der Erwachsenenmedizin sind hingegen Integrin-Antagonisten moderne Therapiealternativen.
Bei Patienten mit angeborenen Herzfehlern zeigt sich beim Übergang vom Jugend- zum Erwachsenenalter eine erhöhte Komplikationsrate durch Herzinsuffizienz, Rhythmusstörungen und notwendige Re-Operationen.
Auch bei Diabetikern verschlechtert sich in der Pubertät die Stoffwechsellage deutlich. In dieser Lebensphase muss der Diabetespatient seinen Blutzucker häufiger kontrollieren und die täglichen Insulininjektionen in der Regel steigern. Auch in dieser Gruppe ist jeder vierte Patient von einer Depression als Komorbidität betroffen.
Die medizinische Behandlung von chronisch kranken Jugendlichen in der Transitionsphase erfordert von den behandelnden Ärzten große Sachkenntnis. Denn häufig konterkarieren die betroffenen Jugendlichen die Bemühungen der Ärzteschaft. Für die jungen Patienten stehen in diesem Lebensalter andere Aspekte, wie die erste Liebesbeziehung, im Vordergrund als ihre chronische Erkrankung. Sie wird eher als zweitrangig angesehen.
Individuelle Probleme
Die Pubertät ist generell eine schwierige Entwicklungsphase, die einen biologischen, emotionalen und sozialen Wandel mit sich bringt. Den Jugendlichen setzt dabei nicht nur zu, sich mit den vielen Veränderungen zu beschäftigen, sondern auch die Konfrontation mit ihrer chronischen Erkrankung macht ihnen Probleme. Dies erschwert die normale physische und psychische Entwicklung und führt zur Ausgrenzung dieser Jugendlichen in vielen Lebensbereichen. Einen Vergleich einiger wesentlicher Entwicklungsmerkmale zeigt die Tabelle 1.
Eine effektive Betreuung im Transitionsprozess berücksichtigt die spezifischen Probleme dieser Jugendlichen. Es nützt nichts, wenn der Arzt z. B. einen 16-jährigen Diabetiker ständig mit erhobenem Zeigefinger dazu ermahnt, einen guten HbA1c-Wert zu erzielen, und dabei den Zugang zum Patienten verliert.
Der Therapeut muss die individuelle Situation des chronisch kranken Jugendlichen erkennen, seine Bedürfnisse erfragen und berücksichtigen (Tabelle 2). Nur so lässt sich eine vertrauensvolle Basis zur Zusammenarbeit, zur Adhärenz, schaffen. In der Arzt-Patienten-Beziehung ist der Patient aktiver Partner – er muss den ärztlichen Empfehlungen zustimmen. Im regelmäßigen Gespräch sollten wichtige psychosoziale Aspekte, wie häusliche Situation, Schule und Ausbildung, Essverhalten, Freizeitaktivitäten, Alkohol-, Nikotin- und Drogenkonsum und Stimmung, thematisiert werden. Am Ende eines solchen Gesprächs werden gemeinsame Ziele festgelegt.
Strukturelle Probleme
Geschätzte 30 – 40 % der chronisch kranken Heranwachsenden kommen nicht lückenlos in der Erwachsenenmedizin an. Mit diesen sogenannten "Lost-to-Follow-up-Fällen" gibt es tatsächlich ein Problem. Diese Zahl ist nicht allein durch die geschilderten individuellen Schwierigkeiten zu erklären, sondern weist auf ein Strukturdefizit im Überleitungsprozess hin. Wer ist hier gefordert?
In Deutschland gibt es ein duales Versorgungssystem für Kinder und Jugendliche. Sowohl Fachärzte für Allgemeinmedizin als auch für Kinder- und Jugendmedizin sind in die Primärversorgung eingebunden. Häufig werden chronisch kranke Kinder und Jugendliche zusätzlich von Fachspezialisten (z. B. Kinderkardiologe) behandelt. Je nach Versorgungsumfang stellen sich unterschiedliche Szenarien für den Transitionsprozess dar:
- Der Jugendliche ist bei einem Facharzt für Allgemeinmedizin in Behandlung und bedarf keiner weiteren spezialärztlichen Mitbehandlung (z. B. bei Neurodermitis, Asthma bronchiale). Hier bleibt der Überleitungsprozess in der Hand des Hausarztes. Schnittstellenprobleme treten nicht auf.
- Der Jugendliche ist in Betreuung eines Facharztes für Kinder- und Jugendmedizin, und es besteht kein zusätzlicher spezialärztlicher Betreuungsbedarf. Beim Wechsel in die Erwachsenenmedizin gibt es lediglich eine Transferebene: die zum Facharzt für Allgemeinmedizin. An dieser Schnittstelle besteht die Gefahr, dass wichtige Informationen verloren gehen, denn ein strukturierter Transfermodus existiert nicht. Hier kommt es auf das Engagement der einzelnen Kollegen an.
- Ist der Jugendliche zusätzlich in einer spezialärztlichen Behandlung, kommt eine zweite Transferebene dazu: die vom pädiatrischen Fachspezialisten (z. B. Kinderkardiologe) zum Erwachsenenspezialisten (z. B. internistischer Kardiologe).
Nachgewiesen ist, dass in einem unstrukturierten Transitionsprozess mit der Zahl der Schnittstellen bei komplexen Krankheitsbildern die Gefahr des Informationsverlusts steigt. Die Frage: "Wer informiert wen, wann und wie?" muss grundsätzlich geklärt sein (Organisationsprinzip) und darf nicht von Fall zu Fall (Dispositionsprinzip) entschieden werden. Bisher gibt es lediglich einzelne lokale Pilotprojekte, die versuchen, durch Transitionssprechstunden und/oder Transitionsprotokolle das organisatorische Defizit anzugehen. Die Einführung einer Transitionskonferenz, analog der Tumorkonferenz, könnte eine Lösung sein. Die beteiligten Therapeuten müssen auf einer Kommunikationsebene zusammengeführt werden, damit wichtige Informationen nicht auf der Strecke bleiben. Dazu ist nicht immer zwingend ein gemeinsames Treffen an einem bestimmten Ort nötig: Eine Telefonkonferenz, ein IT-Datenaustausch oder – in übersichtlichen Krankheitsfällen – ein schriftlicher Bericht können auch die Bedingungen einer Transitionskonferenz erfüllen. Andere Professionen, die u. U. für den Therapieerfolg notwendig sind (Psychologen, Sozialarbeiter, Ernährungsberater), müssen dabei eingebunden werden.
Hausärzte spielen zentrale Rolle
Die führende Rolle fällt aber den Ärzten zu und hier vor allem den Primärversorgern (Hausärzte, hausärztlich tätige Pädiater). Den organisatorischen Aufwand für die beteiligten Ärzte sollte man durch eine klare Gliederung der Informationswege übersichtlich halten.
Der Patient selbst muss selbstverständlich zentral am Transitionsprozess beteiligt sein. Zudem stehen die Kostenträger, in der Regel die gesetzlichen Kassen, in der Pflicht, den erhöhten zeitlichen und organisatorischen Aufwand der Ärzte adäquat zu vergüten. Dabei gilt es, die "Lost-to-Follow-up-Fälle" deutlich zu reduzieren.
Interessenkonflikte: Der Autor hat keine deklariert.
Erschienen in: Der Allgemeinarzt, 2017; 39 (3) Seite 14-18