Das Schultergelenk erlaubt ein überragendes Bewegungsausmaß und ist beteiligt bei allen Bewegungen des Armes. Dadurch ist es aber anfällig für Überlastungs- und Strukturschäden. Die konservativen wie operativen Therapiemöglichkeiten sind vielfältig. Der vorliegende Artikel soll für den Allgemeinarzt eine Übersicht sowie pragmatische Behandlungs- und Diagnosepfade zum Umgang mit der schmerzenden Schulter bieten.

Das Glenohumeralgelenk stellt ein Kugelgelenk mit drei Freiheitsgraden dar. Funktionell ist dieses zusammen mit dem "subacromialen Nebengelenk", dem Acromio-Claviculargelenk sowie dem sogenannten "Schulterblatt-Thorax-Gelenk" eine Einheit (Abb. 1). Die artikulierenden Gelenkpartner sind das Caput humeri sowie die Cavitas glenoidalis, wobei der Kopfdurchmesser fünfmal größer ist als der der Pfanne. Die Bursa subacromialis und Bursa subcoracoidalis sind am reibungslosen Zusammenspiel der Gleitschichten mitbeteiligt.

Passive und aktive Stabilisatoren

Die passive Stabilität des Gelenkes wird durch die Gelenklippe (Labrum glenoidalis) sowie die glenohumeralen Bänder erzeugt. Die Gelenklippe umgibt zirkulär die knöcherne Pfanne und vergrößert die Gelenkfläche; zusätzlich erzeugt sie durch Unterdruck einen stabilisierenden Adhäsionseffekt ("Suction-cup-Effekt"). Die glenohumeralen Ligamente sind Verstärkungszügel der Gelenkkapsel und umspannen hängemattenartig den Humeruskopf.

Die Rotatorenmanschette besteht aus vier Muskeln, die mit ihren Sehnen am Humeruskopf ansetzen und ihn zentrieren: die Subscapularissehne, die Supraspinatussehne sowie die Infraspinatus- und Teres-minor-Sehne. Durch dieses Zusammenspiel wird eine gleichmäßige Belastung des Gelenkes gesichert, wobei sich die Arbeitsrichtung der Muskeln aus ihrem anatomischen Verlauf ableiten lässt (Tabelle 1).

Eine Übersicht über häufige Differenzialdiagnosen des schmerzenden Schultergelenkes stellt Tabelle 2 dar. Eine genaue Zuordnung der Beschwerden zur Ursache ergibt sich mitunter erst aus dem klinischen Verlauf. Die Unterscheidung zwischen struktureller und funktioneller sowie degenerativer und traumatischer Ätiologie ist wichtig, um möglichst zielgerichtet erste diagnostische und therapeutische Behandlungsschritte abzuleiten. Gleichzeitig wird der Zeitrahmen der Dringlichkeit für weitere Maßnahmen determiniert, um ein optimales Versorgungsergebnis zu erzielen.

Fehlhaltungen registrieren

Das detailgetreue Anamnesegespräch zum erstmaligen Auftreten, Charakter und Verlauf der geklagten Symptome steht am Anfang der Diagnostik. Bei der Inspektion sollte auf Fehlhaltungen des Schultergürtels und der Wirbelsäule geachtet werden. Insbesondere der sterno-symphyseale Haltungstypus ("Schultern-nach-vorne-Zieher") ist für ein funktionelles Impingementsyndrom prädisponiert, da der subacromiale Gleitraum dauerhaft eingeengt wird. Aber auch Hyperkyphosen der Brustwirbelsäule sowie Hyperlordosen der Halswirbelsäule wirken durch dauerhafte Fehlbelastung negativ auf den gesamten Schultergürtel.

Eine orientierende Untersuchung des aktiven Bewegungsumfanges kann durch den Nacken- und Schürzengriff erfolgen, wobei zur Verlaufsbeobachtung die Angabe des Endpunktes hilfreich ist (z. B. Schürzengriff bis L5). Das genaue Erfassen des Bewegungsausmaßes des Schultergelenkes erfolgt nach der Neutral-Null-Methode unter Angabe der Bewegungsrichtung (z. B. Abduktion/Adduktion 100-0-45°).

Zeigetest zur groben Zuordnung

Bei Aufforderung des Patienten, den Schmerz anzuzeigen, finden sich häufig zwei Angaben: Ein schmerzendes, symptomatisches Schultereckgelenk (AC-Gelenk) wird punktuell mit dem Zeigefinger angezeigt; eine Entzündung des subacromialen Gleitraumes oder der Sehnen wird flächig mit der gesamten Hand angedeutet (Abb. 2).

Frozen shoulder stets ausschließen

Die retraktile Kapsulitis (Frozen shoulder) beginnt in der Regel plötzlich ohne erkennbare Ursache und ist durch eine sehr schmerzhafte Entzündung und Verdickung der Gelenkkapsel gekennzeichnet. Häufig sind Frauen mittleren Alters betroffen. Hierbei findet sich als typisches klinisches Zeichen eine Einschränkung der passiven Außenrotation bis hin zu einer deutlichen Innenrotationskontraktur. Strukturelle Ursachen sollten jedoch durch bildgebende Diagnostik ausgeschlossen werden.

Wichtige Funktionstests

Ein standardisierter Untersuchungsablauf der Schulter hilft, keine wesentliche Pathologie zu übersehen. Das Provozieren eines Entzündungsschmerzes im subacromialen Gleitraum erfolgt durch Tests, die auf einer durch den Untersucher bedingten Einengung des Gleitraumes durch den Humeruskopf beruhen (Neertest, Abb. 3a). Das Testen der Rotatorenmanschette ergibt sich aus der entsprechenden Funktionsrichtung des Muskels, die gegen den Widerstand der Hand des Untersuchers getestet wird: der M. subscapularis gegen Innenrotation, der M. supraspinatus gegen Abduktion, der M. infraspinatus und teres minor gegen Außenrotation (Abb. 3b). Das Vollbild einer Insuffizienz der Außenrotatoren äußert sich in dem sogenannten "Hornblower-Zeichen" (Abb. 4).

Eine Testung auf Instabilität erfolgt durch das Ausüben einer dezentrierenden Kraft durch den Untersucher, wobei diese in unterschiedliche Richtungen erfolgen muss. Der "anteriore Apprehensionstest" (Abb. 5a) prüft durch Ventralisierung des Humeruskopfes auf eine anteriore Instabilität; der "Jerktest" (dorsaler Apprehensionstest, Abb. 5b) prüft auf eine dorsale Instabilität.

Wichtig bei allen Testungen sind der Seitenvergleich und die maximale muskuläre Entspannung des Patienten. Abschließend sollte eine orientierende Untersuchung der Halswirbelsäule (Rotation, Seitneigung, periphere Sensomotorik) erfolgen, um gezielt nach radikulären und pseudoradikulären Symptomen zu fahnden.

Bildgebende Diagnostik

Die Röntgendiagnostik stellt als Basisdiagnostik die knöchernen Strukturen dar und dient dem Nachweis eines Kalkdepots, dem Fraktur- und Arthroseausschluss sowie in der sogenannten "y-Aufnahme" dem Erfassen von knöchern bedingten Einengungen des subacromialen Gleitraumes durch einen Acromionsporn oder kaudalen Osteophyten des AC-Gelenkes. Die Sonographie als erweiterte Basisdiagnostik stellt Entzündungen der Bursa subacromialis, versteckte Kalkdepots sowie Rupturen der Rotatorenmanschette dar.

Als erweitertes Diagnostikum dient die Magnet-resonanztomographie – es werden zusätzlich chondrale, labrale und tendinöse Strukturen dargestellt. Insbesondere bei traumatischen Pathologien, die mit starken Schmerzen, deutlichen periartikulären Schwellungen sowie blockierenden Bewegungseinschränkungen einhergehen, ist die zeitnahe MRT-Diagnostik obligat. Die Computertomographie dient der weiteren Feindiagnostik von ossären Veränderungen.

Konservative Therapie

Die konservative Therapie beinhaltet alle Maßnahmen, die der Antiphlogistik und Analgesie dienen. In der akuten Schmerzphase kommen das modifizierte PECH-Schema (Pause, Eis, Compression, Hochlagerung bzw. Schonung) sowie bei schlanken Patienten Salbenumschläge mit Voltaren® zur Anwendung. Zur systemischen Medikation werden die klassischen NSAR unter Beachtung von Kontraindikationen verschrieben, wobei langfristige Dauereinnahmen vermieden werden sollten.

Eine effektive schmerzlindernde Maßnahme bei allen entzündlichen Ursachen stellt die lokale Infiltration eines Kortisonpräparates dar (z. B. Lipotalon®). Insbesondere akute Entzündungsschmerzen der Bursa subacromialis sprechen auf eine subacromiale Infiltration gut an. Ebenso kann durch gezielte, am besten sonographisch gestützte Infiltration in das AC-Gelenk ein symptomatisches, schmerzendes Schultereckgelenk erfolgreich therapiert werden. Allerdings sollten nicht mehr als drei Kortisoninjektionen über einen Zeitraum von drei Monaten verabreicht werden.

Muskuläre Dysbalancen oder reduzierte Dehnungsfähigkeiten der tendo-muskulären Einheiten und der Kapsel werden durch den Physiotherapeuten behandelt, wobei stets die Motivation und Anleitung des Patienten zur Eigenübung erfolgen sollte. Zentrierende Übungen der Rotatorenmanschette (z. B. Trainieren der Innen- und Außenrotation gegen Widerstand am Theraband) sind sehr wirksam. Außerdem sollte insbesondere bei funktionellen Problemen der Patient zur Korrektur seiner Haltung angehalten werden ("Rucksackübung", d. h. der Patient sollte seine Schulterblätter nach unten-hinten ziehen). Das Verwenden eines Kinesiotapes ist insbesondere bei muskulär bedingten Schmerzen sowie Myogelosen hilfreich.

Operative Therapie

Bei Schmerzen, die auf einer dauerhaften Einengung des subacromialen Gleitraumes beruhen, kann in arthroskopischer Technik dieses Engpasssyndrom beseitigt werden. Bei einer Dekompression werden knöcherne Engpässe abgetragen, wie z. B. ein hakenförmiges Acromion oder ein AC-Gelenk-Osteophyt bei Arthrose. Große Kalkdepots, die sich typischerweise in der Sehnenoberfläche befinden und diese verdrängen, können unter arthroskopischer Sicht ausgeräumt werden.

Eine Labrumruptur entwickelt sich typischerweise im Rahmen einer traumatisch bedingten Schulterluxation. Aufgrund des somit aufgehobenen Stabilisierungseffektes besteht insbesondere bei jungen Patienten mit Überkopfbelastungen eine über 90-prozentige Wahrscheinlichkeit einer Reluxation binnen eines Jahres. Die arthroskopische Reposition und Refixation des meist fehlvernarbten Labrums restabilisiert das Gelenk.

Rupturen der Rotatorenmanschette sind meist degenerativer Natur und betreffen prinzipiell jeden Sehnenanteil. Durch den Funktionsverlust entstehen Schmerzen und Kraftverlust sowie konsekutiv eine Arthrose (Cuff-Arthropathie). Kleinere Rupturen können initial durch muskuläres Training kompensiert werden; größere Rupturen werden häufig symptomatisch und zeigen einen progredienten Verlauf. Im Rahmen einer Arthroskopie können die Sehnenenden wieder genäht und knöchern reinseriert werden (Abb. 6). Die Nachbehandlung ist jedoch langwierig und beträgt in der Regel drei bis sechs Monate.

In der modernen Schulterprothetik gilt das Prinzip der Natürlichkeit unter Bewahren des Intakten. Nur das Gewebe, welches durch die Arthrose irreversibel zerstört ist, wird ersetzt – weniger ist also mehr (Abb. 7). Ein Ersatz des zerstörten Humeruskopfes erfolgt minimal-invasiv durch eine Humeruskopfprothese, wobei der Knochen dauerhaft in das Implantat einwächst. Bei der anatomischen Schulterprothese wird zusätzlich die Gelenkpfanne ersetzt.

Fazit für die Praxis
Die Differenzialdiagnostik von Schulterschmerz ist auch für erfahrene Untersucher anspruchsvoll und die Behandlungsmethoden sind vielfältig. Haltungskorrektur, Muskeltraining sowie gezielte Infiltrationen stellen bei degenerativen Veränderungen die Basistherapie dar. Strukturelle Schäden können meist in arthroskopischer Technik adressiert werden.



Autor:

Dr. med. Jan Hennings

Abteilung für Unfallchirurgie und Orthopädie Park-Klinik Manhagen
22927 Großhansdorf

Interessenkonflikte: Der Autor hat keine deklariert



Erschienen in: Der Allgemeinarzt, 2018; 40 (8) Seite 16-20