Eine zufällig entdeckte Raumforderung wird Inzidentalom genannt. Was tun, wenn sich dieser Befund an der Nebenniere abspielt? Hier gilt es, einen guten Mittelweg zu finden zwischen "erst mal abwarten" und einer Maximaldiagnostik. Beides kann der Patient:in schaden, erklärte Dr. Susanne Junginger vom endokrinologikum Hamburg auf dem Innere Medizin Refresher des FOMF.

KASUISTIK - Kortisonentzugssymptom – ein häufiges Problem
Dr. Junginger bekommt eine 29-jährige Patientin zugewiesen wegen des Verdachts auf Hyperkortisolismus. Sie leidet unter Schmerzen im Brustkorb. Röntgenologisch lassen sich z. T. alte Rippenfrakturen nachweisen, ohne dass ein adäquates Trauma stattgefunden hätte. Die Knochendichtemessung deckt eine Osteoporose auf. Klinisch sprechen ein Vollmondgesicht, ein Stiernacken und eine stammbetonte Adipositas für einen M. Cushing. Weitere typische Merkmale eines M. Cushing wären Amenorrhoe, Hypertonie, Dehnungsstreifen am Bauch, dünne Haut, Wundheilungsstörung und Muskelschwäche. Letzteres kann man z. B. testen, indem man die Patient:innen hinknien lässt – sie können sich dann nur mühsam aufrichten. Im Labor zeigten sich erhöhte Kortisolspiegel (265 ng/ml), ein positiver Dexamethason-Hemmtest und im CT ein 2 x 3 cm großes Nebennierenadenom links. Es wurde operativ entfernt, wobei sich leider Komplikationen entwickelten, die eine Pankreasschwanzresektion und eine Splenektomie notwendig machten mit nachfolgender Pankreatitis, Fistel und Drainage. Die junge Frau erholte sich nur langsam von dem Eingriff. Auch die Kortisolsubstitution gestaltete sich schwierig, erst nach drei Jahren konnten erstmals normale Kortisolwerte festgestellt werden. Das Kortisonentzugssymptom ist leider ein großes Problem beim M. Cushing, erklärte Junginger. Nach der Operation geht es den Patient:innen meist schlechter und das Ausschleichen des substituierten Hydrokortisons dauert oft sehr lang.

Es kommt gar nicht so selten vor, dass man z.B. im Ultraschallbild, CT oder MRT eine Raumforderung in der Nebenniere feststellt. Was ist dann zu tun? Zunächst sollte man wissen, dass 3% der Erwachsenen eine Nebennierenraumforderung haben, 7% der 60-Jährigen und 10% der über 80-Jährigen, so Junginger. 80% der Raumforderungen sind weder endokrin aktiv noch maligne und benötigen keine Therapie. 10% sind endokrin aktiv im Sinne eines M. Conn, eines Cushing-Syndroms oder Phäochromozytoms. Bei 2% handelt es sich um ein Nebennierenkarzinom, in 2% um Nebennierenmetastasen. Je größer die Raumforderung, umso größer die Wahrscheinlichkeit von Malignität. Tumoren mit einem Durchmesser von über 6cm sollte man daher operieren.

Unglücklich gelaufen

Dr. Junginger präsentierte drei reale Fälle aus der Uniklinik Würzburg, in denen das Vorgehen nicht optimal war.
  1. Ein 62-jähriger Patient erhält ein CT wegen einer Nierenkolik, in dem eine 2,5 cm große Nebennierenraumforderung entdeckt wird. Die Hormondiagnostik ist unauffällig, es werden über zehn Jahre jährliche CT-Kontrollen gemacht, wobei die Größe stabil bleibt. Hier wurde Überdiagnostik betrieben.
  2. Der gegenteilige Fall: Eine 51-jährige Patientin erhält ein MRT wegen Endometriose, was ebenfalls den Nachweis eines 2,5 cm großen Nebennierentumors ergab. Die Hormondiagnostik war unauffällig. Nach 6 Monaten wird das MRT wiederholt, jetzt ist die Raumforderung auf 9 cm angewachsen und entpuppt sich als Karzinom. Diese Krebsart neigt dazu, sehr schnell zu wachsen. Nach weiteren 6 Monaten ist die Patientin tot. In diesem Fall hat man zu lange mit der Kontrolle gewartet.
  3. Bei einem 48-jährigen Patienten wird im MRT wegen Unterbauchschmerzen ein 5 cm großes Inzidentalom der Nebenniere entdeckt. Man entschließt sich zur Operation, der Tumor entpuppt sich als Myelolipom. Der Patient entwickelt aber postoperativ eine Lungenembolie und verstirbt. Hier hätte man trotz des relativ großen Tumors, der aber die 6-cm-Grenze noch nicht erreicht hat, vor der Op. besser weitere Diagnostik anstreben sollen.

Kluge Diagnostik

Zum einen wollen wir Überdiagnostik vermeiden, die bei Patient:innen unnötigen psychischen Stress erzeugt, sie einer nicht notwendigen Strahlenbelastung aussetzt und letztlich auch vermeidbare Kosten verursacht. Zum anderen wollen wir nichts übersehen, was behandelt werden muss.

Gemäß einer europäischen Leitlinie zum Nebenniereninzidentalom von 2017 sollte man immer zeitgleich die hormonelle Situation checken und nach Malignitätskriterien suchen. Dazu helfen im nativen CT die sogenannten HounsfieldUnits weiter – ein radiologisches Maß für die Helligkeit des Gewebes. Je heller, umso höher die Hounsfield Units. Nicht immer liefert die Radiolog:in diese Werte mit, ggf. muss man aktiv danach fragen. Liegen die Hounsfield Units unter 10 und ist die Raumforderung kleiner als 4 cm, ist ein Malignom sehr unwahrscheinlich und keine weitere Bildgebung erforderlich. Ist dann auch der Hormonstatus unauffällig, endet hier die Diagnostik. Diese Patient:innen braucht man nie wieder zu kontrollieren. Bei Hounsfield Units (Abb. 1) über 10 ist die Wahrscheinlichkeit eines Malignoms höher und es ist weitere Diagnostik erforderlich, wie Kontrastmittel-CT oder MRT mit Chemical Shift oder PET. Falls sich die Malignität nicht eindeutig ausschließen lässt, ist auch eine Op. zu rechtfertigen, alternativ kann man eine Kontrollbildgebung nach 6 Monaten veranlassen. Wichtig: Bloß nicht biopsieren, warnte Junginger, weil man dadurch im Fall der Malignität Metastasen setzen könnte. Ist das Inzidentalom nach 6 Monaten um mehr als 20% und mindestens um 5 mm gewachsen, besteht eine Op.-Indikation.

Hormondiagnostik

Bei hormonell aktiven Raumforderungen ist in erster Linie an ein Phäochromozytom, an einen Hyperkortisolismus (M. Cushing) oder einen Hyperaldosteronismus (M. Conn) zu denken. Bei V.a. Phäochromozytom hilft die Bestimmung der Meta- und Normetanephrine im Plasma weiter, bei V.a. Hyperkortisolismus der 1-mg-Dexamethason-Hemmtest und bei V.a. Hyperaldosteronismus der Aldosteron-Renin-Quotient (Tabelle 1).

Beim Phäochromozytom sollte man daran denken, dass in 25 bis 30 % der Fälle familiäre Häufungen vorkommen im Sinne von MEN 2a und 2b sowie (seltener) Phakomatosen (z.B. Neurofibromatose), so dass eine genetische Untersuchung erforderlich ist. Ein nachgewiesenes Phäochromozytom ist eine Op.-Indikation, vor der Op. sollte man aber mit Phenoxybenzaminen über 7 bis 14 Tage den Blutdruck auf unter 100mmHg systolisch einstellen, was in der letzten Phase stationär erfolgen sollte.

Bei bekanntem arteriellem Hypertonus drängt sich der Gedanke an einen primären Hyperaldosteronismus auf. Liegt der Aldosteron-Renin-Quotient (ARQ) über 20 und die Aldosteronkonzentration über 150ng/l, muss man an einen Hyperaldosteronismus denken. Das Problem dabei: Verschiedenste Medikamente, leider auch Antihypertensiva, können diesen Wert beeinflussen, sowohl im Sinne falsch-positiver als auch falsch-negativer Bestimmungen. Zu empfehlen ist zunächst ein Screening bei der Hausärzt:in unter antihypertensiver Medikation und eine Überweisung zur Spezialist:in bei erhöhtem ARQ oder Hypokaliämie. Bei der Bestimmung des ARQ gilt es einiges zu beachten:
  1. Morgens im Sitzen (nach 15 min) Blut abnehmen
  2. Serumkalium muss im Normbereich sein
  3. Keine oder testgerechte Medikation
  4. Kein Lakritzabusus (möglichst vier Wochen vorher kein Lakritz)
  5. Idealerweise in der 1. Zyklushälfte bei prämenopausalen Frauen
  6. Keine Salzrestriktion

Liegt der ARQ über 20 braucht man bei Hypokaliämie und/oder einem Aldosteronwert über 200 ng/l keine weitere Diagnostik. Ansonsten ist ein Kochsalzbelastungstest zur Bestätigung angesagt. Unter allen Patienten mit einem primären Hyperaldosteronismus haben ca. 60 % eine bilaterale adrenale Hyperplasie, sie müssen medikamentös behandelt werden. Schließlich kann man nicht beide Nebennieren entfernen. Das gilt auch für den Fall, dass der Tumor inoperabel ist oder der Patient die Op. ablehnt. Dann wird bevorzugt Spironolacton (Startdosis: 12,5 – 25 mg, Maximaldosis: 100 mg) eingesetzt, als Reservesubstanz auch Eplerenon. Bei einem einseitigen Aldosteron-produzierenden Adenom, was ca. 35 % dieser Patienten betrifft, kommt eine Op. infrage. Ein Aldosteron-produzierendes Karzinom ist mit unter 1 % der Fälle selten, ebenso ein ektopes Aldosteron-produzierendes Adenom.

Essentials - Wichtig für die Sprechstunde
  • 80% der Nebennieren-Raumforderungen sind weder endokrin aktiv noch maligne.
  • Es gilt, einen sinnvollen Mittelweg zu finden zwischen Unter- und Überdiagnostik.
  • An möglichen Diagnosen kommen u. a. ein Phäochromozytom, ein Hyperkortisolismus (M.Cushing) oder ein Hyperaldosteronismus (M. Conn) infrage.



Autorin:
Dr. Vera Seifert



Erschienen in: doctors|today, 2023; 3 (3) Seite 34-36