"Mein Kind schläft so schlecht" oder "Mein Kind kann nicht schlafen" zählen zu den häufigsten Problemen, über die Eltern beim Hausarzt, Kinderarzt oder in der Elternberatung berichten. Dementsprechend groß ist auch der Beratungsbedarf zum Thema Schlafstörungen im Säuglings- und Kleinkindesalter. In vielen Fällen kann man durch Informationen zum Thema Kinderschlaf sowie durch einfache Verhaltensänderungen in kurzer Zeit eine Verbesserung der Lebensqualität für betroffene Familien erreichen.

Bis zu ein Drittel aller Kinder haben im Laufe ihrer Entwicklung zumindest phasenweise Schlafprobleme [7, 10]. Am häufigsten sind schwieriges Einschlafen, wiederholtes nächtliches Aufwachen und ein Ungleichgewicht zwischen kindlichem und elterlichem Rhythmus (z. B. frühes morgendliches Aufwachen). Erfahrungsgemäß erzeugen wiederholte nächtliche Wachphasen bei Eltern den größten Leidensdruck. Die Säuglinge und Kleinkinder selbst sind in den meisten Fällen nicht unbedingt beeinträchtigt. Das Kind "holt sich den Schlaf, den es braucht". Wenn der nächtliche Schlaf der Eltern aber leidet, besteht für diese oft nicht die Möglichkeit, das Versäumte tagsüber nachzuholen, und so entsteht eine Belastungssituation, die bis zur Erschöpfung der Eltern gehen kann.

Physiologie des kindlichen Schlafes

Als erster Schritt in einer Schlafberatungssituation empfiehlt es sich, eine ausführliche Anamnese zu erheben, in der die Familiensituation und der Schlafrhythmus des Kindes beleuchtet werden sollen. Von besonderer Bedeutung dabei ist die Einschlafsituation des Kindes, sowohl vor dem Tages- als auch vor dem Nachtschlaf.

Ein hilfreiches Werkzeug dabei kann ein Schlafprotokoll sein. Markiert man darauf die Schlafzeiten, sieht man grafisch schön dargestellt, wie regelmäßig ein Kind zum Schlafen gebracht wird und wie groß der individuelle Schlafbedarf des Kindes ist (Abb. 1). Letzterer ist durchaus unterschiedlich. So liegt im Alter von 9 Monaten die durchschnittliche Schlafdauer pro 24 Stunden bei etwa 14 Stunden. 11 Stunden liegen in diesem Alter aber ebenso im Normbereich wie 17 Stunden [2]. Das zeigt, wie wichtig es ist, auf den individuellen Schlafbedarf des Kindes einzugehen. Damit kann verhindert werden, dass ein Kind mit physiologisch niedrigem Schlafbedarf zu viel Zeit im Bett verbringen "muss", weil die Eltern den Schlafbedarf ihres Kindes überschätzen. Als Folgen wären Einschlafprobleme, nächtliche Wachphasen oder sehr frühes morgendliches Aufwachen möglich.

Im Alter von 9 Monaten schlafen die allermeisten Kinder auch tagsüber, 60 % mehrmals, 40 % nur noch einmal. Im Alter von 3 Jahren hält noch die Hälfte der Kinder ein "Mittagsschläfchen", die andere Hälfte kommt schon ohne Tagesschlafzeiten aus [2, 8, 10]. Solche und ähnliche Daten zur Schlafphysiologie sind für Eltern wichtige Informationen, die im Rahmen einer Schlafberatung weitergegeben werden können.

Das Schlafprotokoll hilft auch zu erkennen, wie regelmäßig die Schlaf- und Wachzeiten eines Kindes sind. Viele Kinder profitieren sehr von Regelmäßigkeit, der Körper stellt sich zu regelmäßigen Zeiten auf den kommenden Schlaf ein, und eventuelle Umstellungen von Einschlafgewohnheiten können einfacher gelingen.

Einschlafen und Durchschlafen

Ist ein regelmäßiger Rhythmus etabliert, kann versucht werden, das Einschlafen selbstständiger zu gestalten. Selbstständiges Einschlafen ist nämlich eine wesentliche Voraussetzung, um durchschlafen zu können. Aber warum wachen Kinder nachts auf?

In den ersten Lebensmonaten können Säuglinge ihren Blutzuckerspiegel noch nicht so lange konstant halten und so ist nächtliche Nahrungs- und Flüssigkeitsaufnahme meist noch notwendig. In der zweiten Hälfte des ersten Lebensjahres ist es dem Kind dann prinzipiell möglich, "nächtelang" ohne Essen und Trinken auszukommen. Verlangt ein Kind mit 9 oder 12 Monaten nachts danach, ist dies entweder angewöhnt oder das Trinken dient als Einschlafhilfe.

Es ist physiologisch, dass der Mensch im Rahmen seiner alternierend wechselnden Schlafphasen in Leichtschlafphasen kurze Aufwachreaktionen zeigt. Ist man es nun gewöhnt, abends ohne Nuckeln, Bewegung (Kinderwagen, Auto, Schaukeln, …) oder Körperkontakt mit einer Bezugsperson einzuschlafen, wird man auch nachts schnell wieder einschlafen. Ist das Kind aber vor dem Tages- oder Nachtschlaf auf oben genannte "Einschlafhilfen" angewiesen, wird es nachts im schlimmsten Fall nach jedem Schlafzyklus, der in dem Alter 45 bis 60 Minuten dauert, aufwachen und dies einfordern. Darum ist das selbstständige Einschlafen die Voraussetzung für das Durchschlafen.

Die "Graduelle Annäherung"

Das selbstständigere Einschlafen kann auf unterschiedlichen Wegen erreicht werden. In unserer Sprechstunde wird die "Graduelle Annäherung" empfohlen. "Graduelle Annäherung" ist ein verhaltenstherapeutischer Ansatz, bei dem der Weg von einer aktuellen zu einer erwünschten Einschlafsituation über kleine Zwischenschritte führen soll. Nicht wenige Kinder können beispielsweise nur einschlafen, wenn ihre Eltern mit ihnen im Bett liegen. In diesen Fällen empfehle ich als ersten Schritt den Eltern, nichts zu ändern, außer, anstatt neben dem Kind zu liegen, nun zu sitzen. Ist diese Einschlafsituation etabliert, wird das Kind auch akzeptieren, wenn die Eltern statt im Bett neben dem Bett auf einem Stuhl sitzen. Damit hat man dann schon eine körperliche Trennung in der Einschlafsituation erreicht und dem Kind die Voraussetzung gegeben, auch nachts selbstständig weiterzuschlafen. Nach meiner Erfahrung ist dieses schrittweise Vorgehen sowohl für das Kind als auch die Eltern oft leichter durchführbar als andere Maßnahmen zur Änderung der Einschlafgewohnheiten, wie z. B. die "Extinktion" oder die "Graduelle Extinktion", bei denen Eltern nächtelang oder für wenige Minuten ihr weinendes Kind allein lassen sollen [1, 6, 11].

Empfehlungen für die Praxis
  • Am Anfang der Beratung steht eine genaue Evaluierung von Schlaf- und Einschlafsituation
  • Viele Kinder profitieren sehr von einem regelmäßigen Schlaf-Wach-Rhythmus (Schlafprotokoll großzügig anwenden)
  • Die Schlafmenge gibt das Kind vor (Beachtung des individuellen Schlafbedarfs)
  • Nur wer tagsüber und abends selbstständig einschlafen kann, kann auch nachts allein weiterschlafen (selbstständiges Einschlafen "lernen")

Das "Züricher 3-Stufen-Konzept"

Das oben beschriebene Vorgehen entspricht der Beratung, wie sie im Rahmen der Schlafberatungs-Sprechstunde des Ärztlichen Dienstes des Amtes für Jugend und Familie der Stadt Graz durchgeführt wird. Hauptsächlich wird dieses kostenfreie Angebot von Eltern mit Kindern zwischen 6 und 30 Monaten in Anspruch genommen. Angelehnt ist das oben beschriebene Vorgehen an das "Züricher 3-Stufen-Konzept", das das stufenweise Vorgehen in der Schlafberatung vorsieht [3, 9, Tabelle 1]. Darüber hinaus ist wichtig, Eltern, aber auch ältere Kinder und Jugendliche über die wichtigsten Schlafhygiene-Empfehlungen aufzuklären (Tabelle 2).

Erweiterte Diagnostik

Mehr als drei Viertel der Kinder in unserer Sprechstunde werden wegen Durchschlafschwierigkeiten vorgestellt. Eine Indikation zur Polysomnografie ist bei diesen Kindern praktisch nie gegeben. Gibt es in der Anamnese oder der körperlichen Untersuchung Hinweise auf das häufige "Obstruktive Schlafapnoesyndrom" wie Schnarchen, pathologische Atempausen oder angeborene skelettale, neuromuskuläre oder syndromale Erkrankungen, sollte eine Vorstellung in einem pädiatrischen Schlaflabor zur Polysomnografie erfolgen (Tabelle 3) [4, 5].


Literatur:
1. Ferber R (2006) Solve your child’s sleep problems. New York, NY: Fireside
2. Iglowstein I et al. (2003) Sleep duration from infancy to adolescence: Reference values and generational trends. Pediatrics;111:302-307.
3. Jenni O, Benz C (2007) Schlafstörungen. Pädiatrie up2date 2(4): 309-333,DOI: 10.1055/s-2007-966893
4. Kenzian H et al. (2011) Schnarchen und obstruktives Schlafapnoesyndrom (OSAS). Monatsschr Kinderheilkd 159:667-670
5. Marcus CL et al. (2012) Diagnosis and Management of Childhood Obstructive Sleep Apnoe Syndrome. Pediatrics 130(3):e714-55
6. Mindell JA et al. (2006) Behavioral treatment of bedtime problems and night wakings in infants and young children. Sleep 29(10):1263-1276
7. Owens JA et al. (2000) Sleep habits and sleep disturbance in elementary school-aged children. J Dev Behav Pediatr.J Dev Behav Pediatr. 21(1):27-36
8. Petit D et al. (2007) Dyssomnias and parasomnias in early childhood. Pediatrics 119:e1016-1025
9. Werner H et al. (2015) The Zurich 3-Step Concept for the Management of Behavioral Sleep Disorders in Children: A Before-and-After Study. J Clin Sleep Med.J Clin Sleep Med. 2015 Jan 12. pii: jc-00229-14
10. Wiater A, Lehmkuhl G (2011) Handbuch Kinderschlaf – Grundlagen, Diagnostik und Therapie organischer und nichtorganischer Schlafstörungen. Schattauer Gmbh. Homepage: ww.khporz.de
11. Williams CD (1959) The elimination of tantrum behavior by extinction procedures. J Abnorm Soc Psychol 59:269



Autor:

Dr. med. Werner Sauseng

Ärztlicher Dienst, Amt für Jugend und Familie, Stadt Graz
A-8011 Graz

Interessenkonflikte: Der Autor hat keine deklariert.



Erschienen in: Der Allgemeinarzt, 2016; 38 (3) Seite 44-48