Am Lebensende und bei fehlender Patientenverfügung liegt die Verantwortung für das weitere Vorgehen schwer auf den Schultern des behandelnden Arztes.

Hier wäre Unterstützung durch ein Gremium für ambulante Ethikberatung von großem Wert. Zwar hatte der Deutsche Ärztetag bereits 2008 in Ulm [5] gefordert, dass auch im ambulanten Bereich in Entsprechung zu den Klinischen Ethikkomitees Beratung in ethischen Konfliktsituationen anzubieten sei, die Umsetzung seitens der Ärztekammern geschah aber nur sehr zögerlich. So gibt es auch neun Jahre später in Deutschland noch kein flächendeckendes Angebot. An vielen Stellen entwickeln sich jedoch Modellprojekte, beispielsweise in Altenhilfe- und Pflegeeinrichtungen, Palliativnetzwerken oder Einrichtungen der Behindertenhilfe. Auch einige Ärztekammern verfügen inzwischen über eine ambulante Ethikberatung, so etwa die Sächsische Landesärztekammer, die ihren Arbeitskreis "Ethik in der Medizin" seit 2009 auch für die ambulante Beratung geöffnet hat. Die BÄK Trier verfügt seit 2013 über ein ambulantes Ethikkomitee, die Hessische Landesärztekammer und die BÄK Rheinhessen seit 2015/2016. Fragt man allerdings die Basis, so gewinnt man den Eindruck, dass die Akzeptanz derartiger, bislang überwiegender "Top-down-Modelle" zu wünschen übrig lässt bzw. deren Notwendigkeit ambivalent gesehen wird. In einer Befragungsstudie des Zentrums für Allgemeinmedizin und Geriatrie der Universitätsmedizin Mainz 2015 [6] antworteten auf die Frage "Würden Sie die Einrichtung von Ethikkomitees für die ambulante Medizin z. B. durch die Ärztekammern befürworten?" nur 55 % mit Ja. Kommentare wie "keine weitere Einmischung in das Arzt-Patienten-Verhältnis" oder "kein weiteres kostenträchtiges Gremium" und "dank meiner langjährigen Erfahrung brauche ich bei solchen Entscheidungen keine Hilfe" begründeten die Ablehnung. So wird bislang vielerorts auch nur von einer eher geringen Inanspruchnahme ambulanter Ethikberatung durch Hausärzte berichtet.

Es sei an dieser Stelle betont, dass sich diese neu geschaffenen Gremien als Angebot verstehen, die nur beratend tätig werden, wenn dies behandelnde Ärzte aktiv beantragen. Die Therapie- und Entscheidungshoheit und damit auch die Verantwortung verbleibt ungeteilt beim jeweils betreuenden Arzt. Er hat durch die Beratung jedoch die Möglichkeit, seine Entscheidungen durch ein Votum eines solchen Beratungsgremiums zu stützen.

Angesichts der zu erwartenden Zunahme von geriatrischen Patienten in der Hausarztpraxis muss künftig auch eine deutliche Zunahme von ethischen Entscheidungskonflikten angenommen werden. In der Geriatrie werden dies meist Fragen der Therapiebegrenzung sein. An vorderster Stelle wird hier immer wieder die Ernährungssituation genannt: PEG-Sonde? Parenterale Ernährung? Aber auch: Antibiose? Reanimation? Intubation? Dialyse? Sinnvolle Abklärungsdiagnostik? Therapie(-Optionen)? Beendigung kurativer Ansätze und Einleitung einer rein palliativen Therapie?

Damit wird vom Hausarzt in verstärktem Maße auch seine Kompetenz im medizinethischen Diskurs gefordert, bei der ihn ein ambulantes Ethikkomitee unterstützen kann.



Autor:

Prof. Dr. med. Karl-Bertram Brantzen, M.A.

FA für Innere und Allgemeinmedizin, Zentrum für Allgemeinmedizin und Geriatrie
Universitätsklinikum Mainz

Interessenkonflikte: Der Autor hat keine deklariert.


Erschienen in: Der Allgemeinarzt, 2017; 39 (12) Seite 24