Das dicke Bein ist ein häufiger Befund in der allgemeinärztlichen Praxis, der mitunter differenzialdiagnostische Probleme birgt und zu bedrohlichen Komplikationen führen kann – bis zur tödlichen Lungenembolie. In vielen Fällen lässt sich das dicke Bein in der allgemeinärztlichen Praxis definitiv abklären.

Das dicke Bein kann ganz unterschiedliche Ursachen aus fast allen medizinischen Fachgebieten haben (Tabelle 1), und nicht selten führen auch mehrere Ursachen zu dem klinischen Erscheinungsbild. Augenfällig ist das dicke Bein bei einer generalisierten Adipositas; aber gerade diese ist oft mit anderen Erkrankungen vergesellschaftet wie Lymphödemen oder Lipödemen, die dann leicht übersehen werden (Abb. 1).

Besonders häufig sind beim dicken Bein internistische und angiologische Erkrankungen differenzialdiagnostisch abzugrenzen (Abb. 2 – 3).

Internistische Erkrankungen, die typischerweise mit einer Beinschwellung einhergehen, sind:
  • Herzinsuffizienz
  • Niereninsuffizienz
  • Leberinsuffizienz
  • Schilddrüsenfunktionsstörung
  • Eiweißmangelödem (z. B. bei Darmerkrankungen, Lebererkrankungen, Hungerödem)

Neben der abzuklärenden Grunddiagnose zeichnen sich diese Erkrankungen jeweils durch ihre Symmetrie aus.

Beinschwellungen aufgrund einer angiologischen Erkrankung können sowohl ein- als auch beidseitig auftreten. In diese Kategorie fallen Ödeme bei venösen, lymphatischen und arteriellen Schäden [3].

Das Phlebödem

Das Phlebödem bei Varikose hat eine lange Krankheitsgeschichte und ist oft beidseitig, eventuell seitenbetont. Bei der tiefen Venenthrombose sind auslösendes Ereignis und Zeitpunkt oft gut festzulegen. Lokalisation und Ausdehnung nach proximal korrelieren mit der Ausprägung der Erkrankung. Im Verlauf von mehreren Jahren kann es über die Obstruktion der venösen Strombahn mit Klappeninsuffizienz zu einer zunehmenden venösen Hypertonie mit der Ausbildung eines PTS mit fortschreitender Ödemneigung im Sinne der chronischen Veneninsuffizienz (CVI) kommen (Abb. 2).

Lymphödem und Lipödem

Das primäre Lymphödem des Beines (Abb. 3)beginnt peripher und schreitet nach proximal fort. Es kann beidseitig, asymmetrisch oder einseitig auftreten (Abb. 3) [3]. Sekundäre Lymphödeme treten meist einseitig auf, oft nach Traumen (Verletzungen oder iatrogen) oder bei Entzündungen durch Bakterien, Viren oder bei Patienten mit Tropenaufenthalt durch Parasiten wie Filarien oder bei akuten oder therapierten Malignomen. Auch artifiziell verursachte Lymphödeme sind bei Patienten in psychisch angespannten Lebenssituationen in Betracht zu ziehen.

Das idiopathische (zyklische) Ödem ist eine generalisierte Insuffizienz des überlasteten Lymphsystems bei erhöhter Kapillarpermeabilität nicht sicher geklärter Genese; es betrifft nur Frauen und ist in der Ausprägung lageabhängig.

Das Lipödem ist chronisch progredient, bezeichnenderweise symmetrisch, meist unterschenkel- bis gesäßbetont und deutlich druckschmerzhaft mit Hämatomneigung. Es geht sehr oft mit einer Adipositas einher und betrifft im Wesentlichen Frauen. Männer sind nur bei hochgradigem Androgenmangel und bei erhöhtem Östrogenspiegel betroffen. Die Lipohypertrophie zeigt ein gleichartiges klinisches Bild, ist aber nicht druckschmerzhaft.

Weitere Ursachen

In die Kategorie "Ödeme bei arteriellen Durchblutungsstörungen" fallen das ischämische Ödem (bei pAVK Stadium III und IV), das postrekonstruktive Ödem (Reperfusionsödem nach arterieller Rekonstruktion) und das Angioödem (bes. Typ III mit Extremitätenschwellung, sehr selten).

Es gibt vielfältige weitere Ursachen für Beinödeme (Tabelle 1). Bedacht werden muss u. a. das orthostatische Ödem, das entsteht bei starken orthostatischen Belastungen im Beruf oder ausgeprägtem Bewegungsmangel.

Ein vergleichbarer Pathomechanismus liegt Ödemen bei neurologischen Erkrankungen mit Paresen zugrunde. Auch orthopädische Erkrankungen der Beine, vor allem entzündliche und degenerative Gelenkerkrankungen, führen über die Fehlbelastungen zu einer mangelhaften Pumpfunktion des Venensystems und damit zu einem Ödem in der betroffenen Extremität, oder es entsteht ein Ödem durch die entzündliche Reaktion selbst.

Nach Traumen ggf. mit Frakturen ist auch an eine Fehlregulation des sympathischen Nervensystems zu denken, die zu einem vasovegetativen Ödem führt, der sympathischen Reflexdystrophie (früher M. Sudeck).

Eine grundsätzliche anamnestische Abklärung erfordert das Ödem als unerwünschte Medikamentenwirkung (Tabelle 2) wie auch Ödeme durch Diät- oder Ernährungsfehler (Lakritz, zu viel Kochsalz, Laxantienabusus). Wegen der oft dramatischen prognostischen Bedeutung müssen maligne Erkrankungen differenzialdiagnostisch immer bedacht werden: Osteosarkom, Chondrosarkom (bes. am Femur), Hämangiosarkom, Fibrosarkom, Liposarkom (bevorzugt am Bein). Zudem treten durch die Verlegung von Lymphbahnen oder Obstruktion in den Lymphknoten durch Metastasen oder z. B. durch maligne Lymphome oder Primärtumoren im kleinen Becken oftmals sekundäre Lymphödeme auf.

Weitere wichtige Ursachen für Beinschwellungen sind allergische und toxische Ödeme (z. B. nach Bienenstich oder Schlangenbiss). Entzündliche Ödeme können nicht nur nach Verletzungen durch Infektion mit Mikroorganismen auftreten, sondern auch als chronisch-entzündliche Ödeme bei rheumatischen Erkrankungen, Kollagenosen, Dermatosen, Strahleneinwirkung oder Hitze.

Ödeme durch gynäkologische Ursachen können durch Tumoren im kleinen Becken bedingt sein; bei Schwangeren kann ein pathologisches Schwangerschaftsödem auftreten.

Strukturierte Abklärung

Das strukturierte Vorgehen in der hausärztlichen Praxis beim dicken Bein von der Diagnostik bis zur Therapieentscheidung umfasst Anamnese, Inspektion, körperliche Untersuchung und ggf. Laborwerte und apparative Untersuchungen (Abb. 4).

Eine wichtige, gefahrlose Untersuchung, speziell im Hinblick auf die angiologischen Ursachen von Beinödemen, ist die hochauflösende Farb-Duplexsonografie [4, 5], die nicht nur zur korrekten Diagnose von arteriellen und venösen Erkrankungen und zur pathophysiologischen Einschätzung führt, sondern auch die Fortschritte in der Therapie gut zu dokumentieren vermag. Die hochauflösende Sonografie von Kutis und Subkutis erlaubt in vielen Fällen eine Abgrenzung des dicken Beins des adipösen Patienten vom Lymph- , Lip- und Phlebödem [4, 5], wenn diesbezüglich durchaus auch noch weitere Studien erforderlich sind [1, 2]. Auch lokale benigne und maligne Tumoren, rupturierte oder komprimierende Bakerzysten bzw. Muskelfaserrisse können damit diagnostiziert werden. Die Sonografie des Abdomens und die Echokardiografie erlauben die internistische Genese des dicken Beines bzw. internistische Begleiterkrankungen bei multifaktorieller Ursache zu erkennen.

Therapieplanung

Die sorgfältige Differenzierung der Ursache der Beinschwellung hat wichtige Konsequenzen für die Therapie. Ein bei Phlebödem hilfreicher Kompressionsverband kann bei Herzinsuffizienz letale Folgen haben und ist unnütz beim Myxödem oder bei der Niereninsuffizienz. Hingegen bewirken Diuretika beim Lymphödem oder beim entzündlichen Ödem eine Verschlechterung der Situation durch Eiweißkonzentration im Gewebe und zunehmende Fibrosierung.

Die Therapieentscheidung wird gemäß der führenden Diagnose getroffen mit weiterer Beobachtung des Therapieerfolgs und ggf. Wiederholung der differenzialdiagnostischen Abklärung.


Literatur
1. Becker M, Schilling T, v. Beckerath O, Kröger K: Sonography of subcutaneous tissue cannot determine causes of lower limb edema. Vasa 2015; 44: 122-128
2. Brauer WJ: Ultraschall in der Lymphologie, state of the art. Phlebologie 2015; 44: 110-117
3. Herpertz U: Ödeme und Lymphdrainage. Diagnose und Therapie von Ödemkrankheiten. Schattauer Verlag Stuttgart 2003
4. Marshall M, Schwahn-Schreiber. C: Lymph-, Lip- und Phlebödem. Differenzialdiagnostische Abklärung mittels hochauflösender Duplexsonografie. Gefäßchirurgie 2008; 13: 204-12
5. Marshall M, Schwahn-Schreiber C: Zur Epidemiologie und sonografischen Diagnostik des Lymph-und Lipödems. derm 2013; 19: 246-259



Autor:

Prof. Dr. med. Markward Marshall

Internist, Arbeitsmediziner, Angiologie, Phlebologie
83684 Tegernsee

Interessenkonflikte: Der Autor hat keine deklariert.



Erschienen in: Der Allgemeinarzt, 2016; 38 (5) Seite 16-21