Der Gefäßchirurg Tigges betonte zu Recht, dass das Diabetische Fußsyndrom (DFS) noch immer ein Stiefkind in der medizinischen Versorgung darstellt. Warum wohl?

Als Erstes ist die schillernde Pathogenese zu erwähnen, für die sich verschiedene Fachdisziplinen zuständig oder eben nicht zuständig fühlen. Natürlich ist als Erster federführend der Diabetologe zu nennen, der die verschiedenen Facetten des DFS kennen sollte.

Jedoch ist zu bedenken, dass auch der Neurologe zuständig ist, da in immerhin ca. 70 bis 80 % eine diabetische Neuropathie bei der Pathogenese eine entscheidende Rolle spielt. Jedoch werden die wenigsten Patienten mit DFS allein von einem Neurologen behandelt, was wegen der sonstigen Komplikationen des DFS und der Anforderungen an eine Optimierung der Stoffwechselführung berechtigt ist.

Auch Gefäßchirurgen sind gefragt

Dennoch könnte der neurologische Hinweis auf eine Neuropathie hilfreich sein, wenn nicht – was anzustreben ist – der Diabetologe oder der diabetologisch orientierte Hausarzt die einschlägigen diagnostischen Maßnahmen durchgeführt und die Gefahr eines sogenannten "Prä-DFS" erkannt und berücksichtigt hat. Und schließlich ist auch der Gefäßchirurg zu nennen, der für den – seltenen – alleinigen ischämischen Fuß und – wesentlich öfter, wenn nicht sogar am häufigsten – für den ischämisch-neuropathischen Fuß zuständig ist.

Gefäßoperationen sind hier angezeigt, auch wenn der Therapieerfolg durch den zumeist diffusen Plaque-Befall der Beinarterien (im Gegensatz zu dem eher singulär lokalisierten Befall bei Nichtdiabetikern, z. B. mit Raucherbein) gefährdet ist.

Ein simpler, aber wichtiger Grund ist auch, dass die anzustrebende konservative Behandlung des DFS mit seinen Wunden oft eine wochenlange stationäre Betreuung erfordert, was wegen der mangelhaften Bewertung in den DRGs für die rein ökonomisch orientierte Verwaltung am besten ganz vermieden werden sollte … Sicherlich ist dies ein Grund für die immer noch zu häufigen vorzeitigen Amputationen, auch wenn sie zunächst nur einen kleinen Teil des diabetischen Fußes erfassen und deswegen oft nachträglich weitere Amputation(en) nötig machen (vulgo Salamitechnik).

Wann ist eine Wunde chronisch?

In den letzten Jahren dominierten Initiativen, die sich bevorzugt mit den chronischen Wunden bei DFS beschäftigten. Als chronisch wird angesehen, wenn eine Wunde nach acht Wochen noch nicht ausgeheilt ist. Hierzu zählen im Übrigen auch Wunden bei nichtdiabetischer peripherer arterieller Verschlusskrankheit, beim Ulcus cruris venosum und bei einem Dekubitus.

Erfreulicherweise nehmen das Interesse und die Therapieerfolge beim DFS – Letztere auch nichtstationär – in entsprechend zertifizierten "ambulanten Fußeinrichtungen" in der Praxis ständig zu, wobei auf die gute Zusammenarbeit mit einer kompetenten Klinik in entsprechenden Netzwerken besonderer Wert gelegt wird. Als Therapiegrundsätze haben zu gelten: Entlastung des betroffenen Fußes durch eine adäquate Ruhigstellung (geschulte orthopädische Schuhmacher sind hier gefragt!), lokale Wundbehandlung mit dem sogenannten Débridement, gezielte systemische Antibiotikagabe und – nicht zuletzt – optimale Stoffwechseleinstellung.

Wie entstehen Fußulzera?

Wo treten Wunden beim DFS bevorzugt auf? Da sind zunächst Läsionen an den Zehen zu nennen, deren Hauptursachen mykotische oder anderweitige Infektionen oder aber auch – leider – die unsachgemäße Versorgung der Zehen mit Verletzungen durch spitze Scheren (statt der Fußhygiene durch eine Fachkraft oder einen geschulten Angehörigen) darstellen. Ferner werden die meisten, oft (noch) nicht entzündeten Ulcera an der Fußsohle am vorderen Zehenballen beobachtet, deren Entstehung eng mit der Neuropathie zusammenhängt: Durch die diabetische Hyperglykämie kommt es bekanntlich zur Glykierung von Kollagen und Proteinen (als bekanntestes Beispiel dient der HbA1c-Wert), was wiederum zur Funktionseinschränkung und Verkürzung der Achillessehnen führt. Dies geht einher mit einem unerwünschten "Zug-Effekt" am Fuß, der nun zum Spitzfuß wird, was zur unphysiologischen Belastung eben jenes Fußballens führt.

Wo liegen die Fallstricke?

Trotz aller präventiven und therapeutischen Anstrengung mahnt Schmeisl zu Recht an, dass hier noch bessere Erfolge zu verzeichnen sein müssten. Ganz im Vordergrund stehend ist dabei die häufige Bagatellisierung der Frühsymptome (es fehlt zumeist der Schmerz als Warnzeichen!) und die Vernachlässigung der täglichen Fußinspektion durch den Patienten und – leider sei es gesagt – auch durch den behandelnden Arzt, der viel zu selten sich die Füße vom Patienten zeigen lässt. Dies liegt wohl vor allem daran, dass viel Zeit mit dem An- und Ausziehen von Schuhen und Strümpfen durch den alten, unbeweglichen Patienten verloren geht.

"Was nicht schmerzt, kann nicht so schlimm sein!" So ist das Risiko einer Amputation bei Diabetikern 15- bis 50-mal höher als bei Nichtdiabetikern: 70 von 10.000 Menschen mit Diabetes werden pro Jahr in Deutschland amputiert; von 65.000 solcher Operationen jährlich fallen dabei 40.000 auf Diabetiker! Die Prävalenz des DFS bei älteren Patienten über 50 Jahre beträgt 5 bis 10 %. Schlimm ist, dass die Hälfte aller Patienten nach einer Erstamputation innerhalb von vier bis fünf Jahren am anderen Bein operiert werden muss und dass etwa ebenso viele innerhalb von drei Jahren versterben. Für Letzteres sind natürlich vor allem die generalisierte Atherosklerose und die mangelnde Mobilität verantwortlich.

Häufige Risikofaktoren

Neben den erwähnten Risikofaktoren gelten als besonders gravierend für die Entstehung des DFS vorangegangene Amputationen, ungeeignetes Schuhwerk, falsche Fußpflege (s. o.), Hornhautschwielen, extreme Adipositas, Schäden im Bereich der Hüfte und der Knie, Barfußlaufen, Einschränkungen des Sehvermögens (besonders nachteilig bei der täglich erforderlichen Inspektion der Füße, deswegen Hinzuziehung eines Angehörigen!), bereits vorhandene Fußdeformitäten, Paresen an den Beinen oder psychosoziale Probleme wie Alkoholismus und Drogen.



Autor:

© copyright
Prof. Dr. med. Hellmut Mehnert

Forschergruppe Diabetes e. V.
82152 Krailling

Interessenkonflikte: Der Autor hat keine deklariert.



Erschienen in: Der Allgemeinarzt, 2017; 39 (20) Seite 54-56