Bei Stuhltests in den 1970er-Jahren wurde noch nach bestimmten Bakterien (Colikeimen) gefahndet. Später zeigte sich, dass Colikeime schon allein quantitativ nur eine geringe Rolle in der Darmflora spielen. Die Stuhluntersuchung verschwand also wieder. Erst durch die Erforschung des Mikrobioms in den letzten Jahren hat sie einen erneuten Aufschwung genommen – mit sehr interessanten Ergebnissen vor allem beim Diabetes.

Nestor der deutschen Diabetologie
Wer kennt ihn nicht? Prof. Dr. med. Hellmut Mehnert ist seit über 50 Jahren auf dem Gebiet der Diabetologie aktiv. Auch heute noch hält der ehemalige Chefarzt der 3. Medizinischen Klinik des Krankenhauses München-Schwabing Vorträge und leistet Aufklärungsarbeit. Prof. Mehnert möchte Diabetesforschung so vermitteln, dass sie auch für den niedergelassenen Allgemeinarzt umsetzbar ist. In diesem Sinne sind auch "Mehnerts Diabetes-Tipps" verfasst, die als Serie im Allgemeinarzt erscheinen und hoffentlich dazu beitragen, dass Sie Ihre Diabetes-Patienten besser betreuen können.

Untersuchungen bei Tieren und Menschen zeigen, dass ein möglicher Zusammenhang von intestinalen Mikroorganismen im Hinblick auf Insulinresistenz und Diabetes naheliegt. Bakterien spielen bei Entstehung, Prävention und Therapie von Typ-1- und Typ-2-Diabetes oft eine gewisse Rolle.

Der Mensch ist ein Wirt für Milliarden von Darmkeimen, von denen verschiedene Gattungen in großer Zahl unseren Organismus bevölkern. Deren Gesamtheit wird als Mikrobiom bezeichnet. Dazu zählen nicht nur die Darmbakterien, sondern auch alle Mikroorganismen unserer Hautflora. Bei den Milliarden von Mikroorganismen dominieren hauptsächlich Bakterien. Es werden aber auch Pilze, Viren und Protozoen festgestellt. Alle zusammen übersteigen die Anzahl aller anderen humanen Zellen um ein Zehnfaches.

Genetik ist genauer

Neue gentechnische Analysen erlauben eine detaillierte Bestimmung des Mikrobioms. Dies hat zu einem enormen, weltweiten Anstieg von Forschungsarbeiten geführt. Es zeigt sich, dass Bakterien aus dem Darm Wirtszellen aktivieren können. Wissenschaftler untersuchten daher das Darmmikrobiom und den Glukosestoffwechsel von Typ-2-Diabetikern. 18 Männer erhielten dabei eine Stuhltransplantation (koloskopische Verabreichung einer Stuhlsuspension), die entweder eine Eigenspende war oder von Fremdspendern mit Normalgewicht stammte.

Es zeigte sich, dass innerhalb von sechs Wochen nach dem Eingriff die Insulinresistenz der mit Fremdspenden behandelten Diabetiker signifikant höher war als bei Eigenspende. Dies galt nicht nur für die periphere Insulinsensitivität, sondern auch für die hepatische Insulinresistenz. Die Forscher stellten fest, dass es dabei zu mehr butyratbildenden Bakterien kam. Tierversuche haben gezeigt, dass Mäuse, denen ein Rezeptor für kurzkettige Fettsäuren im Darm fehlte, mit einer normalen Ernährung adipös wurden, während bei einem überexprimierten Vorkommen des Rezeptors ein normales Gewicht selbst unter einer fettreichen Diät zu verzeichnen war.

Die Energiebilanz wurde in Tierversuchen zumeist positiv beeinflusst. Für kurzkettige Fettsäuren ließ sich im MRT zeigen, dass sie bei Anwesenheit im Darm über die Bindung an Rezeptoren eine Reihe von Stoffwechseländerungen bewirken können, die auch zu Veränderungen im Glukosehaushalt führen.

Ergebnisse für Typ 1

Ähnliche Untersuchungen, wie sie für den Typ-2-Diabetes geschildert wurden, gibt es inzwischen auch für den Typ-1-Diabetes. Man konnte hier im Tierversuch zeigen, dass keimtragende Mäuse vor dem Auftreten einer für Typ-1-Diabetes typischen Insulitis der Langerhans’schen Inseln geschützt werden konnten. Bei keimfreien Mäusen konnte dieser Effekt nicht gezeigt werden. Im Gegenteil: Sie entwickelten häufiger Typ-1-Diabetes als die Kontrollgruppe.

Bei weiteren Untersuchungen wiesen gesunde Versuchsteilnehmer einer Kontrollgruppe eine signifikant höhere Anzahl an Butyrat- und Laktat bildenden Bakterienstämmen im Vergleich zu der an Typ-1-Diabetes erkrankten Gruppe auf. Diese Ergebnisse lassen einen Beitrag von Mikroorganismen für das Auftreten des Typ-1-Diabetes immerhin möglich erscheinen.

Es gibt eine Reihe von Einflussfaktoren, die über das sogenannte Kernmikrobiom und die drei dominierenden Enterotypen hinaus und unter bestimmten Umständen die Zusammensetzung des Mikrobioms verändern können. Das Auftreten von anderen Bakterien und Infektionen, die Einnahme von Antibiotika und nicht zuletzt die Ernährungsweise spielen hier eine Rolle.

Spezielle positive Effekte wurden bei der Zugabe von Präbiotika oder Probiotika assoziiert. Offenbar können sie vor einer Insulinresistenz schützen und fördern die erwünschte Wirkung von kurzkettigen Fettsäuren. Eine ballaststoffarme und fleischbasierte Ernährung ist hingegen mit negativen Auswirkungen wie vermehrter Endotoxämie verbunden. Aber auch die Einnahme von Antibiotika kann die Zusammensetzung des Mikrobioms offenbar über einen langen Zeitraum nachteilig verändern.

Für das Mikrobiom haben wir heute Einblicke in dessen komplizierte Zusammenhänge und Stoffwechselabläufe. Weitere Forschung ist aber unbedingt erforderlich, um die grundlegenden Mechanismen noch besser verstehen zu können. Auch ist einschränkend zu sagen, dass die aktuellen Ergebnisse überwiegend auf Tiermodellen beruhen sowie auf einfachen Studienbeobachtungen am Menschen mit kleinen Fallzahlen.

Natürlich ist die Zufuhr von Stuhl – endoskopisch über das Kolon –, die wichtige Ergebnisse erbrachte, in der Praxis nicht durchführbar. Zu denken wäre viel mehr an Kapseln, die sich im Dickdarm auflösen und entsprechend "günstigen" Stuhl enthalten. Die Forderung nach einer strengen Indikationsstellung für den Einsatz von Breitbandantibiotika leitet sich daraus ab. Diese wurde ja schon im Hinblick auf die weltweit drohende Zunahme an bakteriellen Resistenzen erhoben.

Bakterielle Infektionen, welche die Zusammensetzung des Mikrobioms fördern können, müssten natürlich entsprechend behandelt werden. Es ist die Frage, ob hier nicht der Teufel mit dem Beelzebub ausgetrieben werden muss, indem man letztlich doch Antibiotika gibt. Das sogenannte Kernmikrobiom behält der Mensch offenbar ein Leben lang.

Fazit

Unterm Strich zeigt sich, dass die Jahrzehnte andauernden Untersuchungen mit dem Für und Wider der Bedeutung des Mikrobioms, speziell der Darmflora, in ein neues Stadium getreten sind. Was anfänglich einer Überschätzung der Colikeime gleichkam, ist nach einem Tief in der Historie der Darmflora jetzt neuen Erkenntnissen gewichen, die dem Mikrobiom mit seinen Milliarden Keimen im Darm, aber auch auf der Haut eine neue Bedeutung zuweisen. Man darf gespannt sein, welche Ergebnisse die weiteren Forschungen bringen und ob sie im Hinblick auf die Beeinflussung der Entstehung von Typ-1- und Typ-2-Diabetes das halten können, was sie auf der Basis der ersten Untersuchungen versprechen.



Autor:

© Kirchheim
Prof. Dr. med. Hellmut Mehnert

Forschergruppe Diabetes e.V.
82152 Krailling

Interessenkonflikte: Der Autor hat keine deklariert


Erschienen in: Der Allgemeinarzt, 2019; 41 (19) Seite 53-54