Ein Arzt infizierte sich im Rahmen seiner Tätigkeit im Krankenhaus mit Corona. Dieser Erfahrungsbericht zeigt nicht nur eindrücklich den Leidensweg im Rahmen seiner schwerwiegenden COVID-19-Infektion auf, sondern ruft auch dazu auf, Sorge für die Personen zu tragen, welche die medizinische Versorgung in Deutschland sicherstellen.

Widmung: Als Anerkennung der Leistung des medizinischen Personals für ihre Versorgung von an COVID-19 erkrankten Patient:innen!

Der 59-jährige Chirurg Dr. B.* infizierte sich im Rahmen seiner Tätigkeit in einem Kreiskrankenhaus bereits zu Beginn der Corona-Pandemie mit COVID-19. Der vorliegende Fallbericht gibt anschaulich die Atemnot und die damit verbundene Angst des Patienten wieder. Er liefert auch tiefe Einblicke in die soziale Isolation der Betroffenen und zeigt auf, welche besonderen Herausforderungen durch das medizinische Fachpersonal zu bestehen sind.

Der Patient berichtet

"Die COVID-19-Infektion war für mich eine Wende, sowohl für mein Leben als auch für die Wahrnehmung meiner Gesundheit. Man wird sich bewusst, dass es schnell ganz anders sein kann. Ich habe Corona zunächst unterschätzt. Wir waren alle komplett überfordert, überrascht und quasi wie viele Menschen auf dem falschen Fuß erwischt. Das hat die Hygieneabteilung unseres Krankenhauses, unsere ganze Infrastruktur, alle überfordert.

Wie so viele andere habe ich nicht damit gerechnet, an Corona zu erkranken, eigentlich so nach dem Motto, ich hatte nie eine Grippe. Ich habe in 32 Jahren keine einzige AU abgegeben, weil ich immer fit war. Ich habe gedacht, mich trifft es nicht, doch da bin ich eines Besseren belehrt worden. Anfang April (2020) traten bei mir am Ende einer Woche während der Arbeit grippeartige Symptome auf, der Test auf COVID-19 fiel positiv aus. Ab Montag der folgenden Woche ist es dann jeden Tag schlechter geworden, ich war komplett appetitlos, ich habe nichts mehr geschmeckt, ich habe nichts gegessen, nichts getrunken, ich hatte massive Gliederschmerzen, und das hat sich gesteigert bis Freitag. Am Freitag ist dann der richtige Einbruch gekommen, ich konnte überhaupt nichts mehr essen, nichts mehr trinken und dann kam die Atemnot. Karfreitag bin ich ins Krankenhaus gegangen. Die Atemnot hat sich dann über die Feiertage massiv gesteigert und das Schlimmste für mich war, dass ich bei der geringsten Bewegung gedacht habe, ich ersticke. Ich habe mich über die Ostertage massiv gequält.


Abb.1: CT-Thorax; Bildquelle: Prof. Dr. Holzapfel, Krankenhaus Landshut-Achdorf.

Es wurde ein CT der Lunge veranlasst (Abb. 1). Ich habe mir die Bilder angesehen und gedacht, oh Gott, jetzt wird es ernst, denn die ganze Lunge war weiß. Und das war der Moment, in dem ich dachte: Ja, jetzt kann es in beide Richtungen gehen. Jetzt kann es auch sein, dass ich es nicht überlebe. Das war mir dann klar.

Akute Verschlimmerung und Intensivstation

Kurz darauf wurde ich auf die Intensivstation gebracht, intubiert und künstlich beatmet. Wegen Verschlechterung der Atemsituation verlegte man mich in eine Universitätsklinik. Nach einigen Tagen konnte dort die Extubation erfolgen.

Themeneinordnung: Gesundheitswesen im Ausnahmezustand
Der 27. Januar 2020 wurde mit der Beschreibung des ersten Falls einer COVID-19-Infektion in Deutschland wegweisend für die medizinische Betreuung der folgenden Monate. Während Schutzmaßnahmen im stationären und ambulanten Sektor u. a. wegen fehlenden Materials nur sehr verzögert anliefen, war vor allem medizinisches Personal dem Risiko einer COVID-19-Infektion ausgesetzt. Über die Anzahl an Corona erkrankter bzw. verstorbener Mitarbeiter:innen im Gesundheitswesen liegen bisher aus betroffenen Ländern erste Daten vor. Ende 2020 berichtete das RKI bereits von 29.517 an COVID-19 erkrankten und 29 verstorbenen Mitgliedern des medizinischen Personals sowie 20.644 Infektionen und 56 Todesfälle bei in Pflegeheimen tätigen Menschen in Deutschland.

Und das war die härteste Phase. Ich kannte niemanden und hatte Atemnot. Ich habe nur gehofft, dass ich wieder intubiert werde. Ich habe gesagt, bitte fliegt mich nach Hause, die intubieren mich wieder. Und die haben gesagt: "Nein, wir machen das nicht!" Ich habe gedacht, die wollen mich umbringen.

Kampf mit Krankheit, Angst und Isolation

Drei Tage habe ich wirklich mit der Sauerstoffmaske und meiner Angst gekämpft. Das Personal konnte nicht nachvollziehen, warum ich Atemnot habe, da die Sauerstoffsättigung nicht so schlecht war. Doch ich habe dauernd geklingelt und gesagt, ich habe Atemnot und ich war wahrscheinlich sehr anstrengend. Weil ich subjektiv das Gefühl hatte, ich ersticke. Ich habe immer gedacht, wenn das so weitergeht, wie soll ich weiterleben, wenn ich immer Atemnot habe. Vor allem belastet hat mich auch die soziale Isolation, denn Besuch war aus Gründen des Infektionsschutzes nicht erlaubt. Und dann habe ich das Handy bekommen in dieser schlimmsten Nacht, von der ich glaubte, ich werde sie nicht überleben. Das Handy gab mir die Möglichkeit, mit jemandem zu reden, denn dann − so habe ich gedacht − bringen die mich nicht um. Und dann habe ich mit den verschiedensten Leuten, erst mit meiner Familie, dann mit Freunden telefoniert. Und am nächsten Tag war es besser.

Erste Verbesserungen

Ich habe zum ersten Mal Frühstück bekommen. Und ich konnte da schon ein bisschen mit Hilfe aufstehen und dann hat die Stationsschwester gesagt: "So und jetzt zeige ich Ihnen die Intensivstation, damit Sie wissen, wo Sie sind." Dann sind wir einmal die Intensivstation vor und zurück. Da ist so langsam die Realität wieder zurückgekommen. Aber noch nicht ganz. Das war dann erst auf der ganz normalen Station. Dort war ich komplett klar und konnte bald darauf entlassen werden.

Einiges muss neu gelernt werden

Zu Hause habe ich anfangs wirklich Hilfe gebraucht. Zum Beispiel eine Treppe hochzugehen habe ich alleine nicht geschafft. Zum Duschen musste ich einen Stuhl benutzen. Das hat sicher eine Woche gedauert. Zusätzlich hatte ich keinen Tag- und Nachtrhythmus mehr. Ich habe gut zwei Wochen gebraucht, bis sich ein gewisser Rhythmus entwickelt hat. Aber ich konnte bald schon nach draußen und langsam gehen und das habe ich dann kontinuierlich über vier Wochen gesteigert. Zusätzlich habe ich relativ schnell mit einer Atemtherapie begonnen. Es war wichtig, das Atmen wieder bewusst zu lernen. Und ich war absolut glücklich und froh, wieder zu Hause zu sein. Das Gute an so einem Erlebnis ist, dass man realisiert, dass man noch mal eine Chance bekommen hat. Dass man sagen kann: Ich habe das jetzt überlebt.

Heutiger Zustand

Körperlich geht es mir wieder gut. Ich tue Dinge, die ich früher nicht gemacht habe: gehe ins Fitnessstudio zum Trainieren, fahre Fahrrad und habe das Gefühl, dass ich genauso fit bin wie vorher. Leider habe ich immer noch Erinnerungslücken. Ich habe mit allen gesprochen, die beteiligt waren, ich habe versucht, die Erinnerungslücken zu füllen, die ich hatte. Welche Lehren ziehe ich aus meinen Erlebnissen? Vor allem versuche ich jetzt, noch konsequenter Hygienemaßnahmen im Alltag umzusetzen. Ein Beispiel ist das Problem der Krankenhauskeime und ihre Verbreitung übers Händeschütteln. Mir ist es am Anfang wahnsinnig schwergefallen, den Patienten nicht die Hand zu geben. Wenn man 30 Jahre den Patienten die Hand schüttelt und das als wichtigen Kommunikationsfaktor sieht, muss man erst lernen, dass die Hand zu schütteln als Kontaktaufnahme entfällt. Das Problem mit den Krankenhauskeimen ist immer noch da, aber vielleicht lernen wir aus Corona in dieser Hinsicht. Noch konsequenter die Grundhygiene einzuhalten, das ist für mich eine ganz wichtige Botschaft.

Fazit: Das können wir aus der Pandemie lernen

Die Erfahrungen aus der Pandemie rufen uns insbesondere auch dazu auf, verstärkt Sorge zu tragen für die Sicherheit und die Gesundheit unseres medizinischen Fachpersonals. Hierzu gehören u. a. professionelle Katastrophenpläne, ausreichend Schutzkleidung, Impfung und Information für das versorgende medizinische Personal: Denn der, der hilft, muss geschützt werden, um weiter helfen zu können. COVID-19 ist nicht nur eine Virusinfektion, sondern führt zu sozialer Isolation und Angst sowie zu einer zusätzlichen schweren physischen wie psychischen Belastung des betreuenden medizinischen Personals. Unsere Aufgabe umfasst daher nicht nur die Patientenbetreuung, sondern auch den Appell an die Bevölkerung, Verantwortung vor allem im Bereich Prävention (z. B. Einhalten von Schutz-und Hygienemaßnahmen, Impfung) zu übernehmen. Zusätzlich sollten Strategien entwickelt werden, die notwendige Isolationsmaßnahmen für an COVID-19 Erkrankte und Risikogruppen erträglicher gestalten, um zum einen Angstentwicklung entgegenzuwirken und zum anderen Folgeschäden zu vermeiden.

Hinweis: Der vorliegende Fallbericht basiert auf einem audioregistrierten telefonischen Tiefeninterview durch das Institut für Marktforschung im Gesundheitswesen/München. Die Einwilligung des Patienten zur Veröffentlichung liegt vor.



Kontakt
Ulrich Kaiser,
Judith Dechantsreiter,
Florian Kaiser
Universitätsklinikum Regensburg,
Klinik und Poliklinik für Innere Medizin III

Erschienen in: doctors|today, 2021; 1 (8) Seite 74-76