Hausärzt:innen und ihre Praxisteams leisten seit Beginn der Pandemie erhebliche Mehrarbeit zusätzlich zur "normalen" medizinischen Betreuung und Behandlung ihrer Patient:innen, die unverändert Praxen aufsuchen oder Haus- und Pflegeheimbesuche benötigen. Mit Beginn der Impfkampagne in den Praxen Ende März 2021 hat sich der Arbeitsaufwand durch Planung, Priorisierung sowie Beratungen weiter enorm erhöht. Jetzt hat sich der Bayerische Hausärzteverband (BHÄV) mit einem offenen Brief an Gesundheitsminister Spahn über die unzumutbare Situation beklagt.

Ein besonderer Dorn im Auge ist dem BHÄV, dass Hausärzt:innen seit einem Jahr immer wieder das gleiche Muster erleben: Politische Entscheidungen zur Pandemiebekämpfung würden, wenn überhaupt, nur unzulänglich mit den Hausärzt:innen abgestimmt und vorbereitet und dann letztlich auf dem Rücken der Praxen ausgetragen, erklärt Dr. Markus Beier, Landesvorsitzender des BHÄV, in seinem Brief an Jens Spahn. Noch sei die Mehrheit der Kolleg:innen dazu bereit, sich in dieser außergewöhnlichen Zeit über Gebühr zusätzlich zu engagieren.

Mehraufwand muss anerkannt werden

Es sei aber nur eine Frage der Zeit, dass immer mehr davon Abstand nehmen werden, wenn nicht entsprechende anerkennende Maßnahmen – insbesondere auch durch das Bundesministerium für Gesundheit – jetzt in Angriff genommen werden, macht Beier seinem Ärger Luft.

Was er mit anerkennenden Maßnahmen meint, fügt er gleich hinzu. Obwohl mittlerweile neun von zehn Corona-Patient:innen ambulant über die Praxen versorgt würden, hätten die Medizinischen Fachangestellten im Gegensatz zu ihren Kolleg:innen in den Krankenhäusern keinen staatlichen Coronabonus erhalten. Dabei stünden die MFA im Kampf gegen die Pandemie an vorderster Front. Und sie seien es, die den zunehmenden Frust vieler Impfwilliger über die mangelnde Versorgung mit Impfstoff abbekommen. "Es ist einfach eine Frage des Respekts, dass die Politik dieses außergewöhnliche und nicht selbstverständliche Engagement endlich wertschätzt", stellt Dr. Beier klar.

Und noch etwas erregt den Unmut des BHÄV-Chefs: So stünden auch die einzelnen Honorare der Corona-Maßnahmen in keinem Verhältnis. So konnten Schnelltestcenter bislang pro Test 18 Euro abrechnen. Das reine Ausstellen einer digital lesbaren Impfbescheinigung soll ebenfalls mit 18 Euro vergütet werden. Gerade mal 2 Euro mehr erhalten dagegen Ärzt:innen pro Impfung. Mit den 20 Euro Honorar werde dabei der gesamte Aufwand für Planung, Beratung, Impfung, Nachbetreuung sowie für höhere Personal- und Sachkosten in den Hausarztpraxen abgegolten. Hinzu komme die stockende und kaum planbare Impfstoffversorgung, die dazu führe, dass die Praxen einen enormen Aufwand haben, Impftermine immer wieder zu verlegen oder kurzfristig abzusagen.

Der Frust ist groß

Als Beleg dafür, wie dramatisch die Situation in den Hausarztpraxen ist, führt Beier eine Umfrage an, die der BHÄV unter seinen Delegierten durchgeführt hatte. Demnach geben 70 % der teilnehmenden Hausärzt:innen an, wegen der Corona-Schutzimpfungen eine Arbeitsmehrbelastung von über 20 % zu haben. 64 % verimpfen 20 bis 50 Dosen pro Woche, 24 % sogar zwischen 50 und 100. 11 % erklären, keine Corona-Schutzimpfungen in ihren Praxen anzubieten und begründen dies mit der instabilen Impfstoff-Belieferung, dem zu hohen bürokratischen Aufwand und dem zu geringen Honorar. Auch den Frust insbesondere der MFA über die mangelnde Wertschätzung könnten die Hausärzt:innen nachvollziehen. 84 % schätzen die Bedeutung eines staatlichen MFA-Bonus als "sehr hoch" ein, 12 % als "hoch".

Trübes Stimmungsbild auch in Hessen

Dass nicht nur die Hausärzt:innen in Bayern betroffen sind, zeigt eine Umfrage unter 625 Hausarztpraxen in Hessen. Von denen beschreibt rund die Hälfte (46 %), dass sich die Erwartungshaltung der Impfinteressierten nach dem Wegfall der Priorisierung verändert hat. Diese seien noch aggressiver und fordernder in ihrem Auftreten.

Nur rund 16 % der Praxen geben an, dass die Menschen auch bei längeren Wartezeiten verständnisvoll reagieren. Mehr als ein Viertel (27 %) der Hausärzt:innen schätzt die Situation in ihrer Praxis gar als katastrophal ein. Nur 22 % sagen, dass die Impfungen gut zu managen seien.

Hausärztliche Expertise muss mehr Gehör finden

Am Ende seines Briefs stellt der BHÄV-Chef deshalb einige zentrale Forderungen an den Minister: "Wir Hausärzt:innen und unsere Praxisteams sind nachgewiesenermaßen das Rückgrat der medizinischen Versorgung und der Pandemiebekämpfung in Deutschland. Dafür fordern wir kurzfristig die Auszahlung eines MFA-Bonus, wie ihn die Mitarbeitenden in der Pflege zu Recht bereits erhalten haben, und umgehend eine sach- und leistungsgerechte Vergütung des zusätzlichen ärztlichen Aufwands bei den Corona-Impfungen." Außerdem fordert Beier, dass die ärztliche Expertise der Hausärzt:innen endlich anerkannt und stärker als bislang bei der Planung der Pandemiebekämpfung Gehör und Eingang in die politischen Entscheidungen findet.

Holetschek zeigt zumindest Verständnis

Eine Reaktion des Bundesministeriums für Gesundheit auf den offenen Brief war Mitte Juni noch nicht bekannt geworden. Allerdings hat sich der Bayerische Gesundheitsminister Klaus Holetschek dazu geäußert und zumindest Verständnis für den Frust bei den Hausärzt:innen bekundet. Er gestand ein, dass man die Kommunikation noch verbessern könne.



Autor
Dr. Ingolf Dürr

Erschienen in: doctors|today, 2021; 1 (7) Seite 32-33