Ein Wandel der Lebensbedingungen kann im Zeitenlauf Mensch und Tier evolutionär verändern, innerlich wie äußerlich. Das lässt heute schon befürchten, dass die Coronapandemie Spuren in der Menschheit hinterlassen wird. Die Frage ist dabei nur: Welche Spuren? Obwohl die COVID-19-Erkrankung zweifellos schwerwiegende Zukunftsfragen generiert, werden manche Zeitgenossen von ganz speziellen Überlegungen umgetrieben, die Otto Normalverbraucher kaum tangieren. So wird in etlichen Internetbeiträgen die Sorge thematisiert, ob "… man durch das regelmäßige Tragen von Corona-Masken abstehende Ohren bekommen …" kann. Per se ist eine Pandemie kein Schaulaufen und deshalb auch kein Ort für Eitelkeiten.

Aber schon der erste Lockdown hat bewiesen, dass allein der Ausfall professioneller Haarpflege langanhaltende Gemütswallungen quer durch alle Bevölkerungsteile hervorrufen kann. Gut, dass sich dies durch einen haartechnisch und psychisch geschickten Figaro gut korrigieren lässt. Da bewegt sich die kosmetisch auffallende, phänotypische Alteration eines markanten Körperteils, in diesem Fall der Ohrmuscheln, schon in einer anderen Liga. Im Unterschied zum überwuchernden Haarwuchs sprächen wir hier von einem eigenen Krankheitsbild, das als postpandemische, sekundäre Otapostasis ICD-gerecht verschlüsselt werden müsste. Das "Coronaohr" könnte dann das Jahr 2020 als den Beginn und die Ära boomender otoplastischer Eingriffe markieren. Immerhin repräsentieren die oft abschätzig bezeichneten "Segelohren" eine Dysplasie ersten Grades, mithin einen pathologischen Befund. Weniger Schmunzeln und ein bisschen mehr Respekt ist schon angebracht, wenn jemand deswegen gedankenschwere Überlegungen in seinem Innersten bewegt. Dabei ist zu bedenken, dass im Falle bleibender Masken- und Abstandsregeln trichterförmig abstehende Ohrmuscheln zur akustischen Optimierung beitragen und einen kommunikativen Vorteil darstellen könnten.

Doch unabhängig davon wurde jetzt fachärztliche Entwarnung gegeben: Im gewöhnlichen Leben bleibt ein ausgereifter Lauscher im Rahmen üblicher Alterungserscheinungen weitgehend formstabil. Mit dem Schuleintritt ist die Entwicklung des Gehörgangs nämlich abgeschlossen und ein mangelhafter Anthelixwulst mit einer deformierten Concha für die meist anlagebedingte Ohrmuschelverformung verantwortlich. Die Gummizugbelastung durch eine Mund-Nasen-Maske ist und bleibt ein Gerücht. Sollten trotzdem Befürchtungen oder gar operative Korrekturwünsche bestehen, möchte ich auf die hintersinnige Bemerkung eines meiner früheren Klinikchefs verweisen. Dieser hatte mächtige Segelohren, die durch eine Kurzhaarfrisur noch zusätzlich akzentuiert wurden. Kandidat:innen für eine Ohranlegeplastik konfrontierte er bei der Operationsaufklärung mit der immer gleichen Frage: "Wollen Sie das wirklich alles auf sich nehmen? Schauen Sie mich an: Man kann doch auch mit solchen Ohren etwas werden!"


Dies meint Ihr Fritz Meyer, Allgemeinarzt


Erschienen in: doctors|today, 2021; 1 (11) Seite 83