Die Atherosklerose und die koronare Herzerkrankung (KHK) im Besonderen sind Volkskrankheiten, denen meist Fettstoffwechselstörungen zugrunde liegen. In Deutschland geht man von zwei bis drei Millionen zu behandelnder Patienten aus. Für diese wird eine Dauerbehandlung im Sinne einer Sekundärprophylaxe empfohlen. Der folgende Beitrag zeigt, wie man dabei leitliniengerecht vorgehen sollte.

Die ESC-Guidelines AMI 2011 sehen als Sekundärprophylaxe pharmakologische Interventionen mit

  1. Acetylsalicylsäure,
  2. Beta-Rezeptorenblocker,
  3. ACE-Hemmer oder Angiotensin-Rezeptor-Blocker (ARB) und
  4. Statin vor.

Dies sind IA-Empfehlungen, das heißt jede dieser vier Interventionen ist „beneficial, useful and effective“ (I) und durch mehrere kontrollierte, randomisierte, plazebokontrollierte Studien abgesichert (A). Das Verhalten gemäß solcher Leitlinien ist wichtig und unumgänglich. Leitlinien sind jedoch nur ein Teil einer patientengerechten Therapie einerseits und nur ein Teil einer evidenzbasierten Medizin andererseits.

LDL-Cholesterin

Bereits in den 80er Jahren des letzten Jahrhunderts wurde durch epidemiologische Studien der Zusammenhang zwischen Gesamtcholesterin und dem KHK-Risiko gut belegt (Abb. 1)[1, 2]. Diese epidemiologischen Korrelationen wurden durch weitere Studien bestätigt. Diese zeigten, dass eine Senkung des LDL-Cholesterins durch den Lipidsenker Simvastatin die Lebenerwartung signifikant verbessert. Auch die Re-Infarktrate und die Notwendigkeit einer erneuten PTCA/ACVB-Operation wurden um jeweils 30 bis 40 % verringert [3].

Die Reduktion des LDL-Cholesterins lässt sich am besten mit einer linearen Regression beschreiben. Es gibt bisher keinerlei Hinweise dafür, dass ein besonders niedriger LDL-Cholesterin-Wert von Nachteil sein könnte. In einer jüngst publizierten Studie - allerdings in der Primärprophylaxe - konnte mit Rosuvastatin das LDL-Cholesterin bei einem Großteil der Patienten auf < 50 mg/dl abgesenkt werden. Ohne Nebenwirkungen hatten diese Patienten ein besseres Outcome als diejenigen, die kein Rosuvastatin erhielten, und auch als solche, die trotz Rosuvastatin einen Wert für LDL-Cholesterin unter 50 mg/dl nicht erreichen konnten [4]. In den ESC-Leitlinien 2011 wird daher ein Zielwert von < 70 mg/dl ausgesprochen, oder - falls dieser nicht erreicht werden kann - zumindest eine Halbierung des LDL-Cholesterin-Ausgangswertes empfohlen [5]. Um die Zielwerte für das LDL-Cholesterin zu erreichen, lautet die IA-Empfehlung, ein Statin in maximaler oder noch tolerabler Dosierung zu geben (vgl. Tabelle 1).

Bei Patienten, die Statine überhaupt nicht tolerieren können, werden Gallensäure-bindende Mittel (Colestyramin oder Colesevelam) mit einer IIaB-Empfehlung vorgeschlagen („should be considered“) [5]. Statin-Intoleranz tritt in der alltäglichen Praxis bei maximal 5 bis 10 % aller Patienten auf - in Form von subjektiv inakzeptablen Muskelschmerzen und Muskelschwäche. Viel seltener sind es laborchemische Zeichen, die zu einem Absetzen eines Statins zwingen (5-fache Überschreitung des oberen Grenzwertes der Creatin-Phosphokinase (CK) in weniger als 0,1 % aller Patienten; 3-fache Überschreitung der oberen Grenzwerte von GOT oder GPT in 0,5 bis 2 % aller Patienten). Allerdings sind die gastrointestinalen Wirkungen der Gallensäure-bindenden Mittel insgesamt bei höheren Dosierungen sehr häufig und sehr unangenehm (Flatulenz, Obstipation, Diarrhoe, reduzierte Absorption von fettlöslichen Vitaminen). Die Expertenempfehlung lautet daher: Bei Statin-Intoleranz sowie Unverträglichkeiten von Austauscherharzen und Nikotinsäure ist Ezetimib, ein Cholesterin-Absorptions-Hemmer, eine pharmakologische Möglichkeit mit einer IIbC-Empfehlung („may be considered“) - wegen dessen sehr guter Verträglichkeit und guter Wirksamkeit (-20 % LDL-Cholesterinsenkung) [5].

Werden mit einer tolerierten Statin-Dosis die Therapieziele der Leitlinien nicht erreicht, wird die zusätzliche Gabe von Ezetimib oder Austauscherharzen empfohlen. Wegen fehlender klinischer Studien mit den genannten Kombinationsmöglichkeiten kann es sich bis auf Weiteres nur um eine IIbD-Empfehlung handeln. Das Ausmaß der zusätzlichen LDL-Cholesterinsenkung (-20 %) bei Statin-Kombinationstherapie (Simvastatin 10 mg, 20 mg, 40 mg, 80 mg) ist in Abb. 2 dargestellt [6].

HDL-Cholesterin

Die Bedeutung der HDL-Cholesterin-Konzentration kommt besonders bei niedrigen HDL-Werten zwischen 25 und 40 mg/dl zum Tragen [7]. Bei solch niedrigen Werten wirkt sich ein hoher LDL-Cholesterin-Wert besonders dramatisch aus.

Es bieten sich fünf Möglichkeiten an, den HDL-Cholesterin-Wert zu steigern:

  1. Alkohol: Das Ausmaß, das HDL-Cholesterin durch alkoholische Drinks zu steigern, ist gering, sofern man die maximal zulässigen bzw. empfehlenswerten Dosen von < 20 g/Tag für die Frau und < 30 g/Tag für den Mann einhält. Jenseits dieser Alkoholmengen steigt die Mortalität und Morbidität aufgrund von hepatischen und gastrointestinalen Nebenwirkungen wieder an [8].
  2. Sport: Frauen haben von Anfang an höhere HDL-Cholesterinspiegel und können diese durch Sport besser steigern als ihre männlichen Kollegen [9]. Die Frage lautet: Gibt es Grenzwerte bei sportlicher Betätigung, d. h. ab welchem Ausmaß beginnt ein positiver Einfluss, und gibt es ein Höchstmaß, oberhalb dessen dieser positive Einfluss wieder abnimmt? Wissenschaftlich belegt ist dieser positive Einfluss auf kardiovaskuläre Erkrankungen für 20 Minuten körperliche Aktivität fünfmal pro Woche. Paffenberger et al. beschreiben ein Optimum für körperliche Aktivität für die bestmögliche Lebenserwartung von 3?500 kcal/Woche - entsprechend einem etwa einstündigen täglichen Training. Bei mehr an Sport scheint die Lebenserwartung dann wieder rückläufig zu sein [10].
  3. Statine: Diese haben einen geringen, aber signifikanten Effekt auf das HDL-Cholesterin im Sinne einer begrenzten 5 bis 10 %igen Steigerung. Bei Patienten mit manifester KHK oder Diabetes mellitus stehen Statine ohnehin auf dem Verordnungszettel, so dass dieser geringe Nebeneffekt gegeben ist.
  4. Fibrate: Bezüglich des HDL-Cholesterins wirken Fibrate ähnlich wie Statine. Fibrate haben jedoch ihren ersten Stellenwert bei der Hypertriglyzeridämie (siehe unten).
  5. Nikotinsäure: Nikotinsäure galt bisher als die effektivste Substanz, um die HDL-Cholesterin-Werte anzuheben. In den 1980er Jahren wurde für diese Monosubstanz eine Reduktion der Gesamtmortalität nachgewiesen („Coronary Drug Project“), Plazebo-kontrolliert, Studiendauer 14 Jahre [11]. Wegen unangenehmer Nebenwirkungen (Flush) wurde die Einnahme der Monosubstanz in der Praxis von den Patienten größtenteils abgelehnt. Auch eine veränderte Galenik („extended release“) führte nicht zu einer relevant verbesserten Akzeptanz durch die Patienten.

Inzwischen ist der pathophysiologische Mechanismus dieses Flush-Phänomens aufgeklärt worden: Nikotinsäure setzt aus Mastzellen der Haut Prostaglandin E2 frei, welches Rezeptor-vermittelt zu einer überschießenden Vasodilatation der Hautgefäße führt. Nikotinsäure wurde deshalb bis Anfang dieses Jahres als Kombinationspräparat mit Laropiprant (Tredaptive®) angeboten - einem Prostaglandin-E2-Rezeptor-Antagonisten. Die Flush-Rate und Flush-Intensität verminderten sich dadurch deutlich. Während dieser Artikel erstellt wurde, wurden die vorläufigen Ergebnisse der HPS2-THRIVE-Studie bekannt, in welcher Tredaptive® gegen Plazebo bei Statin-behandelten Patienten mit hohem Risiko für kardiovaskuläre Ereignisse geprüft wurde. Leider waren die Ergebnisse enttäuschend: Es kam zu keiner statistisch signifikanten Verminderung der Ereignisrate (Herzinfarkt, Hirninfarkt) im Vergleich zur Gruppe, die ausschließlich ein Statin erhielt. Andererseits resultierten aus der Kombinationstherapie mit Statinen und Nikotinsäure ernsthafte Nebenwirkungen wie Blutungen, Myopathien, Infektionen und das Neuauftreten eines Diabetes mellitus. Diese ungünstige Nutzen-Risiko-Konstellation rechtfertigt nicht länger die Verschreibung von Tredaptive®. Dessen Produktion wurde inzwischen eingestellt [12]. Die ESC-Richtlinien bezüglich des HDL-Cholesterins sind deshalb überholt und werden hier nicht mehr besprochen.

Damit ist jedoch die Frage, welche Rolle HDL-Cholesterin bei der Genese der Arteriosklerose spielt, bei weitem nicht geklärt. Es wäre zu einfach, aufgrund der HPS2-THRIVE-Studie dem HDL-Cholesterin jegliche Bedeutung abzuschreiben. Die vorläufigen Ergebnisse der HPS2-THRIVE-Studie können wie folgt interpretiert werden:

  1. Die beobachteten Nebenwirkungen sind durch Laropiprant, nicht durch Nikotinsäure ausgelöst.
  2. Die beobachteten Nebenwirkungen treten ausschließlich im chinesischen Studienarm auf.
  3. Die beobachteten Nebenwirkungen resultieren aus der Kombination von Statinen und Nikotinsäure.
  4. Die fehlende Nachweisbarkeit eines Benefits ist auf eine zu kurze Studiendauer zurückzuführen - insbesondere in Anbetracht der Statin-Therapie.
  5. HDL-Cholesterin-Steigerungen durch medikamentöse Interventionen sind nicht zu vergleichen mit genetisch bedingten oder durch Sport erworbenen hohen HDL-Cholesterin-Werten.

Triglyzeride

Hypertriglyzeridämie ist ein eigenständiger Risikofaktor für die KHK. Von der Gewichtung her kommt es jedoch deutlich nach dem LDL- und HDL-Cholesterin?[13]. Triglyzeride (TG) sind aber nicht nur ein Risikofaktor für eine Atherosklerose: Bei Werten > 880 mg/dl besteht eine erhebliche Gefahr für eine Pankreatitis; 10 % aller Pankreatitiden resultieren aus einer Hypertriglyzeridämie. Eine Pankreatitis kann jedoch schon bei Werten ab 440 mg/dl auftreten, so dass solche Patienten aus gastrointestinaler Indikation behandelt werden müssen:

  1. fettarme Ernährung,
  2. kein Alkohol,
  3. Fibrate.

Unabhängig von dieser Konstellation tritt eine Hypertriglyzeridämie (TG > 150 mg/dl) häufig mit Hypercholesterinämie und niedrigem HDL-Cholesterinspiegel auf. Allerdings zeigte die ACCORD-Studie [14] bei Diabetes-Patienten keinen signifikanten Einfluss von Fibraten auf den primären Endpunkt (Mortalität, Myokardinfarkt, Hirninfarkt). Nur in der Subgruppenanalyse (Patienten mit hohem TG und niedrigem HDL-Cholesterin) war ein positiver Effekt von Fibraten auf die Endpunkte zu erkennen.

Fibrate in Monotherapie reduzieren die Rate von Myokardinfarkten, insbesondere bei hohen TG- und niedrigen HDL-Cholesterin-Werten [15-18]. In den ESC-Guidelines 2011 erhalten die Fibrate daher eine IA-Empfehlung bei Monotherapie und eine IIaC-Empfehlung für Statine und Fibrate.

In Betracht kommen auch Omega-3-Fettsäuren (IIaB). Die günstigen Effekte von Omega-3-Fettsäuren liegen jedoch mit großer Wahrscheinlichkeit nicht in der Reduktion der Triglyzeride, sondern vielmehr in ihrem Membran-stabilisierenden Potenzial und damit in der Reduktion des plötzlichen Herztodes [19].

Zusammenfassung

IA-Empfehlungen geben die europäischen Experten für die Sekundärprophylaxe der KHK lediglich zweimal ab: Einerseits für das Erreichen eines LDL-Cholesterin-Zielwertes (< 70 mg/dl oder mehr als 50 %ige Reduktion des LDL-Ausgangswertes). In der Sekundärprophylaxe ist die Gabe eines Statins in der höchsten empfohlenen Dosis bzw. in der höchsten tolerablen Dosis mit einer Klasse-IA-Empfehlung zu verordnen. Alle anderen Interventionen, sei es wegen Unverträglichkeit von Statinen, sei es in Kombination, erreichen nicht dieses Maximalniveau.

Die Empfehlungen für die Sekundärprophylaxe der KHK können auf Patienten mit moderater oder schweren Niereninsuffizienz (GFR 15 bis 89 ml/min/1,73 m² Körperoberfläche) und auf die periphere arterielle Verschlusskrankheit übertragen werden sowie auf die Sekundärprophylaxe nach Hirnschlag.

Obwohl davon auszugehen ist, dass eine Statinintervention bei nachgewiesener Atherosklerose der Karotiden einen günstigen Einfluss auf den weiteren Verlauf hat, gibt es derzeit keine randomisierten Studien, welche diese wichtige Frage zu klären vermögen.


Interessenkonflikte:
keine deklariert

Kontakt:
Prof. Dr. med. Chrisitan J. F. Holubarsch
Park-Klinikum Bad Krozingen
Lazariterhof und Klinik Baden
79189 Bad Krozingen

Erschienen in: Der Allgemeinarzt, 2013; 35 (7) Seite 44-49