Ursache der Akromegalie ist ein Überschuss an Wachstumshormon (GH), fast immer als Folge eines Hypophysentumors. Häufig wird die Erkrankung erst spät diagnostiziert. Dabei könnte die Verdachtsdiagnose aufgrund der typischen Symptome und klinischen Zeichen in der allgemeinmedizinischen Praxis durchaus früher gestellt werden. Die weiterführende Diagnostik und Therapie sollten in einem spezialisierten Zentrum erfolgen.

Die Akromegalie ist eine seltene und schwerwiegende Erkrankung, deren Prävalenz weltweit auf 50 bis 70 Fälle und Inzidenz auf drei bis vier Patienten pro eine Million Einwohner geschätzt wird [6]. In Deutschland leben demnach rund 5 000 Patienten mit Akromegalie. Die Symptome und Zeichen der Erkrankung entwickeln sich schleichend, so dass die Diagnose im Durchschnitt erst acht Jahre nach Auftreten der ersten Symptome gestellt wird [9].

Hauptursache: Hypophysentumor

Bei über 99 % der betroffenen Patienten wird die Akromegalie durch einen Überschuss an Wachstumshormon (growth hormone, GH) aufgrund eines gutartigen Wachstumshormon-sezernierenden Hypophysentumors verursacht (Abb. 1). Wachstumshormon löst direkte Effekte in Zielorganen aus. Die Symptome der Akromegalie werden jedoch hauptsächlich von dem früher als Somatomedin C ("Vermittler der Wachstumshormon-Wirkungen") bezeichneten Insulin-ähnlichen Wachstumsfaktor 1 (IGF-1) verursacht [1]. IGF-1 wird hauptsächlich in der Leber nach Stimulation durch Wachstumshormon synthetisiert. Beide Hormone beeinflussen vor allem Wachstum und Differenzierung von Zellen. Im Kindes- und Jugendalter sind Wachstumshormon und IGF-1 wesentlich am Längenwachstum beteiligt. Im Erwachsenenalter regulieren sie u. a. den Glukose- und Fettstoffwechsel.

Merke: Akromegalie wird aufgrund der langsamen Entwicklung der Symptome und klinischen Zeichen häufig lange übersehen.

Rübezahl-Krankheit vs. Akromegalie

Je nach Krankheitsbeginn manifestiert sich der Wachstumshormon-Überschuss unterschiedlich. Bei Beginn im Kindes- und Jugendalter vor der abgeschlossenen Verknöcherung der Epiphysenfugen fallen die Patienten durch exzessives Längenwachstum auf. Man bezeichnet diese Form des Wachstumshormon-Überschusses auch als "Gigantismus" oder – nach dem als Riesen dargestellten Berggeist aus dem Erzgebirge – als "Rübezahl-Krankheit". Bei Krankheitsbeginn im Erwachsenenalter entwickeln sich die typischen Symptome und Zeichen der Akromegalie.

Diagnose auf einen Blick

Die Akromegalie ist eine der wenigen Erkrankungen, die es erlaubt, in der Arztpraxis eine Blickdiagnose im Sinne einer Verdachtsdiagnose zu stellen – dies ist aber häufig erst nach längerem Krankheitsverlauf der Fall. Typische Veränderungen [9] finden sich vor allem im Bereich des Gesichts und der Akren (Abb. 2).

Merke: Die meisten der vielfältigen Effekte des Wachstumshormons werden über IGF-1 vermittelt. Wachstumshormon und IGF-1 beeinflussen Wachstums- und Stoffwechselprozesse.

Dabei führt das disproportionale Wachstum von Kiefer- und Gesichtsknochen zu vergröberten Gesichtszügen: Die Nasolabialfalten vertiefen sich, die Lippen vergrößern sich, die Nasenwurzel wird breiter. Nach langem Krankheitsverlauf können sich bei florider Akromegalie supraorbitale Wülste bilden. Der Unterkiefer tritt zunehmend hervor (mandibuläre Prognathie). Damit geht eine Malokklusion und Vergrößerung des Zwischenzahnabstands einher. Bei Herausstrecken der Zunge wird die ausgeprägte Makroglossie sichtbar. Beeindruckend sind auch die u. a. aufgrund von Weichteilschwellungen großen Hände und Füße (Abb. 2). Die Patienten können ihre Fingerringe nicht mehr abziehen; die Schuhgröße nimmt zu.

Abb. 3 zeigt, wie sich das Gesicht einer unbehandelten Patientin mit Akromegalie über elf Jahre hinweg langsam verändert hat. Sie verdeutlicht, dass das wichtigste Werkzeug zur Erkennung der Akromegalie das geschulte Auge des Arztes ist.

Wann Sie noch an Akromegalie denken sollten

Aufgrund der systemischen Wirkungen von Wachstumshormon und IGF-1 ist die Akromegalie eine Erkrankung des gesamten Organismus. Damit geht ein "buntes" Krankheitsbild mit unterschiedlichsten Beschwerden und Veränderungen einher (Tabelle 1).

Diagnosesicherung an einem endokrinologischen Zentrum

Zur weiteren Diagnostik sollten Patienten in ein endokrinologisches Zentrum überwiesen werden. Bei klinischem Verdacht auf Akromegalie ist ein erhöhtes IGF-1 im Serum ein guter und spezifischer Screening-Parameter [9]. Hierbei müssen die altersspezifisch individuellen und je nach Messmethode unterschiedlichen Referenzbereiche von IGF-1 beachtet werden. Die alleinige basale Bestimmung von Wachstumshormon im Serum ist nicht zielführend, selbst ein niedriger Spiegel schließt eine Akromegalie nicht aus [9].

Beachte:
  • Patienten mit Akromegalie sollten angesichts der Seltenheit der Erkrankung von Kollegen, die sich auf Hypophysenerkrankungen spezialisiert haben, fachärztlich-endokrinologisch mitbetreut werden.
  • Eine gegenüber dem altersentsprechenden Referenzbereich erhöhte IGF-1-Konzentration im Serum kann den klinischen Verdacht auf Akromegalie erhärten.

Der Nachweis einer fehlenden Suppression von Wachstumshormon im oralen Glukosetoleranztest (OGTT) sichert die Diagnose; gleichzeitig wird die Insulinsensitivität untersucht. Erst im Anschluss folgt die bildgebende Lokalisationsdiagnostik mittels Kernspintomographie [9]. Weitere Untersuchungen im Hinblick auf die kardiovaskuläre Situation, Darmpolypen und eine kieferorthopädische Abklärung sind im Rahmen eines interdisziplinären Gesamtkonzepts erforderlich.

Therapiemöglichkeiten

Heutzutage steht für Patienten mit Akromegalie eine Reihe von Therapieoptionen zur Verfügung [9]:

  • Therapie der Wahl ist die Entfernung des Tumors durch einen in der Hypophysenchirurgie erfahrenen Neurochirurgen, meist transsphenoidal "durch die Nase". Ca. 60 % der Patienten sind nach der Operation dauerhaft geheilt.
  • Bei rezidivierender oder persistierender Erkrankung oder falls eine Operation nicht infrage kommt, werden Medikamente eingesetzt. Ziel ist es, die Krankheitsaktivität in den Griff zu bekommen und die Konzentrationen von Wachstumshormon und IGF-1 zu normalisieren (Tabelle 2).
  • Strahlentherapie oder Radiochirurgie werden heute fast ausschließlich im seltenen Fall rasch nachwachsender Hypophysentumoren eingesetzt. Die Wachstumshormon- und IGF-1-senkende Wirkung setzt in der Regel mit einer langen zeitlichen Latenz von mehreren Jahren ein und damit langsamer, als Funktionsverluste anderer Hypophysenachsen hinzutreten.

Therapie verbessert Komorbiditäten und normalisiert die Lebenserwartung

Akromegalie ist keinesfalls nur ein kosmetisches Problem: Nicht oder unzureichend behandelte Patienten versterben rund 10 bis 20 Jahre früher im Vergleich zu einer Referenzpopulation [4, 5, 8]. Die erhöhte Mortalität wird vor allem vom Ausmaß des Wachstumshormon-Exzesses und der Dauer der Erkrankung beeinflusst. Von kardialer Seite geht die Akromegalie häufig mit einer myokardialen Gefügestörung einher, die zu Klappenundichtigkeit und Volumenüberladung führt und die Entstehung von lebensbedrohlichen Arrhythmien begünstigt [2]. Daneben trägt das ungünstige Risikoprofil und die damit verbundene erhöhte Inzidenz kardio- und zerebrovaskulärer Erkrankungen zur erhöhten Sterblichkeit der Patienten bei [2, 5].

Fast alle Komorbiditäten der Akromegalie sind durch eine frühzeitige und adäquate Therapie mit Normalisierung von Wachstumshormon und IGF-1 reversibel [5]. Bei adäquater Therapie und erfolgreicher Normalisierung der Krankheitsaktivität erreichen die Patienten im Gegensatz zu Patienten mit aktiver Akromegalie wieder eine normale Lebenserwartung (Tabelle 3 und Abb. 4).

Akromegalie als multidisziplinäre Aufgabe

In die Betreuung von Patienten mit Akromegalie sind verschiedene medizinische Fachgebiete eingebunden. Vordringlichste Aufgabe ist zunächst, die Akromegalie zu erkennen. Hier sind vor allem Allgemeinärzte gefragt, die die Patienten bereits im Sinne einer Blickdiagnose "herausfischen" können. An die Akromegalie denken kann Leben retten!

Nachdem die Verdachtsdiagnose gestellt wurde, empfiehlt sich die diagnostische Abklärung durch auf Hypophysentumoren spezialisierte Endokrinologen. Die Behandlung selbst sollte durch ein multidisziplinäres Team erfolgen. Es umfasst den Allgemeinarzt, einen Endokrinologen, einen in der Hypophysenchirurgie besonders versierten Neurochirurgen sowie Kollegen aus der Neuropathologie, Neuroradiologie und ggf. der Strahlentherapie.

Fazit

  • Das Bewusstsein für seltene Erkrankungen kann dazu beitragen, betroffene Patienten in der Allgemeinarztpraxis besser zu entdecken.
  • Die Akromegalie kann durch eine Blickdiagnose erkannt werden.
  • Die Bestätigung der Diagnose und die multidisziplinäre Therapie gehören in die Hände von Spezialisten.
  • Eine adäquate Therapie der Akromegalie kann Begleiterkrankungen rückgängig machen und die Lebenserwartung der Patienten normalisieren.
  • Daran zu denken und die teils noch subtilen – und jedes für sich allein nicht spezifischen – Symptome der Akromegalie richtig zu deuten, führt zur rechtzeitigen Diagnosestellung, die dann den Patienten Leiden erspart.

Literatur:
1. Bidlingmaier M, Strasburger CJ (2010) Growth hormone. Handb Exp Pharmacol 195: 187-200
2. Colao A (2012) Improvement of cardiac parameters in patients with acromegaly treated with medical therapies. Pituitary 15: 50-58
3. Colao A, Auriemma RS, Pivonello R (2015) The effects of somatostatin analogue therapy on pituitary tumor volume in patients with acromegaly. Pituitary (Im Druck):
4. Dekkers OM, Biermasz NR, Pereira AM, Romijn JA, Vandenbroucke JP (2008) Mortality in acromegaly: a metaanalysis. J Clin Endocrinol Metab 93: 61-67
5. Holdaway IM, Bolland MJ, Gamble GD (2008) A meta-analysis of the effect of lowering serum levels of GH and IGF-I on mortality in acromegaly. Eur J Endocrinol 159: 89-95
6. Holdaway IM, Rajasoorya C (1999) Epidemiology of acromegaly. Pituitary 2: 29-41
7. Holdaway IM, Rajasoorya RC, Gamble GD (2004) Factors influencing mortality in acromegaly. J Clin Endocrinol Metab 89: 667-674
8. Rajasoorya C, Holdaway IM, Wrightson P, Scott DJ, Ibbertson AK (1994) Determinants of clinical outcome and survival in acromegaly. Clin Endocrinol (Oxf) 58: 95-102
9. Reincke M (2015) Hypothalamus und Hypophyse. In: H. Lehnert für die Deutsche Gesellschaft für Endokrinologie (Hrsg.) Rationelle Diagnostik und Therapie in Endokrinologie, Diabetologie und Stoffwechsel. Thieme, Stuttgart; 2015
10. Sandret L, Maison P, Chanson P (2011) Place of cabergoline in acromegaly: a meta-analysis. J Clin Endocrinol Metab 96: 1327-1335
11. Trainer PJ, Drake WM, Katznelson L, Freda PU, Herman-Bonert V, van der Lely AJ, Dimaraki EV, Stewart PM, Friend KE, Vance ML, Besser M, Scarlett JA (2000) Treatment of acromegaly with the growth hormone-receptor antagonist pegvisomant. N Engl J Med 342: 1171-1177


Autor:

Prof. Dr. med. Christian Strasburger

Klinische Endokrinologie
Charité – Universitätsmedizin Berlin
10117 Berlin

Interessenkonflikte: Die Abfassung dieser Arbeit wurde von der Firma Novartis unterstützt. Die Autoren erklären darüber hinaus keine Interessenkonflikte.

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Erschienen in: Der Allgemeinarzt, 2015; 37 (19) Seite 47-52