Die gesamte Datenmenge wächst mit besorgniserregender Geschwindigkeit. Bereits 2007 wurden in einem Jahr so viele Daten generiert wie in den gesamten 5.000 Jahren zuvor. Die Datenmenge wird sich in den kommenden fünf Jahren verzehnfachen. Wie soll man mit all diesen Mengen verfahren, wie sie verwalten und nutzbar machen?

Wie es mit Datenverwaltung im eigenen Haushalt aussieht, illustriert der Umgang mit digitalen Fotos. Ein einziges Bild hat je nach Auflösung einen Speicherbedarf, der dem kompletten Inhalt einer Festplatte der 80er-Jahre entspricht. Die fortschreitenden Speichermöglichkeiten führen dazu, dass immer mehr Bilddaten angehäuft werden und es immer schwieriger wird, diese Daten sinnvoll zu verwalten.

So ähnlich geht es mir auch mit meinen Büchern, auch oder gerade mit Fachbüchern. Ich finde einfach nicht das richtige Zitat in dem richtigen Buch an der richtigen Stelle. Es ist einfacher und aktueller, eine Suchmaschine zu befragen, als in der eigenen Bibliothek zu stöbern.

In der Medizin stehen wir, was Diagnose- und Therapiesysteme angeht, noch am Anfang, wenn auch die Komplexität medizinischer Entscheidungen ständig wächst. Aber auch hier geht es in Riesenschritten voran. IBM hat ein "cognitive computing technology"-System entwickelt, benannt nach dem ersten Chef der Firma, Watson, welches natürliche Sprache versteht und lernfähig ist. In Sekundenbruchteilen kann es Hypothesen erzeugen, bewerten, kombinieren und "evidenzbasierte" Antworten liefern. Allerdings ist nur ein kleiner Teil klinischen Wissens und Könnens einigermaßen abgesichert "evidence based". Aber auch die klinische Erfahrung bietet eine Wissensfülle, die durch das automatische Auswerten elektronischer Krankenakten genutzt werden könnte –, wenn nur die Daten nicht so völlig unstrukturiert wären.

Meine Befürchtung ist: Wenn Dr. Watson zum Zuge kommt, werden die Pfade und Algorithmen durch Programmierung so beeinflussbar, dass nur unter Einsatz möglichst vieler möglichst lukrativer apparativer Verfahren Diagnosen abgesichert und Therapien eingeleitet werden können. Damit wird die Medizin noch manipulierbarer, noch mechanistischer, noch inhumaner. Und dann wird es für jeden Einzelnen noch schwieriger werden, Informationen zu filtern, einzuordnen und für sich zu nutzen.

Big Data, ein Trend, der jetzt auch für die "schöne neue Heilerwelt" angepriesen wird, könnte bald für viele Patienten dann gar nicht mehr so schön sein.



Autor

Dr. Stephan H. Nolte

Facharzt für Kinder- und Jugendmedizin
35039 Marburg/Lahn

Erschienen in: Der Allgemeinarzt, 2018; 40 (16) Seite 5