Benzodiazepine und Z-Substanzen gehören zu den häufig eingesetzten Medikamenten. Aufgrund einer möglichen Abhängigkeitsentwicklung wird eine längerfristige Verschreibung aber oft als problematisch erachtet. Das 5-Phasen-Modell der Langzeitverschreibung spiegelt unerwünschte Wirkungen dieser Substanzgruppen wider, die lange vor einer Abhängigkeit auftreten. Diese Symptome können mit dem BenzoCheck – einem 12 Fragen umfassenden Bogen – von den Patienten selbst erfasst werden. Die Rückmeldung ist Grundlage für die Motivation zum Ausschleichen, die bei pharmakologisch richtiger Vorgehensweise einfach gelingt.

Benzodiazepine und die Z-Substanzen (Zolpidem und Zopiclon) werden in nahezu jeder hausärztlichen Praxis verschrieben, entweder "kurz und restriktiv" oder "lang und mit schlechtem Gewissen". Für die Anwendung dieser beiden Substanzgruppen spricht die initial gute Verträglichkeit, die rasche, gut steuerbare Anwendbarkeit und bei den Benzodiazepinen außerdem das breite Indikationsspektrum gegen fast alle psychischen Beschwerden. Gegen eine längere Anwendung sprechen die Empfehlungen der Leitlinien, die in der Regel eine auf 2 – 4 Wochen befristete Anwendung vorgeben, und das Abhängigkeitsrisiko. Letzteres wird aber von den meisten Kolleginnen und Kollegen, die diese Präparate auch langfristig rezeptieren, als gering angesehen.

Schleichende unerwünschte Nebenwirkungen

Benzodiazepine und Z-Substanzen verursachen lange vor einer Abhängigkeit sich schleichend entwickelnde unerwünschte Wirkungen, die häufig nicht richtig erkannt oder nicht dem Medikament zugeordnet werden. Das 5-Phasen-Modell der Benzodiazepin-Langzeitanwendung repräsentiert die je nach eingenommener Dosis auftretenden unerwünschten Wirkungen und dient in Verbindung mit dem BenzoCheck auch zur Information und Motivation von Patienten zum Ausschleichen. Die Schwierigkeiten bei der Abdosierung der beiden Substanzgruppen werden überschätzt bzw. beruhen auf falschen pharmakologischen Strategien.

Nebenwirkungen, die verschreibende Ärzte kennen müssen

Der Körper gewöhnt sich sehr rasch an die beruhigende Wirkung von Benzodiazepinen und Z-Substanzen. Lediglich bei sehr niedrigen Dosierungen oder intermittierender Gabe kann auch eine längere Anwendung nebenwirkungs-frei bleiben (Phase 1 – Prodromalphase). Die Gewöhnung beruht auf einer Gegenregulation, etwa wie wenn bei einem Auto die Wirkung der Bremse durch Gasgeben ausgeglichen würde. Bei Alkohol ist der Mechanismus ähnlich, nur geschieht diese Gewöhnung viel, viel langsamer und wird "automatisch" durch "mehr Gasgeben" ("zweites Feierabendbier") ausgeglichen.

Da bei der geordneten Verschreibung der Medikamente die Dosis nicht so einfach durch die Patienten gesteigert werden kann, sind sie relativ zu ihrem Bedarf unterdosiert, oder anders ausgedrückt, ständig leicht entzügig (Phase 2 – "Wirkumkehr"). Dies bedeutet innere Unruhe, Schlafstörungen, Stimmungsschwankungen, vermehrte Ängstlichkeit und Überempfindlichkeit gegen alle Sinnesreize ("Dünnhäutigkeit"). Wenn Betroffene nun z. B. merken, dass ihr Schlafmittel nicht mehr so gut wirkt, werden sie es womöglich ganz weglassen. Dadurch überwiegt plötzlich die Gegenregulation und die Patienten können gar nicht mehr schlafen. Die Folge: Sie wollen das Mittel weiter haben ("lieber schlecht als gar nicht schlafen"). Gegebenenfalls werden die Patientinnen – 2/3 der Langzeitanwender sind Frauen – auch eine Dosissteigerung im Verlauf einfordern und damit die Phase 3 ("Apathiephase") einleiten. Hierbei zeigt sich eine typische Trias aus emotionaler Abstumpfung (Betroffene sind emotional wenig spürbar, können sich selber nicht mehr richtig freuen, nicht mehr richtig traurig sein), kognitiv-mnestischen Defiziten (Konzentrations-, Merkfähigkeits- und Gedächtnisstörungen, herabgesetzte Problemlösefähigkeit) und fehlender körperlicher Energie (ggf. deshalb Bedürfnis nach organischer Ursachenforschung). Diese Veränderungen treten schleichend über Monate oder Jahre auf, sodass sie häufig nicht auffallen oder über "Küchen-Psychologie" erklärt werden wie Alterserscheinung oder Folge von Lebensereignissen.

Patienten suchen zusätzliche "Quellen" für die Medikamente

In die 4. Phase (Sucht-Phase) treten Betroffene typischerweise ein, wenn sie zusätzliche "Quellen" für die Medikamente finden, sei es Beschaffung über Dritte, oder, sehr häufig, wenn sie beim Vertreter des eigenen Hausarztes auch nach dessen Abwesenheitszeiten weiter Rezepte für "ihr" Medikament erhalten. Die Kriterien nach ICD-10 für eine Abhängigkeit sind nun in der Regel erfüllt. Nur ca. 20 % der Patienten mit einer Langzeitverschreibung haben mehrere verschreibende Ärzte; dies ist ein Indiz dafür, dass viele Betroffene auch nicht in eine klassische Abhängigkeit hineingeraten. Nur ein ganz kleiner Teil der ausschließlich Benzodiazepine oder Z-Substanzen Nehmenden kommt in die 5. Phase, die "Intoxikations-Phase", mit dauernder Überdosierung (typischer bei polytoxen Patienten). Sie sind ständig schläfrig, nicken auch kurz ein, kommen aber nicht mehr in längere Schlafphasen, sondern erwachen nach wenigen Minuten wieder.

Motivieren zum Abdosieren ist einfach

Reden Sie nicht von Sucht oder Abhängigkeit! Betroffene fühlen sich nicht abhängig, schließlich haben sie "ihr" Medikament nicht "aus Spaß" genommen, sondern weil sie eine Schlafstörung, Depression, Ängste etc. haben. Sprechen Sie von Nebenwirkungen, die im Verlauf auftreten können. Ob und in welchem Ausmaß unerwünschte Wirkungen sich ausgebildet haben, können Betroffene selber mittels des BenzoCheck überprüfen ( http://www.lwl-kurzlink.de/benzo-check ). Je höher dabei die Punktzahl ist, umso wahrscheinlicher sind aktuelle Beschwerden durch das Medikament verursacht. Geben Sie den Bogen Ihren Patienten bei der Verschreibung des Präparates mit und sprechen Sie die Ergebnisse vor der nächsten Verschreibung mit ihnen durch.

Abdosieren ja – aber richtig

Falsch durchgeführte Abdosierungen können mit erheblichen Absetz- bzw. Entzugssymptomen verbunden sein. Deshalb müssen 3 pharmakologische Faktoren berücksichtigt werden:

  • Halbwertszeit des Präparates,
  • möglichst konstanter Spiegel über 24 Stunden und
  • kleine Reduktionsschritte.

Bei niedrigen Dosierungen lässt sich dies am einfachsten durch die Umstellung auf Clonazepam-Tropfen gewährleisten. Clonazepam hat eine mittlere Halbwertszeit (kein zu schneller Wirkspiegelabfall, keine Dosiskumulation), und durch den geringen Wirkstoffgehalt pro Tropfen kann die bisherige Dosis über den Tag verteilt und kleine Reduktionsschritte verwirklicht werden. Das Absinken unter den benötigten Wirkspiegelbereich verursacht Entzugssymptome, die sich bei einmal täglicher Einnahme bis zur nächsten Einnahme sehr unangenehm bemerkbar machen und die Fixierung auf die Medikation erhöhen, weil dann alle Beschwerden (=Entzug) verschwinden. Die entsprechende Umstellungsdosis kann aus Tabelle 1 gezogen werden. Die Umstellung erfolgt "schlagartig" von einem auf den anderen Tag.

Begleitung im Entzug

Entgegen anderslautenden Empfehlungen sollte die Abdosierung zeitlich nicht zu sehr gestreckt werden, da sonst über einen langen Zeitraum ein Teil der Aufmerksamkeit der Betroffenen durch das Thema gebunden ist, die Motivation schwinden kann oder Lebensereignisse Kraft und Energie binden, die dann für den Entzug fehlen.

Durch die Stabilisierung des Wirkspiegels über den Tag profitieren besonders die Patienten, die bisher kurzwirksame Präparate genommen haben, und erleben eine Verbesserung ihres Befindens. Typische Entzugssymptome werden in der Regel bei dieser Vorgehensweise insgesamt nur selten beklagt.

Häufig brauchen gerade ältere Patienten aufgrund unrealistischer Schlaferwartung und falschen Umgangs mit Schlafstörungen eine schlafhygienische Beratung. Hierzu können kostenlos erhältliche Broschüren (z. B. http://www.dgsm.de/patienteninformationen_ratgeber.php ), die für Betroffene vorrätig gehalten werden, eine gute Hilfe sein. Oftmals zeigt sich aber auch, dass eine zugrunde liegende psychische Störung deutlicher hervortritt, sodass ggf. fachärztliche Diagnostik und Therapie erforderlich ist. Eigene Studien haben gezeigt, dass Betroffene insgesamt aber von einem Entzug im Hinblick auf Schlafqualität und Depressivität deutlich profitieren. Gelingt der Entzug ambulant nicht, sollte möglichst an eine Klinik vermittelt werden, die spezielle Therapieprogramme für diese Zielgruppe vorhält, wie z. B. das Klinikum Stuttgart, die LWL-Klinik Lippstadt oder das Klinikum Arnsberg.



Autor:

Dr. med. Rüdiger Holzbach

Chefarzt der Klinik für Psychiatrie, Psychotherapie und Psycshosomatik am Klinikum Arnsberg
59755 Arnsberg

Interessenkonflikte: Der Autor hat keine deklariert.



Erschienen in: Der Allgemeinarzt, 2017; 39 (8) Seite 50-52