Steht ein antikoagulierter Patient vor einem operativen Eingriff, so müssen präoperativ einige Fragen geklärt werden: Muss die Antikoagulation beendet werden? Wenn ja, ist ein Umstellen auf niedermolekulares Heparin (NMH) notwendig? Bei Patienten, die mit einem Vitamin-K-Antagonisten (VKA) antikoaguliert werden, stellt sich die Frage nach einem Bridging. Unter Therapie mit einem nicht-Vitamin-abhängigen oralen Antikoagulans (NOAK) gibt es klare Empfehlungen, wann die Antikoagulation zu beenden ist. Hier einige Tipps für den Hausarzt.
Die Zahl der Patienten, die aufgrund eines erhöhten arteriellen Embolierisikos bei Vorhofflimmern (VHF) oder zur Sekundärprophylaxe einer venösen Thrombembolie (VTE) eine dauerhafte orale Antikoagulation erhalten, hat in den letzten Jahren deutlich zugenommen. Von den langzeitantikoagulierten Patienten müssen sich innerhalb von 2 Jahren etwa 30 % einem chirurgischen oder interventionellen Eingriff unterziehen [3]. Somit ist der Hausarzt häufig mit der Frage konfrontiert, wie im Falle einer anstehenden Operation mit der Antikoagulation zu verfahren ist.
Bei Patienten mit VTE wird in den aktuellen Leitlinien bei Vorliegen bestimmter Kriterien eine längerfristige Erhaltungstherapie empfohlen [1]. Neben den VKA hat sich in den letzten Jahren die Antikoagulation mit NOAK etabliert. Hierbei werden die Faktor-Xa-Inhibitoren Apixaban (Eliquis®), Edoxaban (Lixiana®) und Rivaroxaban (Xarelto®) von dem Thrombininhibitor Dabigatran (Pradaxa®) unterschieden. Ein wesentlicher pharmakologischer Unterschied zwischen VKA und NOAK besteht in der Halbwertszeit (HWZ). VKA weisen eine lange HWZ auf (bei Phenprocoumon ca. 6,5 Tage), wohingegen die HWZ der NOAK substanzspezifisch zwischen 8–17 Stunden liegt und somit vergleichbar zu der HWZ der NMH ist [2]. Aufgrund der langen HWZ der VKA gestaltet sich die Risikostratifizierung für das perioperative Management unter Phenprocoumon etwas komplexer. Bei den NOAK ist das perioperative Vorgehen einfacher, da aufgrund der kurzen HWZ die Einnahme des NOAK lediglich zeitgerecht pausiert werden muss. Eine überbrückende Antikoagulation ist hierbei nicht notwendig.
Bridging erfordert risikoadaptiertes Vorgehen
Aufgrund der langen HWZ der VKA hat sich vor ca. 20 Jahren das Konzept des Bridgings etabliert. Unter Bridging versteht man die überbrückende Gabe von Heparin (bevorzugt NMH) bei Patienten, die VKA aufgrund eines anstehenden operativen Eingriffs pausieren müssen. Die Strategie des Bridgings unterliegt aktuell einem Wandel. Dies ist darauf zurückzuführen, dass Studien bei Patienten mit Vorhofflimmern (VHF), die bei Eingriffen mit eher niedrigem Blutungsrisiko überbrückend mit volltherapeutischer NMH-Dosis antikoaguliert wurden, über ein erhöhtes perioperatives Blutungsrisiko berichteten (z. B. BRIDGE-Studie [4]). Das Thrombembolierisiko bei den Patienten, die keine überbrückende Antikoagulation erhielten, war nicht erhöht. Im Praxisalltag wird das Thrombembolierisiko der Patienten vielfach überschätzt und das Blutungsrisiko unterschätzt und somit häufig ein Bridging durchgeführt. Die aktuelle Datenlage spricht für einen restriktiveren Einsatz der Bridging-Antikoagulation, insbesondere bei Patienten, die aufgrund von VHF antikoaguliert werden, sowie für eine Adaption der NMH-Dosis [5].
Präoperativ das Blutungs- und Thrombembolierisiko stratifizieren
Ist bei einem mit VKA antikoagulierten Patienten ein operativer Eingriff geplant, so sollte zunächst die Notwendigkeit des operativen Eingriffs abgeklärt und die Situation genutzt werden, um die Indikation für die Fortführung der Antikoagulation kritisch zu überprüfen. Bei weiterhin bestehender Indikation für eine Antikoagulation und definitiv geplantem operativen Eingriff wird abgewogen, ob ein Bridging notwendig ist. In die Abwägung fließen sowohl das Blutungs- als auch das Thrombembolierisiko (TE-Risiko) mit ein (Abb. 1 und 2) [6, 7]. In einem ersten Schritt werden das Blutungsrisiko des operativen Eingriffs sowie das patientenbezogene Blutungsrisiko bestimmt. Besteht Unsicherheit im Hinblick auf das operative Blutungsrisiko, so sollte eine Kontaktaufnahme zum Operateur oder Interventionalisten erfolgen. Neben dem operationsbedingten Blutungsrisiko ist das patientenbezogene Blutungsrisiko zu berücksichtigen, das sich aus Komorbiditäten und Komedikationen ergibt und sich z. B. anhand des HASBLED-Scores abschätzen lässt [8]. Bei Eingriffen mit niedrigem Blutungsrisiko kann in der Regel die VKA-Therapie beibehalten werden. Der INR sollte hierbei jedoch in den unteren Zielbereich abgesenkt werden.
- Unter Bridging versteht man die Überbrückung einer Antikoagulation mit einem langwirksamen VKA (Phenprocoumon) durch kurzwirksame NMH vor geplanten operativen/interventionellen Eingriffen.
- Vor einem elektiven Eingriff wird eine sorgfältige Planung des periprozeduralen Antikoagulationsregimes unter Abwägung des individuellen Blutungs- und Thrombembolierisikos durchgeführt.
- Bei niedrigem perioperativen Blutungsrisiko kann nach Rücksprache mit dem Chirurgen/Interventionalisten in der Regel die Antikoagulation mit Phenprocoumon beibehalten werden. Der INR sollte hierbei auf den unteren Zielbereich abgesenkt werden.
- Bei hohem perioperativen Blutungsrisiko wird die VKA-Therapie unterbrochen und die Notwendigkeit für ein Bridging sowie die Dosis des NMH nach dem Thrombembolierisiko des Patienten festgelegt.
- Der Einsatz von NOAK im Rahmen eines Bridgings ist nicht indiziert.
- Bei Patienten, die mit einem NOAK antikoaguliert werden, richtet sich der Zeitpunkt des Absetzens nach der Substanz, der Nierenfunktion und dem Blutungsrisiko des Eingriffs.
- Da die Halbwertszeiten der NOAK und der NMH vergleichbar sind, ist ein präoperatives Umstellen auf ein NMH nach Absetzen des NOAK nicht sinnvoll.
Liegt ein hohes Blutungsrisiko vor, so wird in einem nächsten Schritt das TE-Risiko evaluiert (Tabelle 1). Bei einem niedrigen TE-Risiko wird die VKA-Therapie lediglich pausiert, ein Umstellen auf NMH wird nicht empfohlen. Bei Vorliegen eines mittleren bzw. hohen TE-Risikos sollte eine Evaluation im Hinblick auf ein Bridging erfolgen. Dieses wird bei Patienten mit hohem TE-Risiko in der Regel durchgeführt. Bei Patienten mit VHF und einem mittleren Risiko wird ein Bridging bei Z. n. ischämischem Schlaganfall, transitorischer ischämischer Attacke oder systemischer Embolie empfohlen [7]. Bei Patienten mit mittlerem VTE-Risiko begünstigen weitere Kriterien (z. B. rezidivierende Ereignisse, aktive Tumorerkrankung) die Entscheidung für ein Bridging.
Patienten mit mechanischen Herzklappen weisen ein hohes TE-Risiko auf und bedürfen einer sehr sorgfältigen Planung der Bridging-Strategie. Diese sollte stets in Absprache mit den Kollegen der Kardiologie und dem Operateur erfolgen.
Beim Bridging die niedrigst vertretbare NMH-Dosis verwenden
Die Dosis des NMH wird anhand des TE-Risikos, des Blutungsrisikos und unter Berücksichtigung der Komorbiditäten (z. B. Niereninsuffizienz) festgelegt. Eine volltherapeutische Dosierung sollte hierbei die Ausnahme sein und nur bei Patienten mit hohem TE-Risiko und niedrigem Blutungsrisiko erfolgen, bei denen die VKA-Therapie nicht beibehalten werden kann. Bei Patienten mit hohem TE-Risiko und hohem Blutungsrisiko sollte eine prophylaktische bzw. halbtherapeutische Dosierung bevorzugt werden.
NOAK zeitgerecht vor dem Eingriff absetzen
Das Absetzen des NOAK vor dem Eingriff richtet sich nach der Substanz, der Nierenfunktion und dem Blutungsrisiko. Die entsprechenden Empfehlungen sind in Tabelle 2 dargestellt [9]. Aufgrund der vergleichbaren HWZ von NOAK und NMH ist ein präoperatives Umstellen auf NMH nicht indiziert. Zudem konnte in einer Studie gezeigt werden, dass das präoperative Umsetzen auf NMH mit einem signifikant erhöhten Risiko für schwere peri- und postoperative Blutungen einherging, ohne das Risiko für kardiovaskuläre Ereignisse zu senken [10].
Postoperative Wiederaufnahme der Antikoagulation
Die postoperative Wiederaufnahme der Antikoagulation richtet sich nach dem Verlauf der Op., dem Blutungsrisiko und dem TE-Risiko des Patienten. Falls aufgrund von Blutungskomplikationen die zeitnahe Wiederaufnahme der VKA- oder NOAK-Therapie nicht möglich ist, so erfolgt die Antikoagulation mit NMH in der für die aktuelle Situation des Patienten angemessenen Dosis. Bei niedrigem Blutungsrisiko kann die Wiederaufnahme des NOAK ab 6–8 Stunden postoperativ erfolgen. Bei hohem Blutungsrisiko wird die Wiederaufnahme auf einen Zeitpunkt verschoben, der seitens der chirurgischen Situation angemessen ist, z. B. ab 48 oder 72 Stunden postoperativ.
Interessenkonflikte: Die Autorinnen haben keine deklariert
Erschienen in: Der Allgemeinarzt, 2019; 41 (12) Seite 34-38