Ob Panikstörung oder Sozialphobie: Angstpatienten sind auch beim Hausarzt häufig, werden oft aber nicht sofort erkannt. Bleibt eine Angststörung unbehandelt, entwickelt sie sich oft chronisch und kann die Lebensqualität des Patienten drastisch beeinträchtigen. Zudem liegen nicht selten unterschiedliche Angsterkrankungen zeitgleich vor. Erster und wichtigster Ansprechpartner für diese Patienten ist meist der Hausarzt.
Angststörungen sind die häufigsten psychischen Störungen und etwa 10 Mio. Menschen in Deutschland sind davon betroffen. Zu den wichtigsten Angststörungen zählen laut ICD-10: Panikstörung (episodisch paroxysmale Angst), Agoraphobie mit und ohne Panikstörung, Soziale Phobie, Spezifische Phobie und Generalisierte Angststörung GAS) [1].Im Rahmen einer Panikstörung treten Angstgefühle und körperliche Symptome (z. B. Tachykardie, Hitzewallungen, Beklemmungsgefühle, Zittern, Benommenheit, Schwitzen, Schmerzen in der Brust, Atemnot) anfallsartig – wie "aus heiterem Himmel" – auf und erreichen nach kurzer Zeit einen Höhepunkt (vgl. Fallbericht). Betroffene haben in dieser Situation Angst, ohnmächtig zu werden, die Kontrolle zu verlieren oder zu sterben. Herzklopfen wird etwa als Anzeichen für einen Herzinfarkt interpretiert, Schwindel als drohende Ohnmacht. Durch diese Symptome entwickelt sich ein deutliches Vermeidungs- und Schonverhalten.
Unter einer Agoraphobie versteht man die intensive Angst vor bestimmten Orten oder Situationen, in denen eine Flucht nur schwer möglich ist oder peinlich wäre. Typische Auslöser sind Menschenmengen, öffentliche Verkehrsmittel oder enge Räume. Viele angstauslösende Situationen werden komplett gemieden. Bei einer Sozialen Phobie haben Patienten davor Angst, im Mittelpunkt der Aufmerksamkeit zu stehen – z. B. vor dem Sprechen in der Öffentlichkeit, vor Vorgesetzten oder Behördengängen. Sie fürchten, sich peinlich oder ungeschickt zu verhalten und negativ bewertet zu werden.Bei einer Generalisierten Angststörung leiden Patienten unter den typisch körperlichen Kennzeichen der Angst sowie erhöhter Anspannung, Konzentrationsstörungen, Nervosität, Schlafstörungen und anderen psychischen Symptomen. Die Beschwerden sind meist Dauerzustand, also nicht anfallsartig wie bei Panikstörungen. Im Vordergrund stehen ständige, auf die Zukunft gerichtete Sorgen, z. B. dass ihnen/Verwandten Unfälle passieren oder sie erkranken könnten. Viele machen sich auch Sorgen über ihre permanente Besorgtheit ("Vor lauter Sorgen werde ich noch verrückt") [2]. Eine Spezifische Phobie liegt vor, wenn intensive oder panikartige Angst vor einem bestimmten Objekt (Spinne, Hund, Spritzen) oder Orten (Höhe, Dunkelheit, Fahrstuhl) auftritt.
Wie entstehen Angststörungen?
Angst ist ein normales, wichtiges Gefühl, nämlich eine physiologische Reaktion auf Gefahr. Bei übermäßiger Angst spielen unterschiedliche Faktoren (epigenetische, neurobiologische und psychosoziale) eine Rolle. Ein ängstlich-überbehütender Erziehungsstil der Eltern kann ebenso dazu beitragen wie der eigene Lebensstil (u. a. Arbeitsüberlastung, kaum Sport, ungesunde Ernährung, unregelmäßiger Schlaf, zu viel Kaffee und/oder Alkohol). Belastende Erfahrungen (z. B. Mobbing) oder stressige Lebensereignisse erhöhen das Risiko zusätzlich. Auch aufrechterhaltende Faktoren spielen mit, vor allem das typische Vermeidungsverhalten bei Angststörungen. Um einer Chronifizierung vorzubeugen, ist eine rasche Diagnostik und Behandlung der Angststörung wichtig. Viele Angstpatienten sind sich ihrer Krankheit jedoch nicht bewusst und berichten vorwiegend über körperliche Symptome. Die Folge: Die Angststörung wird oft nicht als solche erkannt. Dem Hausarzt als erstem Ansprechpartner kommt hier eine wesentliche Rolle zu.
Diagnose und Behandlung
Für Hausärzte gibt es Checklisten, welche die Diagnosestellung erleichtern, z. B. die aktuellen AWMF-S3-Leitlinien (vgl. Tipp 1) [3] oder die Praxis-Empfehlungen für Hausärzte (DEGAM) [4].
Die Therapie der Wahl sollte Schweregrad, Dauer, Begleiterkrankungen, mögliche Nebenwirkungen und die Präferenz des Patienten berücksichtigen. Bei leichten Ängsten reichen oft ärztliche Beratungsgespräche und Psychoedukation aus. Der Hausarzt sollte dem Betroffenen das Gefühl vermitteln, dass er ihn ernst nimmt und für glaubwürdig hält (vgl. Tipp 2). Sachliche Hintergrundinformationen sind ein weiterer Schritt, etwa, dass Angst eine angeborene Reaktion auf Bedrohungen ist, automatisch abläuft und als Schutzfunktion dient. Bei einer Panikstörung kann eine Fehlinterpretation körperlicher Signale plötzlich intensive Angst auslösen. Hier kann man u. a. Selbstverstärkersätze (z. B. "Ich kann meine Angst zulassen.") unterstützend etablieren. Eine weitere Botschaft: Körperliche Beschwerden haben nicht nur organische Ursachen, sondern auch psychische Auslöser. Ein vertrauensvolles Gespräch zwischen Arzt und Patient kann hier schon viel bewirken. Selbsthilfeliteratur und generelle Gesundheitstipps (ausreichend Schlaf, gesundes Essen, genügend Bewegung/Sport) sind zudem zu empfehlen. Der Arzt sollte die Patienten auch darauf hinweisen, dass Vermeidungsverhalten die Angst nur verstärkt und zur Depression führen kann. Alternative Verhaltensweisen (nicht flüchten, sich stellen, die Angst bewältigen) sollten deshalb gemeinsam erarbeitet und als Erinnerungshilfen für den Akutfall festgelegt werden.
- Kurze, klare, empathische Kommunikation, die Aufmerksamkeitsleistung ist durch Angst deutlich eingeschränkt
- Patienten ihre körperlichen Symptome, Gefühle und Gedanken schildern lassen
- Möglichst, wenn es die Praxissituation zulässt, auf stark beruhigende Medikamente mit Abhängigkeitspotenzial verzichten
- Bei Hyperventilation unterhaken und mit dem Patienten im Raum umhergehen, im Gespräch bleiben, eventuell Unterstützung für eine ruhigere Atmung geben
- Möglichst auf Atmung in eine Tüte oder die hohle Hand verzichten, daraus entwickelt sich ein oft zusätzliches Vermeidungsverhalten
Ist die Angststörung stärker ausgeprägt, sollte man an einen spezialisierten ärztlichen oder psychologischen Psychotherapeuten überweisen. Die Therapie der Wahl ist nach wie vor die kognitive Verhaltenstherapie, bei der die Betroffenen vor allem lernen, sich schrittweise ihren Ängsten zu stellen – durch ein Bedingungsmodell, einen individuellen Teufelskreis [5]
und eine Expositionsphase, die anfangs begleitet wird, dann selbstständig erfolgt (Abb. 1 – 3). Bei intensiverer Exposition (zwei Tage versus ein Tag Expositionsübungen) ließ sich bei Patienten mit Agoraphobie und Panikstörung noch ein Jahr nach der Expositionsphase nachweisen, dass sie eine deutlich höhere Angstreduktion erreichten [6].
Neben diesen Übungen werden u. a. auch die kognitiven Fehlinterpretationen und Verzerrungen bearbeitet. In der Regel betreut ein ambulanter Therapeut den Patienten. Kriterien für die stationäre Therapie sind: ausgeprägte Angststörungen (massiv eingeschränkter Aktionsradius), komorbide Störungen, Suizidgefährdung oder eine nicht ausreichende Besserung durch die ambulante Therapie.
Medikamentöse Therapie
Nach der S3-Leitlinie zur Behandlung von Angststörungen sollen die Patienten bei Panikstörung, Sozialer Phobie, Generalisierter Angststörung eine Psycho- oder eine Pharmakotherapie erhalten (Tabelle 1) [3]. Dies entscheiden – nach Aufklärung über Nutzen und Risiken – Arzt und Patient gemeinsam [3]. Die Wirksamkeit von selektiven Serotonin-Wiederaufnahmehemmern (SSRI) und selektiven Serotonin-Noradrenalin-Wiederaufnahmehemmern (SNRI) ist am besten belegt. Bei der Generalisierten Angststörung gibt es eine gute Evidenz für die Wirksamkeit von Pregabalin [8],
wobei man unbedingt das Missbrauchspotenzial berücksichtigen muss. Die Behandlung mit Benzodiazepinen ist wegen des Abhängigkeitspotenzials nicht zu empfehlen [3].
Vor allem eine alleinige Behandlung mit Psychopharmaka kann Nachteile haben, weil die Patienten die verbesserte Symptomatik oft dem Medikament zuschreiben und nicht der eigenen Selbstwirksamkeit und somit keinen neuen Umgang mit der Angst lernen. Auch für eine Kombinationstherapie gibt es zunehmend kritische Hinweise, was die Langzeitbehandlung betrifft. So berichten Fava et al. in einer Übersichtsarbeit, dass die zusätzliche Gabe eines Benzodiazepins oder eines Antidepressivums zu einer kognitiven Verhaltenstherapie sogar eine verschlechterte Angstsymptomatik im Follow-up – im Vergleich zu Plazebo – zur Folge hat [7]. Die Behandlung mit Psychopharmaka sollte deshalb möglichst nur die Therapie der zweiten Wahl sein, da Angststörungen sehr gut psychotherapeutisch behandelbar sind.
Interessenkonflikte: Der Autor hat keine deklariert.
Erschienen in: Der Allgemeinarzt, 2019; 41 (13) Seite 39-42