Hausärzte scheuen sich häufig vor dem Umgang mit Alkoholabhängigen. Meist liegt das nicht am Patienten, sondern daran, dass sich Allgemeinärzte nicht ausreichend für dieses suchtmedizinische Problem ausgebildet fühlen. Dabei ist der Hausarzt die Schlüsselfigur in einer erfolgreichen Therapie, insbesondere bei der ambulanten Entgiftung.

Um dem Alkoholkranken gerecht zu werden, ist zunächst ein pathophysiologisches Verständnis der Erkrankung notwendig. Die früher oft auch von Ärzten vertretene Ansicht, der Patient müsse nur willensstark genug sein, um den Alkohol stehen zu lassen oder zu kontrollieren, ist heute glücklicherweise selten geworden. Durch den wiederholten Alkoholkonsum, insbesondere nach stressbelasteten Lebenssituationen, kommt es zu wiederholten Dopamin-Ausschüttungen im Gehirn mit ausgeprägtem Belohnungscharakter [1, 2]. Im weiteren Verlauf wird dem Patienten zunehmend die Kontrolle durch das Großhirn entzogen, indem sich direkte Verbindungen zwischen dem Reiz und der Handlung auf Mittelhirnbasis ausbilden und Kontrollzentren im Frontalhirn "verkümmern" [3]. Ähnliche Verhaltensweisen finden wir bei erlernten Reflexen oder auch instinktivem Handeln: Trotz besseren Wissens, trotz eines festen Willens, gelingt den Betroffenen nicht die Kontrolle ihres Konsums. Dieses Erlebnis ist für die Patienten sehr belastend und selbstwertschädigend.

Durch ein tieferes Verständnis der Suchterkrankung kann dem Arzt in dieser Situation ein empathischer und motivierender Gesprächskontakt zum Patienten gelingen. Insbesondere im Erstkontakt steht nicht die Mahnung zur Abstinenz im Vordergrund, sondern die Herstellung einer tragfähigen Arzt-Patient-Beziehung. Auf dieser Grundlage werden die weiteren Kontakte gestaltet und eine gute Compliance entwickelt [4, 5]. Die Frage "Welche Vorteile hätte es für Sie, aufzuhören?" könnte ein positiver Einstieg in die Kommunikation sein. Dirigistische Empfehlungen verstärken häufig das Abwehrverhalten. Im Verlauf einer so begonnenen Therapie festigt sich das therapeutische Bündnis. Der Patient erlebt mit den weiteren Therapieschritten das Wiedererlangen seiner Kontrollfähigkeit und die Stabilisierung seines Selbstwertgefühls. Gerade bei Rückfällen oder psychosozialen Krisen im weiteren Verlauf ist das sehr bedeutsam. Je früher eine erneute Intervention gelingt, desto erfolgreicher ist sie. Weitere körperliche und soziale Folgeschäden können so vermieden werden.

Entgiftungsphase

Am Anfang der therapeutischen Intervention steht die körperliche Entgiftung und die Minimierung der Folgeschäden durch den chronischen Alkoholkonsum. In Deutschland ist nach wie vor die stationäre Entgiftung üblich. Dennoch eröffnen die Leitlinien auch die Möglichkeit einer ambulanten Entgiftung [6]. Gerade der stationäre Aufenthalt, z. B. in einer psychiatrischen Klinik, stellt für viele Betroffene eine große Hürde dar. Die Stigmatisierung, stationär psychiatrisch behandelt zu werden, und die im klinischen Alltag erlebte Fremdbestimmung tragen hierzu bei.

Kasten 1: Selbsthilfegruppen in Deutschland
Häufig existieren zudem noch freie Selbsthilfegruppen in vielen Städten

Für eine ambulante Entgiftung sollten jedoch gewisse Bedingungen erfüllt sein, um den Patienten nicht zu gefährden (vgl. Kasten 2). Wichtig ist zunächst eine gute Compliance und ein tragfähiges therapeutisches Bündnis. Der Patient muss sich in der Praxis angenommen und aufgehoben fühlen. In der Zeit der Entgiftung sollte er nicht allein leben, und es müssen ihm tägliche Kontakte in der Praxis über fünf bis acht Werktage möglich sein. Er muss darauf hingewiesen werden, dass die Verkehrstüchtigkeit während der Entgiftung erheblich eingeschränkt ist. In Einzelfällen kann durchaus eine Arbeitsfähigkeit bestehen bleiben, üblicherweise wird jedoch eine AU ausgestellt. Alkoholentzugskrämpfe in der Anamnese sind immer eine Indikation für eine stationäre Entgiftung. Patienten mit prädelirantem Bild, d. h. auch mit flüchtigen Halluzinationen oder zeitweise bestehender situativer oder örtlicher Desorientiertheit, müssen ebenfalls immer stationär behandelt werden.

Medikamente in der Entgiftung

In der Praxis sollte mit dem Patienten ein medikamentöser Entgiftungsplan aufgestellt und besprochen werden. Klinisch sollte eindeutig eine gute Vigilanz und Absprachefähigkeit dokumentiert werden. Medikamentös bieten sich für die Entgiftung vor allem Clomethiazol oder Oxazepam [7] an. Während Clomethiazol (Distraneurin®) speziell für die Entgiftungsbehandlung bei Alkoholabhängigkeit zugelassen ist, fehlt Oxazepam diese explizite Zulassung. Derzeit gibt es jedoch die Beschränkung der Clomethiazolzulassung auf den stationären Bereich. Bei diesem Dilemma besteht dringender Handlungsbedarf seitens der Zulassungsbehörden. Bei sorgfältiger Durchführung ist die ambulante Entgiftung bei einem ausgewählten Patientenklientel eine sichere, niedrigschwellige und gut akzeptierte Alternative zur stationären Entgiftung, nicht zuletzt ist sie auch deutlich wirtschaftlicher. Bei der Behandlung mit Clomethiazol ist die begleitende Gabe eines Antikonvulsivums auch im klinischen Bereich häufig üblich, z. B. Carbamazepin 200 mg zweimal täglich über 14 Tage.

Kasten 2: Voraussetzungen für eine ambulante Alkoholentgiftung
  • Absprachefähig und verlässlich
  • Nicht allein lebend
  • Täglicher persönlicher Kontakt möglich
  • Kein Alkoholentzugskrampf in der Anamnese
  • Keine prädelirante Symptomatik

Die Dosierung richtet sich nach dem bisherigen Alkoholkonsum, den vegetativen Entzugssymptomen [8] bei Therapiebeginn sowie nach Größe und Gewicht des Patienten. Die kurze Halbwertszeit des Clomethiazol führt zu einer besseren Steuerbarkeit des Medikaments, vor allem auch bei bereits eingeschränktem Leberstoffwechsel. Initial sind ambulant häufig sechs bis zehn Kapseln pro Tag erforderlich, ab dem dritten Tag kann die Dosis um täglich etwa eine Kapsel reduziert werden. Die tägliche Dosierung händigt der Arzt dem Patienten nach persönlichem Kontakt in der Praxis aus. So ist zumindest sinngemäß die Auflage einer kontrollierten Abgabe wie bei stationärer Entgiftung erfüllt. Eine Clomethiazol-Abhängigkeit kann so verlässlich vermieden werden. Um die "Take-Home-Dosis" am Wochenende möglichst gering zu halten und den Patienten besonders in den kritischen Tagen des Entzugs regelmäßig zu sehen, sollte die ambulante Entgiftung stets am Montag beginnen (vgl. Tabelle 1).

Bei alternativer Entgiftung mit Oxazepam ist die längere Halbwertszeit des Medikaments zu berücksichtigen (circa zwölf Stunden). Vor allem bei bestehenden Leberschäden ist diese erheblich verlängert. Die initiale Tagesdosis liegt bei etwa 40 – 60 mg, ab dem dritten Tag kann eine Reduktion um 10 mg täglich begonnen werden. Auch hier sollte der Arzt den Patienten täglich persönlich sehen und die Medikation in der Praxis aushändigen. Nach kurzfristigen Rückfällen für etwa zwei bis vier Tage kann alternativ auch eine sedierende antidepressive Medikation, z. B. mit Doxepin, erfolgen. 25 mg drei- bis viermal täglich unterstützen die Abstinenzfähigkeit. Begleitend ist eine milde Sedierung häufig wünschenswert. Zu beachten ist, dass durch Antidepressiva und Neuroleptika die Krampfschwelle gesenkt wird.

Schon zu Entgiftungsbeginn ist die vorübergehende Supplementierung vor allem von Vitamin B1 [9] sinnvoll, um eine Wernicke-Enzephalopathie zu vermeiden. B-Vitamine, aber auch Spurenelemente können besonders bei Patienten mit deutlicher Fehlernährung ergänzt werden. Von diesem Mangel sind meist "Spiegeltrinker" betroffen. Patienten mit episodischem Trinken haben zwischenzeitlich häufig Phasen der ausreichenden alimentären Versorgung.

Motivation und weitere Therapie

Gerade bei Patienten, die sich nach der Entgiftung nicht für eine weitere Therapie entscheiden, lässt sich durch Termine zur weiteren somatischen Diagnostik der Kontakt halten. Auch die Motivation zu einer weitergehenden Therapie kann man so bessern. Der Arzt sollte aufmerksam nach chronischen Leberschäden suchen, eine alkoholtoxische Neuropathie ausschließen, aber auch an Kleinhirnschäden und alkoholtoxische Kardiomyopathie denken.

Die ambulante Entgiftung ist eine vorwiegend somatische Therapie. Bei Alkoholabhängigen liegt die Herausforderung aber vor allem in der Motivation zur weiteren Psychotherapie und deren Begleitung in der Praxis. Von dem Wunsch, eine Rehabilitationsbehandlung direkt an die Entgiftung anzuschließen, sind wir in der Praxis – trotz nachgewiesener Wirksamkeit – jedoch noch weit entfernt [10]. Häufig wird erst nach der Entgiftung über die weiteren therapeutischen Schritte beraten. Im Vordergrund steht dabei die Hinwendung zu einer Rehabilitationsbehandlung, um langfristig die Abstinenzfähigkeit zu festigen und die berufliche und soziale Reintegration zu unterstützen. Diese Rehabilitation ist in Städten häufig auch ambulant möglich. Der Vorteil des ambulanten Settings liegt ganz klar in der Beibehaltung der bestehenden sozialen Strukturen (Familienleben, Arbeitsplatz). Hierdurch können in der Behandlungszeit von sechs bis 18 Monaten interkurrente Konflikte bearbeitet und neue Konfliktlösungsstrategien direkt erprobt werden. Im Rahmen dieser tiefenpsychologisch orientierten interaktiven Gruppentherapie mit regelmäßigen Einzelsitzungen und Partnergesprächen erfolgt die begleitende Reflexion. Voraussetzung ist jedoch eine ausreichende Abstinenzfähigkeit. Führen psychosoziale Konflikte zu mehrfachen Rückfällen, so ist dringend die Umwandlung in eine stationäre Maßnahme anzuraten. Im Anschluss daran sollte der Patient zu einer ambulanten Nachsorge motiviert werden. In diesem Zeitraum sind regelmäßige Kontakte in der Praxis, z. B. alle vier Wochen, sinnvoll. So werden Schwellenängste weiter abgebaut, und es lässt sich bei Problemen, Suchtdruck oder nach Rückfall frühzeitig der Weg in die erneute Therapie finden.

Gerade in dieser Therapiephase ist die Wirksamkeit der regelmäßigen Teilnahme an einer Selbsthilfegruppe (vgl. Kasten 1) nachgewiesen. Eine Reihe von Einrichtungen bieten diese Gruppen an, vom Setting her unterscheiden sie sich deutlich. Die Betroffenen sollten verschiedene Gruppen besuchen, um für ihre Bedürfnisse die beste Unterstützung zu finden.

Kontakt halten – Patienten begleiten

Die Alkoholabhängigkeit bleibt eine chronische Erkrankung. Krisen und Rückfälle können auch nach Jahren der Abstinenz auftreten. Der Therapieerfolg orientiert sich für Arzt und Patient an der Lebensqualität, insbesondere in der abstinenten Zeit. Auch wenn häufig drei oder mehr therapeutische Anläufe notwendig sind, lohnt sich jederzeit eine erneute Intervention. Gemessen an der Lebensqualität und der Zufriedenheit der Patienten ist die Alkoholismus-therapie sehr erfolgreich. Bei keiner anderen Rehabilitationsdiagnose ist die Reintegration in den Arbeitsmarkt so hoch [11]. Durch diese guten Verläufe wird auch die Motivation des Arztes gestärkt, weiter Alkoholabhängige zur Therapie zu motivieren und zu begleiten.


Literatur:
1. Spanagel R, Kiefer F. Neurobiologie der Alkoholabhängigkeit. Psychopharmakotherapie 2013; 20: 199-208
2. Sharot T, et al.. Dopamine Enhances Expectation of Pleasure in Humans. Current Biology 2009; 19: 2077–2080.
3. Ende G, et al.. Loss of Control of Alcohol Use and Severity of Alcohol Dependence in Non-Treatment-Seeking Heavy Drinkers Are Related to Lower Glutamat in Frontal White Matter. Alcohol Clin Exp Res 2013; 37: 1643-1649
4. Kruse G, Körkel J, Schmalz U. Motivation und Motivationsförderung. Alkoholabhängigkeit erkennen und behandeln, Bonn: Psychiatrie; 2000. S 175-196.
5. MillerMiller W, Rollnick S. Motivierende Gesprächsführung: Motivational Interviewing: 3. Auflage Lambertus; Auflage: 4., Übersetzung der 3. amerik. Auflage (6. Oktober 2015).
6. AWMF-Leitline. S3-Leitlinie "Screening, Diagnose und Behandlung alkoholbezogener Störungen"
7. Benkert O, Hippius H. Kompendium der psychiatrischen Pharmakotherapie, 10. Aufl. Heidelberg: Springer Medizin; 2014: 678-684
8. Lange-Aschenfeldt C, Müller MJ, et al.. Symptom-Triggered versus Standard Chlormethiazole Treatment of Inpatient Alcohol Withdrawal: Clinical Implications from a Chart Analysis,Eur Addict Res 2003; 9: 1–7
9. Jahn K. Akute Intoxikation und neurologische Folgen des Missbrauchs, InFo Neurologie Psychiatrie 2017;19: 36-42
10. Rehabilitationserfolg durch Integration von Entgiftung und Entwöhnung als stationäre Kombi-Leistung, 20. Reha-Wissenschaftliches Kolloquium, Bochum, 2011.
11. Köhler J, Grünbeck P, Soyka M. Entwöhnungstherapie bei Alkoholabhängigkeit – Inanspruchnahme, Dauer und Sozialmedizinischer Verlauf: Nervenarzt 2007; 78: 536-546


Autor:

Dr. med. Volker Nüstedt

Hausärztlicher Internist, Psychotherapie, Akupunktur
26123 Oldenburg

Interessenkonflikte: Der Autor hat keine deklariert.



Erschienen in: Der Allgemeinarzt, 2018; 40 (6) Seite 18-21