Die Digitalisierung im Gesundheitswesen schreitet weiter voran und ist nicht erst mit der Einführung der Videosprechstunde im Behandlungsalltag der Ärzte angekommen. Noch gibt es Unsicherheiten, unter welchen rechtlichen Rahmenbedingungen die Videosprechstunde angewendet werden darf. Die Rechtsanwältin Eva-Maria Neelmeier klärt auf.

Medizinische Behandlungen oder Beratungen unter Zuhilfenahme von Chats oder Videotelefonie werden zunehmend populärer. So bieten vorwiegend ausländische Unternehmen dies bereits seit einigen Jahren an. Bislang herrschte überwiegend große Unsicherheit bei den Ärzten, ob und unter welchen Bedingungen eine Fernbehandlung überhaupt erlaubt ist. Viele Ärzte haben daher lieber die Finger davon gelassen.

Im Jahr 2018 hat der 121. Deutsche Ärztetag beschlossen, dass die bisherigen Regelungen in der (Muster-) Berufsordnung (MBO-Ä) geändert werden sollen. So hieß es dort bis zur Änderung, dass "Ärztinnen und Ärzte individuelle ärztliche Behandlung, insbesondere auch Beratung, nicht ausschließlich über Print- und Kommunikationsmedien durchführen dürfen". Weiter sollte auch bei telemedizinischen Verfahren gewährleistet werden, dass ein Arzt den Patienten unmittelbar behandelt. Eine telemedizinische Behandlung war demnach bereits nach der alten Regelung der Berufsordnung möglich, allerdings nicht unter ausschließlicher Nutzung von Print- und Kommunikationsmedien.

Änderung der ärztlichen MBO-Ä

Nach den 2018 beschlossenen Änderungen sah die entscheidende Regelung nunmehr wie folgt aus:

Die Regelung stellt klar, dass der Grundsatz nach wie vor sein soll, dass eine Behandlung bzw. Beratung des Patienten unter persönlichem Kontakt mit dem Arzt stattfinden soll. "Im Einzelfall" ist ein solcher persönlicher Kontakt entbehrlich, wenn hierfür die vorgeschriebenen Voraussetzungen vorliegen.

Was muss der Arzt bei einer ausschließlichen Fernbehandlung beachten?

Der Arzt muss die notwendigen Voraussetzungen immer wieder neu überprüfen. Ob also ein "Einzelfall" vorliegt, muss nicht nur zu Beginn der Behandlung überprüft werden, sondern auch nach jedem einzelnen Schritt der Behandlung. Dies geht einher mit dem Umstand, ob eine solche Behandlung "ärztlich vertretbar" ist. Der Arzt muss fortwährend überprüfen, ob die Weiterbehandlung eventuell im persönlichen Kontakt erfolgen muss.

§ 7 Abs. 4 S. 3 MBO-Ä – Ausschließliche Fernbehandlung
"Eine ausschließliche Beratung oder Behandlung über Kommunikationsmedien ist im Einzelfall erlaubt, wenn dies ärztlich vertretbar ist und die erforderliche ärztliche Sorgfalt insbesondere durch die Art und Weise der Befunderhebung, Beratung, Behandlung sowie Dokumentation gewahrt wird und die Patientin oder der Patient auch über die Besonderheiten der ausschließlichen Beratung und Behandlung über Kommunikationsmedien aufgeklärt wird."

Ebenfalls besteht für den Arzt die Verpflichtung, den Patienten über die Besonderheiten der ausschließlichen Beratung und Behandlung über Kommunikationsmedien aufzuklären. Gemeint sind damit u. a. solche Hinweise, dass die Behandlung im Wege der Fernbehandlung von der Qualität der Daten- bzw. Informationsübermittlung des jeweiligen Kommunikationsmediums abhängig ist. Ebenfalls muss ein Hinweis erfolgen, wenn die ausschließliche Fernbehandlung ärztlich zwar noch vertretbar ist, jedoch wesentlich abweichende Belastungen, Risiken oder Heilungschancen gegenüber der Behandlung im persönlichen Kontakt aufweisen. Sinn und Zweck dieses Erfordernisses ist es, dass der Patient eine Entscheidung treffen kann und als Grundlage die entsprechenden Informationen erhalten hat.

Wer "Fernbehandlung" sagt, muss auch "Datenschutz" sagen

Eine Behandlung oder Beratung mittels Kommunikationsmedien hat zudem Einfluss auf den Datenschutz – oder andersherum. Kommunikationsmedien sind dabei alle Kommunikationsmittel, die zur ärztlichen Beratung und Behandlung eingesetzt werden können, ohne dass der Arzt und der Patient gleichzeitig körperlich anwesend sind. So fallen darunter beispielsweise Telefonanrufe, E-Mails, Videotelefonie, SMS usw.

Da es sich dabei um eine Datenverarbeitung von personenbezogenen Daten handelt, muss der Patient hierüber informiert werden. Ebenfalls muss sichergestellt werden, dass die Kommunikationswege den notwendigen technischen und organisatorischen Maßnahmen entsprechen. Hier sollte gegebenenfalls Rücksprache mit einem Techniker gehalten werden.

Hilfestellungen für die Praxis
Nach wie vor ist teilweise noch nicht abschließend geklärt, ob im Rahmen der ausschließlichen Fernbehandlung beispielsweise Arzneimittelverschreibungen oder Heilmittelverordnungen von dem Arzt ausgestellt werden können. Mit solchen Fragestellungen hat sich auch die Bundesärztekammer beschäftigt und tut es noch: Hinweise und Erläuterungen der Bundesärztekammer zu den Änderungen von § 7 Abs. 4 MBO-Ä

Jeder, der Daten als Verantwortlicher verarbeitet, ist dazu verpflichtet, sämtliche Datenverarbeitungsschritte in ein sogenanntes Datenverarbeitungsverzeichnis einzutragen. Hierzu gehört natürlich auch die Datenverarbeitung im Rahmen der Fernbehandlung. Der Arzt muss angeben, wer hier der Ansprechpartner ist, wann diese Datenverarbeitung eingeführt worden ist, zu welchem Zwecke die Daten verarbeitet werden, in welche Kategorie der betroffenen Personen die Datenverarbeitung fällt, welche Kategorie von personenbezogenen Daten betroffen ist, ob ein Transfer in Drittländer stattfindet, welche Löschfristen für diese Daten gelten und welche technischen und organisatorischen Maßnahmen getroffen werden. Im besten Falle existiert in der Arztpraxis solch ein Datenverarbeitungsverzeichnis bereits und die Angaben zur Verarbeitung der personenbezogenen Daten im Rahmen der Online-Terminvereinbarung müssen nur noch ergänzt werden.

Fernbehandlung und Arbeitsunfähigkeitsbescheinigungen

Eine der häufigen Fragen lautet: "Kann ich eine Arbeitsunfähigkeitsbescheinigung ausstellen, obwohl ich mit dem Patienten ausschließlich über Kommunikationsmedien Kontakt hatte?" So wurde von einem Unternehmen beispielsweise eine Online-Plattform vorgestellt, wonach das Ausstellen von Arbeitsunfähigkeitsbescheinigungen per WhatsApp möglich sein soll.

Grundsätzlich ist nach Änderung der MBO-Ä eine solche Vorgehensweise formal möglich bzw., wie die Bundesärztekammer es ausdrückt, "berufsrechtlich vorstellbar". Jedoch müssen Ärzte die Arbeitsunfähigkeitsbescheinigung nach bestem Wissen und Gewissen ausstellen. Daher muss in jedem Einzelfall geprüft werden, ob die Voraussetzungen für eine ausschließliche Fernbehandlung vorliegen. Beachtet werden muss darüber hinaus, dass die Arbeitsunfähigkeitsbescheinigung einen hohen Beweiswert hat, da im Krankheitsfall Entgeltfortzahlungen geleistet werden bzw. ein Anspruch auf Krankengeld besteht.

Wenn eine persönliche Untersuchung nicht stattgefunden hat, kann dies zu einer Verminderung des Beweiswertes führen. Daher sollte in jedem Fall genau von dem Arzt geprüft werden, ob die Ausstellung einer Arbeitsunfähigkeitsbescheinigung auf dieser Grundlage ärztlich vertretbar ist.

Am 1. Oktober 2019 sind neue Regelungen insbesondere bzgl. der Vergütung der Videosprechstunde in Kraft getreten. Erfahren Sie im Beitrag "Vergütung neu geregelt: Wie rechnet man ab jetzt die Videosprechstunde ab?", was sich geändert hat.




Eva-Maria Neelmeier

Rechtsanwältin
Kanzlei 34
www.kanzlei34.de

Erschienen in: Der Allgemeinarzt, 2019; 41 (19) Seite 70-72