Haben die niedergelassenen Ärzte das Tal der Tränen hinter sich gelassen? Die Ergebnisse des letzten Ärztemonitors scheinen die positive Stimmung angesichts der traumhaft hohen Zufriedenheitswerte zu bestätigen. Sowohl mit den Arbeitsbedingungen wie auch dem Einkommen scheinen die Mediziner extrem zufrieden. Und dieser Trend hat sich allen Unkenrufen der Standesvertreter zum Trotz sogar im Zeitablauf noch verstärkt. Doch das Ganze hat auch seine Schattenseite.

Zum vierten Mal seit 2012 hat die Kassenärztliche Bundesvereinigung (KBV) zusammen mit dem NAV-Virchow-Bund im Jahr 2018 rund 11.000 niedergelassene Ärzte und Psychotherapeuten zu ihrem Beruf befragt. Überraschend: Obwohl sie die Rahmenbedingung als schwierig kritisieren, sind 90 % der Ärzte und 97 % der Psychotherapeuten mit ihrem Beruf als solchem zufrieden, 99 % der Befragten beider Gruppen finden zudem ihre Arbeit nützlich und sinnvoll.

Bei genauerem Hinsehen wird allerdings klar, dass der Stress mit einer gefühlten Burnout-Quote von 33 % zunimmt. Obwohl – oder vielleicht gerade weil – die Zeit "am Patienten" abnimmt, wie 41 % der befragten Ärzte beklagen. Mit einer verschärften bürokratischen Fernsteuerung durch den Gesetzgeber, wie im TSVG vorgesehen, wird sich das Problem aber sicher nicht lösen lassen, so die Botschaft des Ärztemonitors 2018.

Immer mehr angestellte Ärzte

Das persönliche Engagement der Ärzte ist hoch. Die Arbeitszeit bei Ärzten, die in eigener Praxis niedergelassen sind, beträgt noch immer über 53 Wochenstunden (im Jahr 2012 waren es noch 57 Stunden gewesen). Diese hohe Zahl täuscht allerdings etwas über den Wandel hinweg, der sich hinter den Kulissen abzeichnet: Immer mehr Ärzte starten als Angestellte ins aktive Berufsleben – und die arbeiten im Durchschnitt 10 Stunden weniger pro Woche. Bei den Hausärzten hat sich die Angestelltenquote von 2012 bis 2018 von 6 auf 15 %, bei den Spezialisten von 11 auf 26 % erhöht. Insgesamt entspricht dies einem Zuwachs von 5.500 auf inzwischen 32.000 angestellte Ärzte innerhalb der KV. Auch der erhöhte Frauenanteil – in der nachwachsenden Altersgruppe ab 44 Jahren beträgt er bereits 53 % – spielt als Teil der gesellschaftlichen Entwicklung eine wichtige Rolle, weshalb die durchschnittlich verfügbare Arbeitszeit weiter sinkt.

Der Vorstandsvorsitzende der KBV Dr. Andreas Gassen warnte bei der Vorstellung der Daten-sammlung in Berlin vor der Versuchung, die Personalengpässe mittels externer Steuerung in den Griff bekommen zu wollen: "Jeder, der die Ärzte zu immer noch mehr Arbeit zwingen will, muss wissen, die Ressourcen sind begrenzt! Politischer Zwang und Eingriffe in Praxisabläufe verbessern die Versorgung nicht, sondern schrecken den medizinischen Nachwuchs ab", kritisierte der KBV-Chef eine durch das TSVG "künstlich gesteigerte Nachfrage" nach ärztlichen Leistungen. Die Stichworte dazu lauten: offene Sprechstunden und Terminservicestellen. Statt dafür zu sorgen, die Nachfrage zu reduzieren oder zumindest sinnvoll zu kanalisieren, werde dadurch erst "das Scheunentor richtig weit geöffnet". Bei noch mehr Patienten werde noch weniger Zeit für den Einzelnen bleiben, geschweige denn für die wirklich Kranken, so Gassen.

Ärztliche Freiberuflichkeit als zentrales Element

Auf die Arbeitszeit-Problematik verwies auch Dr. Dirk Heinrich, Bundesvorsitzender des NAV-Virchow-Bundes. "In Einzelpraxen arbeiten 90 % der Ärzte in Vollzeit, in MVZ sind es nur 50 %", berichtete er. Das zeige, dass mit MVZ und angestellten Ärzten allein die Versorgung nicht aufrechterhalten werden könne. Deshalb müsse die selbstständig geführte Praxis – einzeln oder als Kooperation – gefördert werden, um bei gleichbleibender Arztzahl die Versorgung sicherzustellen.

Heinrich erinnerte in diesem Zusammenhang daran, dass "die ärztliche Freiberuflichkeit und Selbstständigkeit das zentrale Element der Leistungsfähigkeit des ambulanten Bereiches sind". Dass der Arzt nur dem Patienten verpflichtet und nicht von Weisungen Dritter abhängig ist, sei eine der Säulen unseres Gesundheitssystems. Es müsste deshalb alles unternommen werden, um die Niederlassung in Selbstständigkeit zu fördern. Als ersten Schritt fordert der NAV-Chef "die Beendigung der unseligen Budgetierung".

Gewalt gegen Ärzte

Die Meinungsforscher fragten die Ärzte und Psychotherapeuten auch nach ihren persönlichen Erfahrungen mit körperlicher oder verbaler Gewalt im Praxisalltag. Jeder vierte Arzt gab an, schon einmal körperlich angegriffen oder physisch bedroht worden zu sein. Fast 40 % der Ärzte berichten zudem über verbale Gewalt in den letzten 12 Monaten. Dieser Trend ist bei Psychotherapeuten mit 21 % weniger stark ausgeprägt, geht es doch häufig um Auseinandersetzungen am Praxistresen. Der Grund hier sind oft Terminwünsche oder Streit um das Ausstellen von AU-Bescheinigungen, vermutete Gassen. "Das Anspruchsdenken vieler Menschen nimmt bedenkliche Ausmaße an", beklagte Heinrich. Ärzte würden immer häufiger als Servicepersonal verstanden. Heinrich hofft hier auf Schutz durch den Gesetzgeber. Er fordert, den Straftatbestand "Widerstand gegen oder tätlicher Angriff auf Personen, die Vollstreckungsbeamten gleichstehen (§ 115 StGB)", zu erweitern und Ärzte künftig mit Rettungskräften, Feuerwehrleuten und Helfern des Katastrophenschutzes gleichzustellen. Der NAV-Vorsitzende schob die Verantwortung für die Gewaltexzesse gegen Ärzte auch der Stimmungsmache durch die Partner im Gesundheitswesen zu. Er fordert die Krankenkassen dazu auf, "verbal abzurüsten und mit dem Ärztebashing aufzuhören".



Autor:
Hans Glatzl

Erschienen in: Der Allgemeinarzt, 2019; 41 (1) Seite 26-28