Männern mit sexuellen Funktionsstörungen ist nur in schätzungsweise 10 % allein mit der Verordnung eines PDE-5-Hemmers geholfen. Gerade bei diesen Problemen nimmt das einfühlsame und fachgerecht geführte Gespräch von der Anamnese bis zur Therapie einen wichtigen Stellenwert ein. Grundversorger können dabei eine Schlüsselrolle spielen.

Sexuelle Störungen bei Männern sind auf der ganzen Welt häufig und beeinträchtigen oft die Lebensqualität der Betroffenen wie auch deren Partnerinnen erheblich [1]. Sie lassen sich im Wesentlichen in drei Bereiche einteilen: Störungen des sexuellen Interesses und Verlangens (Libidostörungen), Erektionsstörungen und Orgasmusstörungen (Ejakulationsstörungen).

In der Global Study of Sexual Attitudes and Behaviours (GSSAB) [1, 2] mit weltweit 13 618 Männern wird - je nach Region, in Übereinstimmung mit anderen repräsentativen Studien [3, 4, 5] - die Ejaculatio praecox (20,7 - 30,5 %) als häufigstes Problem beschrieben, gefolgt von der erektilen Dysfunktion (12,9 - 28,1 %), der mangelnden sexuellen Appetenz (12,5 - 28,0 %) und der Unfähigkeit, einen Orgasmus zu erreichen (9,1 - 21,1 %) (Tabelle 1).

Das Arzt-Patienten-Gespräch

In der Praxis ist das Arzt-Patienten-Gespräch der schwierigste Aspekt, der auch am meisten mit Fehlern behaftet ist [7, 8]. In einer Befragung von 90 Ärzten und 700 Männern, die wegen ED behandelt wurden, berichtete rund ein Drittel über Hemmungen, mit dem Arzt über Sexualität zu sprechen. Zwei Drittel erwarteten, dass der Arzt die Initiative zum Gespräch über sexuelle Schwierigkeiten übernimmt. Bemerkenswert ist auch, dass 90 % der Ärzte und Patienten der Meinung sind, dass eine ED in erster Linie medikamentös behandelt werden sollte.

Ätiologie und Risikofaktoren

Psychogene und organische Komponenten spielen in der Ätiologie eine Rolle, wobei je nach Störung und Einzelfall psychische oder organische Faktoren im Vordergrund stehen.
Die sexuellen Funktionen und Dysfunktionen sind kompliziert und in vielen Aspekten noch nicht verstanden. Die ED ist deutlich mit dem Alter assoziiert, was auf eine wichtige biologische Komponente hinweist. Ebenfalls mit dem Alter nimmt die Ejaculatio praecox (EP) leicht zu, während die Angst vor der Sexualität mit dem Alter abnimmt und die Freude und Befriedigung an der Sexualität in allen Alterskategorien etwa gleich zu bleiben scheint [9] (Tabelle 2).

In vielen epidemiologischen Studien [1, 8, 10] wird eine deutliche Korrelation der ED mit biologischen Risikofaktoren nachgewiesen: Nikotinabusus, Hypertonie, koronare Herzkrankheit, Hypercholesterinämie, Schlaganfall, Pros­tatahyperplasie, Adipositas, Endokrinopathien, Tumoren und neurologische Krankheiten. Die psychische Gesundheit und Stress haben ebenso einen signifikanten Einfluss auf sexuelle Funktionen. Die GSSAB findet eine Korrelation von sexuellen Funktionsstörungen mit Depressionen, Angststörungen, Stress (z. B. wegen finanzieller Probleme), psychosozialen Faktoren wie niedrigem Bildungsstand, sozioökonomischen Faktoren und häufig mit Partnerschaftsproblemen [11, 12]. Partner, die einander zeigen, dass sie sich gegenseitig für die alltäglichen Angelegenheiten des anderen interessieren und über ihre sexuellen Bedürfnisse sprechen, zeigen ein relativ kleines Risiko für Sexualstörungen.

Diagnostik

Bei allen sexuellen Funktionsstörungen kann die Diagnose häufig durch eine ausführliche und gezielte Sexualanamnese gestellt werden [13, 14]. Es handelt sich dabei um den schwierigsten Teil der Diagnostik, da eine sexuelle Dysfunktion für viele Betroffene ein Tabu bedeutet. Ausdruck davon ist, dass ein Teil der Patienten vom Arzt einfach „eine Potenzpille“ verlangt, aber nicht bereit ist, für eine angemessene Diagnostik ausführlich Auskunft zu geben. Der Arzt benötigt viel Einfühlungsvermögen und Wissen über sexuelle Funktionen und ihre Störungen, um eine adäquate Anamnese aufnehmen und eine Beratung durchführen zu können.

Die Sexualanamnese sollte nicht nur als eine Befragung, sondern eher als ein informatives Gespräch gestaltet werden, in dem Fragen und Ausdrücke wie Libido, Erektion, Orgasmus, Ejakulation, ED, EP, verminderte sexuelle Appetenz geklärt werden. Zur Sexualanamnese gehören Fragen nach sexuellen Erfahrungen, sexueller Entwicklung, Ablauf der sexuellen Reaktion, sexueller Zufriedenheit, Masturbation, bereits angewendeten Vermeidungsstrategien, dem Stellenwert der Sexualität und des Leidensdrucks.

Die Partnerin sollte möglichst schon bei der Anamnese mit einbezogen werden, weil sich die Problematik besser erfassen lässt und sich dadurch manchmal auch eine andere Diagnose und Therapie ergibt. Weitere wichtige Teile der Anamnese: Alter, Sozialstatus, Begleit­erkrankungen, Medikamente, Drogen, Alkohol, Paardynamik und Qualität der Partnerschaft, Psychostatus und Therapiewunsch.

Ein besonderer Hinweis auf die morgendliche Erektion: Diese ist die letzte Erektion, die bei somatischen Ursachen verschwindet [14]; umgekehrt schließt ihr Vorhandensein eine organische Ursache nicht aus.

Prävention

Bei der ED und seltener bei der EP bestehen die bereits erwähnten Risikofaktoren [4, 5]. Deshalb ist es nur logisch, dass ein optimales Management dieser Krankheiten gegen die Entwicklung insbesondere der ED präventiv wirken kann.

Obwohl dazu nur wenige Daten existieren, kann ebenso logisch gefolgert werden, dass Lifestyle-Modifikationen wie Vermeiden von Rauchen und Drogenkonsum, Halten des idealen Gewichts, regelmäßige Bewegung und vernünftiger Alkoholkonsum präventiv wirken oder sogar eine ED zu verbessern vermögen [3, 4, 10].

Behandlung

Liegen der sexuellen Störung eine behandelbare medizinische Ursache oder Risikofaktoren zugrunde, wie Depression, Angst- oder Suchterkrankung, Medikamentennebenwirkungen, Herz-Kreislauf-Erkrankungen, Hypertonie, Diabetes mellitus und so weiter, sollten diese zuerst therapiert werden. Bei einer psychosozialen Ursache ist eine Psychotherapie oder psychologische Beratung indiziert. Die ärztliche Beratung eines feinfühligen und fachkundigen Hausarztes kann in dieser Situation bereits gute Dienste leisten. Da auch bei organischen Ursachen psychoreaktive Komponenten häufig eine wichtige Rolle spielen, ist auch dann eine Beratung bezüglich der psychischen Probleme unerlässlich.

Medikamentöse Therapie

Zur Behandlung der ED sind die Phosphodiesterase-5-Inhibitoren (PDE-5-Hemmer) unter Berücksichtigung von Kontraindikationen und Anwendungseinschränkungen etablierte, gut verträgliche Medikamente (Tabelle 3). Eine Behandlung mit PDE-5-Hemmern kann vom Hausarzt nach gründlicher Anamnese „ex iuvantibus“ versucht werden [14]. Bei den anderen sexuellen Funktionsstörungen gibt es zwar interessante Ansätze und Studienergebnisse für verschiedene Medikamente, aber in Deutschland bis dahin keine Zulassung für diese Indikationen.

Psychoedukation, Beratung, Psychotherapie

...beruhen auf gesichertem Wissen um Funktion und Dysfunktion sexueller Reaktionen. Es hilft häufig schon, den Patienten von heute geläufigen Mythen (wie: ein impotenter Mann kann seine Frau nicht glücklich machen oder ist nicht in der Lage, eine erfüllte Partnerschaft zu führen) zu befreien, die sich leider epidemisch ausgebreitet haben. Der Einbezug der Partnerin ist häufig hilfreich.

Psychotherapeutisch stehen die integrierte Psychotherapie, die kognitive Verhaltenstherapie und Paartherapie zur Verfügung.

Fallbeispiele

An zwei Fallbeispielen will ich mögliche psychologische Faktoren und Beratungsmöglichkeiten darstellen:

Fallbeispiel 1

Ein 47-jähriger Lehrer leidet seit 30 Jahren unter Erektionsstörungen und Ejaculatio praecox. Erst nach erheblichem Druck durch die zehn Jahre jüngere Partnerin suchte er den Psychiater auf. Sie dominierte ihn im Alltag, war wegen seiner sexuellen Störungen unzufrieden und hätte gerne ein Kind mit ihm gehabt. Er war überzeugt, dass die Ursache alleine in seiner Psyche lag, weil die sexuellen Störungen in den bisherigen vier Partnerschaften regelmäßig nach drei Monaten auftraten, bei der Masturbation keine Störung vorhanden war, beim Oralverkehr die Erektion in 50 % und beim Vaginalverkehr in 90 % der Versuche versagte und er bei vollendetem Vaginalverkehr zum Leidwesen der Partnerin dann meist noch zu schnell war. In den letzten zwei Jahren vermied er den Vaginalverkehr, denn bei jedem Misserfolgserlebnis fühlte er sich traurig und nervös. Sexualität bedeutete für ihn ausschließlich Vaginalverkehr.

Nach nur 15 Sitzungen (davon wenige Paargespräche) konnte die Therapie mit einem zufriedenen Patienten mit funktionierendem Geschlechtsverkehr abgeschlossen werden. Er lernte. sich nicht mehr so stark dominieren zu lassen, seine Bedürfnisse anzumelden und mit der Partnerin Meinungsverschiedenheiten auszutragen, wozu die strittigen Verhütungs- und Kinderfragen gehörten. Das Wegbringen der Zuspitzung auf den Vaginalverkehr gelang durch das sogenannte Sensualitätstraining (Einbezug der Partnerin und Hausaufgaben mit spielerischen Streichel­übungen, um sich gegenseitig besser in Bezug auf Erotik und Sexualität kennenzulernen).


Fallbeispiel 2

Ein 23-jähriger Physikstudent, der noch nie Sexualität, ein Liebesabenteuer oder eine Partnerschaft erlebt hatte, da er in Panik geriet, wenn Sexualität „drohte“. Erster und einziger Versuch mit 18 Jahren, bei dem die Erektion völlig versagte und er glaubte, sich stark blamiert zu haben. Er versuchte One-Night-Stands mit unbekannten Frauen, da er annahm, so weniger unter Stress zu stehen. Aber bevor es zur Sache ging, machte er sich aus dem Staub.

Was half: Vermitteln (intellektuell und emotional), dass sein Problem kein schwerwiegendes und auch kein seltenes Phänomen ist, da die Erektion beim Mann eben störanfällig ist; dass Frauen nicht erwarten, schon nach wenigen Tagen von einem potenten Mann völlig spontan in Ekstase gebracht zu werden; dass der Mann nicht außergewöhnlich witzig und unterhaltend sein muss, um eine Frau erobern zu können (dann wäre die Menschheit längst ausgestorben); dass Erektionsstörungen seltener sind, wenn ein Paar sich beim Kennenlernen Zeit lässt, zuerst Vertrauen aufbaut und dann sich leichter getraut, über sich, die Verhütung und sexuell übertragbare Krankheiten zu sprechen. Nach 15 Sitzungen lernte er eine Studentin kennen, in die er sich verliebte und mit der die Sexualität von Anfang an gut funktionierte. Unser Student brauchte beim ersten Mal einen PDE-5-Hemmer, um seine Selbstsicherheit aufzubauen, und ärgerte sich danach darüber, da er es als Scheinsicherheit empfand und beim zweiten Mal nicht sicherer war, da er nicht wusste, ob es nur dank der Pille funktionierte, aber es funktionierte.


Diese Falldarstellungen sollen dem Leser näherbringen, dass sexuelle Dysfunktionen manchmal in kurzer Zeit gebessert oder geheilt werden können.

Diskussion

Die Einführung von Viagra® vor elf Jahren (FDA-Zulassung am 27.3.1998) ist die Folge von entscheidenden Fortschritten im Verständnis der Pathophysiologie der erektilen Dysfunktion und deren Behandlung. Seither wird die Literatur über sexuelle Funktionsstörungen von Fachleuten und Laien meist von PDE-5-Hemmern und der Erforschung anderer Medikamente dominiert, die Männer und Frauen zu Glück und Ekstase verhelfen sollen. Eine Metaanalyse der Behandlung mit Sildenafil zeigte eine sig­nifikante Erhöhung der Anzahl von Männern mit mindestens einer (!) Episode eines vollzogenen Geschlechtsverkehrs um 80 % verglichen mit 45 % bei Plazebo [17], und eine andere Studie mit 100 mg Sildenafil berichtete eine Zunahme von 51 % verglichen mit 30 % für Plazebo [18]. Der hohe Prozentsatz der Plazebowirkung weist darauf hin, dass Sexualität ein komplexes Geschehen ist, bei dem die Psyche, das Nervensystem und die Hormone einen wesentlichen Anteil haben.

Bei der Therapie aller sexuellen Funktionsstörungen muss beachtet werden, dass manche Paare einen funktionierenden Vaginalverkehr nicht als Voraussetzung für eine befriedigende Sexualität und schon gar nicht für eine glückliche Partnerschaft erleben. Wie oft suchte mich schon ein verzweifelter älterer Mann wegen Potenzstörungen auf, weil er darunter litt, seine Partnerin nicht mehr sexuell befriedigen zu können. Im gemeinsamen Gespräch gestand dann die Ehefrau, dass sie eigentlich ganz gut ohne Geschlechtsverkehr lebe und ihr in den letzten Jahren der Geschlechtsverkehr gar keine Freude mehr gemacht habe. Diese Betrachtungsweise fließt automatisch bei jeder Beratung eines Patienten mit sexuellen Funktionsstörungen ein.


Genehmigter und bearbeiteter Nachdruck aus Ars medici 8/2009


Literatur
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2. Carson CC, Glasser DB, Laumann EO, West SL, Rosen RC: Prevalence and correlates of premature ejaculation among men aged 40 years and older: A United States nationwide population-based study. J Urol 2003; 169 (Suppl 4): 321–332.
3. Laumann E, Paik A, Rosen: Sexual Dysfunction in the United States: Prevalence and Predictors. JAMA. 1999; 281 (6): 537–544.
4. Bacon CG, Mittleman MA, Kawachi I, Giovannucci E, Glasser DB and Rimm EB: Sexual function in men older than 50 years of age: results from the health professionals’ follow-up study. Ann Intern Med 2003; 139: 161–168.
5. Johannes CB, Araujo AB, Feldman HA, Derby CA, Kleinman KP and McKinlay JB: Incidence of erectile dysfunction in men 40 to 69 years old: longitudinal results from the Massachusetts male aging study. J Urol 2000; 163: 460–463.
6. Casella R, Deckart A, Bachmann A, Sulser T, Gasser TC, Lehmann A: Patient’s self-evaluation better predicts the degree of erectile dysfuntion than intracavernous alprostadil testing. Urol inter 2004; 72: 216–220.
7. Grover SA et al.: The prevalence of erectile dysfunction in the primary care setting. Arch Intern Med 2006; 166: 213–219.
8. Buddeberg C, Jecker E, Klaghofer R, Dietz C, Götzmann L: Sexualmedizin in der ärztlichen Grundversorgung, Entwicklungen 1980–2004. Schw Rundsch Med (Praxis) 2007; 96: 721–725.
9. Laumann EO, Gagnon JH, Michael RT, Michaels S: The Social Organization of Sexuality: Sexual Practices in the United States. Chicago, Ill: University of Chicago Press; 1994.
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12. Kaplan HS: The new Sex Therapy: Active Treatment of Sexual Dysfunctions. Brunner/Mazel; New York 1974.
13. Mathers MJ, Schmitges J, Klotz T, Sommer F: Einführung in die Diagnostik und Therapie der Ejaculatio praecox. Deutsches Ärzteblatt 2007; 50: 3475–3480.
14. Hauri Dieter: Erektile Dysfunktion. Swiss Med Forum 2002; 2: 810–818.
15. Ljuggren C, Hedelin H, Salomonsson K, Stroberg P: Giving patients with erectile dysfunction the opportunity to try all three available phosphodiesterase type 5 inhibitors. J Sex Med 2008; 5: 469–475.
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18. Padma NH, Stecher VJ, Sweeney M, Orazem J, Tseng LJ, Deriesthal H: Minimal to successful intercourse after sildenafil citrate: results of a randomized double-blind placebo-controlled trial. Urology 2003; 62: 400–403.

Interessenkonflikte:
keine deklariert

Dr. med. Kurt April


Kontakt:
Dr. med. Kurt April
FMH Psychiatrie und Psychotherapie
CH-8810 Horgen

Erschienen in: Der Allgemeinarzt, 2010; 32 (16) Seite 12-16