Bei bis zu 50 % der herzgesunden Kinder und Jugendlichen treten während des Wachstums Herzgeräusche auf, denen keine kardiale Pathologie zugrunde liegt. Gleichzeitig sind Herzgeräusche die häufigste Indikation für eine Untersuchung beim Kinderkardiologen. Die vorliegende Arbeit enthält Richtlinien, die dem Arzt ermöglichen, eine Zuweisung zum pädiatrischen Kardiologen abzuwägen, und ihn in seiner Position bestärken, wenn gegenüber den Eltern und betreuten Kindern ein abwartendes Verhalten eingenommen werden kann.

Herzgeräusche entstehen durch turbulenten Fluss in den Blutgefäßen mit Frequenzen von 20 bis 2 000 Hz [1]. Eine genaue Charakterisierung der Geräusche ist beim Säugling, welcher häufig eine höhere Herzfrequenz hat, eine große Herausforderung. Für den Grundversorger und Spezialisten ist trotz Echokardiographie eine sorgfältige Untersuchung die Basis für eine gute Patientenselektion.

Welches Herzgeräusch soll abgeklärt werden?

Der grundversorgende Arzt kann nachweislich sehr gut zwischen pathologischen und nicht pathologischen Herzgeräuschen unterscheiden. Die Zuweisungspraxis ist oft durch andere Aspekte als eigentliche klinische Charakteristika gelenkt [2]. Wichtiger als die genaue Beschreibung des Geräuschcharakters in Worten erscheint uns in der Zuweisungspraxis ein spezielles Augenmerk auf das Alter des Kindes. Neben der Beschreibung der Lokalisation eines Herzgeräusches ist auch der Fokus auf die Herztöne, insbesondere auf den zweiten Herzton, wichtig.

Palpation und Auskultation

Die Palpation soll dabei Schwirren erfassen, welches organische Geräusche charakterisiert und durch seine Lokalisation differenzialdiagnostische Hinweise ergibt. Ein Herzgeräusch, das mit einem Schwirren einhergeht, sollte immer durch den Kinderkardiologen abgeklärt werden. Der erste Herzton kommt gleichzeitig mit dem Schließen der AV-Klappen zustande. Er ist üblicherweise singulär. Der zweite Herzton entsteht durch Schluss der Semilunarklappen, wobei die Aortenklappe kurz vor der Pulmonalklappe schließt. Normalerweise ist der zweite Herzton während der Inspiration maximal gespalten, wenn das rechte Herz ein höheres Herzzeitvolumen zu bewältigen hat. Während der Exspiration ist der zweite Herzton nicht oder weniger gut hörbar gespalten. Man spricht von einem physiologisch atemvariabel gespaltenen zweiten Herzton. Liegt ein Vorhofseptumdefekt vor, wird die atemabhängige Variabilität der Spaltung des zweiten Herztons durch den Links-Rechts-Shunt ausgeglichen, und der zweite Herzton ist fix gespalten. Ein wichtiger weiterer Parameter ist die Intensität des zweiten Herztons. Ein lauter, paukender zweiter Herzton ist dabei typisch für eine pulmonale Hypertonie.

Herzgeräusche sollten folgendermaßen charakterisiert werden:

  • Energie (Lautstärke) der Schallwelle (vgl. Tabelle)
  • Frequenz (tief, mittel, hoch)
  • Relation zu Herztönen (systolisch, diastolisch) und Dauer in Relation zu den Herztönen (z. B. holosystolisch, crescendo/decrescendo)
  • Präsenz von harmonischen Obertönen (musikalische Geräusche)
  • Lokalisation mit Punctum maximum, welches in der Regel zu einer Verdachtsdiagnose führt
  • Andere Adjektive wie „hauchend und gießend“ sind kaum hilfreich und lenken mehr von der Systematik ab.

Ein isoliertes Diastolikum ist pathologisch und muss abgeklärt werden.

Das akzidentelle Herzgeräusch

Falls bei einem Herzgeräusch auf eine kinderkardiologische Abklärung verzichtet wird, müssen alle Charakteristika erfüllt sein, die darauf hindeuten, dass es sich tatsächlich um ein akzidentelles Herzgeräusch handelt. Das Geräusch muss der einzige „auffällige“ Befund sein. Es soll weder eine syndromale Erkrankung vorliegen (wie z. B. Trisomie 21) noch eine ­Gedeihstörung oder gar eine sonst nicht erklärbare Symptomatik, wie Trinkschwäche und/oder Belas­tungsintoleranz. Das häufigste, „Stillsche“, Herzgeräusch tritt typischerweise im Alter zwischen zwei und sechs Jahren auf. Es ist mittelfrequent und lageabhängig, am lautesten ist es im Liegen. Die musikalische Komponente, das Schwingen, ist das Typische an diesem Geräusch. Seine genaue Genese ist unklar. Es darf weder palpables Schwirren noch eine abnorme Lokalisation oder eine Ausstrahlung vorhanden sein. Diese Geräusche müssen nur bei Unsicherheit oder Zusatzbefunden abgeklärt werden.

Das zweite, seltenere, juvenile Pulmonalsystolikum hat einen Häufigkeitsgipfel zwischen dem 10. und 14. Lebensjahr beziehungsweise bei Adoleszenten. Es ist ein weniger musikalisches systolisches Geräusch der Stärke 1/6 bis 3/6, das über dem zweiten Inter­kos­talraum links parasternal auskultiert werden kann.

Weniger häufig werden venöse Flussgeräusche diagnostiziert. Sie treten bei Kindern meist zwischen dem 3. und 6. Lebensjahr auf. Venöse Flussgeräusche („venous hum“ oder „Nonnensausen“) sind im zweiten Interkostalraum rechts oder links als kontinuierliche, das heißt systolo-diastolische Flussgeräusche vor allem im Sitzen und bei Inspiration mit Drehen des Kopfes zur Gegenseite gut hörbar. Diese Geräusche sind zwischen 1/6 und 3/6 laut.

Neugeborene

Neugeborene mit einem persistierenden Herzgeräusch im Alter von 48 Lebensstunden sollten auch ohne Symptome in den folgenden Tagen möglichst bald einem Kinderkardiologen vorgestellt werden. Zusätzliche Symptome wie Zyanose, fehlende Femoralispulse oder andere Auffälligkeiten wie auch ein „ungutes Gefühl“ des Arztes bedingen eine frühere unverzügliche Kontaktnahme mit einem Kinderkardiologen. Insbesondere abgeschwächte Pulse der unteren Extremität oder Zyanose sind beim Neugeborenen eine Notfall­situation. Hilfreich bei der Diagnostik kongenitaler Herzerkrankungen ist in dieser Situation auch das ­Puls­oxymetriescreening [3]. Herzinsuffizienzzeichen (Schwitzen, Tachypnoe, Gedeihstörung) treten typischerweise im Alter von 2 bis 6 Wochen bei Shuntvitien auf. Ödeme sind keine typischen Herzinsuffizienzzeichen beim Säugling.

Wegen der relativ hohen Inzidenz entdeckter angeborener Vitien im Neugeborenenalter ist eine generelle Zuweisung des Neugeborenen mit einem Systolikum nach der Adap- tationsphase zu einem Spezialisten auch bei fehlender Symptomatik zu rechtfertigen. Die periphere Pulmonalstenose und seltener der persistierende Ductus arteriosus Botalli sind dabei die häufigsten Diagnosen, die theoretisch ein abwartendes Verhalten rechtfertigen würden. Die periphere Pulmonalstenose entsteht durch die Kreislaufumstellung der bis zur Geburt nur wenig perfundierten Lunge und ist durch normale Herztöne und ein mittelfrequentes, in den Rücken und die Axillen ausstrahlendes Geräusch über dem zweiten Interkostalraum charakterisiert. Das systolo-diastolische Maschinengeräusch des offenen Ductus arteriosus ist relativ leicht zu erkennen. Ein kleiner Vorhofseptumdefekt ist in den ersten Lebensmonaten klinisch nicht von einem offenen Foramen ovale zu unterscheiden und hat in diesem Alter keine therapeutische Konsequenz, da bei kleinem Defekt die rechtsseitigen Herzhöhlen kaum belastet werden.

Im ersten Lebensjahr

Im ersten Lebenshalbjahr werden durch die gute Verfügbarkeit der Echokardiographie in Mitteleuropa in der Regel praktisch alle strukturellen angeborenen Herzfehler erfasst, da die Kinder durch Gedeihstörung, Zyanose oder Herzinsuffizienzzeichen symptomatisch werden oder der Auskultationsbefund sehr auffällig ist. Falls ein für den Grundversorger auffälliges Systolikum besteht, ist dies der Moment, die Kinder zuzuweisen, da die Untersuchung, insbesondere die Echokardiographie, bis zu einem Alter von ca. sechs Monaten in der Regel problemlos, mit einem relativ geringen zeitlichen Aufwand, vollständig durchführbar ist.

Im zweiten und dritten Lebensjahr

Im zweiten Lebenshalbjahr, insbesondere nach dem Alter von neun Monaten bis Ende des 3. Lebensjahres, kann durch den erfahrenen Kinderkardiologen aus der Kombination von klinischer Untersuchung und Echokardiographie auch bei wenig kooperativen Kindern zwar ein hämodynamisch relevantes Vitium ausgeschlossen werden, aber diese Untersuchungen sind sehr zeit- und damit kostenintensiv, da ruhige Untersuchungsbedingungen fehlen. Für den Zuweiser ist wichtig zu wissen, dass eine vollständige Untersuchung dann häufig nur in Sedation möglich ist.

Im 2. und 3. Lebensjahr werden in Mitteleuropa nur selten strukturelle Herzfehler dia- gnostiziert. Im Vordergrund stehen in diesem Alter vor allem die Aorten­isthmusstenose und Vorhofseptumdefekte, wobei die Aortenisthmusstenose in der Regel bereits in den ­ersten sechs Lebensmonaten diagnostiziert wird. Nicht obligat sind leichte Ta- chypnoe und Tachykardie. Neugeborene mit einer Aortenisthmusstenose fallen ­häufig nach Verschluss des Ductus arteriosus mit ­beginnenden Dekompensationszeichen und abgeschwächten oder fehlenden Femoralispulsen auf. Später dominieren je nach Schweregrad der Aorten­isthmusstenose eine arterielle Hypertonie der oberen Extremität, abgeschwächte Femoralispulse und ein Stenosegeräusch links paravertebral. Die Aortenisthmusstenose wird ganz selten erst im Schulalter diagnostiziert.

Ein hämodynamisch signifikanter Vorhofseptumdefekt zeigt ein dem funktionellen Herzgeräusch manchmal ähnliches Strömungsgeräusch im Bereich der Arteria pulmonalis (zweiter Interkostalraum parasternal links). Der zweite Herzton ist bei Vorhandensein eines Vorhofseptumdefektes fix gespalten. Eine Behandlung (operativer Verschluss) ist allerdings nur bei gleichzeitigem Vorliegen einer Gedeihstörung, rezidivierenden pulmonalen Infekten oder in seltenen Fällen bei einem erhöhten pulmonalen Druck (paukender zweiter Herzton!) notwendig. Sonst wird bis ins Vorschulalter zugewartet und wenn möglich ein kathe­terintverventioneller Verschluss angestrebt. Im 2. und 3. Lebensjahr sind Herzgeräusche also selten ein Zuweisungsgrund, sondern Anamnese, Pulse der unteren Extremität sowie die genaue Beurteilung des zweiten Herztons stehen auch für den Subspezialisten im Vordergrund. Werden in dieser Altersgruppe die Kinder symptomatisch, liegt meistens eine schwerwiegende Erkrankung wie eine Kardiomyopathie vor.

Schulkinder

Jenseits des Kleinkindalters werden sich manifes­tierende angeborene Herzerkrankungen, abgesehen vom genannten Vorhofseptumdefekt und der Aorten­isthmusstenose, sehr selten entdeckt. Im Vordergrund stehen erworbene Herzmuskelentzündungen sowie Herzrhythmusstörungen und Kardiomyopathien. Die dilatative Kardiomyopathie kann sich zum Beispiel durch eine Mitralklappeninsuffizienz, einhergehend mit einem Holosystolikum über der Herzspitze, ausstrahlend in die Axilla, bemerkbar machen. Liegt eine restriktive Physiologie vor, sind manchmal ein dritter Herzton (Füllungston) und ein vierter Herzton (Vorhofkontraktion) als Galopprhythmus hörbar.

Die hypertrophe Kardiomyopathie ist eine wichtige Differenzialdiagnose. Dieses Herzgeräusch wird im Stehen lauter als im Liegen. In der aufrechten Position ist der venöse Blutrückfluss zum ­Herzen geringer als im Liegen. Dadurch wird das linksventrikuläre enddiastolische Volumen reduziert. Wenn sich dadurch die linksventrikuläre Größe verkleinert und der linksventrikuläre Ausflusstrakt verengt, nimmt auch die systolische Ausflusstraktverengung bei der hypertrophen Kardiomyopathie zu. Diese Zunahme der Ausfluss­traktverengung verstärkt das Geräusch bei aufrechter Position des Patienten. Insgesamt ist die hypertrophe Kardiomyopathie eine seltene Erkrankung. Sie ist ­allerdings eine der führenden Ursachen für einen plötzlichen Herztod bei sportlich aktiven Athleten [4].

Leitlinien: abwarten oder zuweisen?

Bei jedem Kind mit einem Herzgeräusch sollte zunächst eine detaillierte Anamnese erhoben werden, welche insbesondere Risikofaktoren für das ­Vorliegen einer kardialen Pathologie erfasst. In Kombination mit einer guten klinischen Untersuchung kann häufig durch den typischen Charakter des Geräusches die Diagnose eines akzidentellen Geräusches gestellt werden. Eine weiterführende Diagnostik bei einem pädiatrischen Kardiologen ist erforderlich bei Neugeborenen, wenn das Herzgeräusch nicht sicher als akzidentell eingestuft werden kann oder falls eine Verunsicherung oder Beunruhigung der Eltern besteht. Auf jeden Fall aber sollte eine Zuweisung erfolgen, wenn das Geräusch Grad ≥ 3/6 erreicht, bei Geräuschen, die mit einem palpierbaren Schwirren einhergehen, diastolischen Herzgeräuschen sowie pathologischen Herztönen. Des Weiteren bei anderen kardialen Symptomen, Veränderung der Pulsqualitäten der unteren Extremität, pathologischem EKG oder Thoraxröntgenbild sowie bei Vorliegen extrakardialer Malforma­tionen, die häufig mit einem Herzfehler assoziiert sein können.

Ein Patient, der einen pathologischen Befund in einer klinisch-kardialen Untersuchung aufweist, kardiale Symptome hat oder einen fraglichen unklaren Befund in der kardialen Untersuchung, sollte einem pädiatrischen Kardiologen zugewiesen werden. Ein Kind mit einer Malformation, welche häufig mit kongenitalen Herzfehlern assoziiert ist, sollte ebenfalls für eine pädiatrisch-kardiologische Einschätzung und Untersuchung zugewiesen werden [5]. Im Gegensatz dazu können asymptomatische Patienten, bei denen nach einer gewissenhaft durchgeführten klinisch-kardiologischen Untersuchung eine geringe Wahrscheinlichkeit für das Vorliegen einer kardialen Pathologie angenommen werden kann, durch den Allgemeinarzt oder Pädiater nachkontrolliert und verfolgt werden. Eine Zuweisung ist dann indiziert, wenn mögliche pathologische Befunde bei seriellen Untersuchungen zu erheben sind.


Literatur
1. Pelech AN. The cardiac murmur: when to refer? Pediatr Clin North Am 1998; 45: 107–122.
2. McCrindle BW, Shaffer KM, Kan JS, Zahka KG, Rowe SA, Kidd L. Cardinal clinical signs in the differentiation of heart murmurs in children. Arch Pediatr Adolesc Med 1996; 150 (2): 169–174.
3. Arlettaz R, Bauschatz AS, Mönckhoff M, Essers B, Bauersfeld U: The contribution of pulse oximetry to the early detection of congenital heart disease in newborns. Eur J Pediatr 2006; 165 (2): 94–98.
4. Maron BJ, Epstein SE, Roberts WC. Causes of sudden death in competitive athletes. J Am Coll Cardiol 1986; 7: 204–214.
5. McConnell ME et al.: Heart Murmurs in Pediatric Patients: When Do You Refer? Am Fam Physician 1999; 60: 558–565.

Weitere Literatur
6. Gibson S. The clinical significance of heart murmurs in children. Med Clin North Am 1946; 30: 35–44.
7. Friedman S, Robie WA, Harris TN. Occurrence of innocent adventitious cardiac sounds in childhood. Pediatrics 1949; 4 (6): 782–789.

Interessenkonflikte:
keine deklariert

Bearbeiteter und genehmigter Nachdruck aus Ars medici Pädiatrie 3/2011


Dr. med. Roland Weber


Kontakt:
Dr. med. Roland Weber
Verantwortlicher Oberarzt Kardiologische Poliklinik
Universitätskinderklinik Zürich
CH-8032 Zürich

Erschienen in: Der Allgemeinarzt, 2012; 34 (19) Seite 44-46