Haben Sie beim Essen einer schmackhaften Tomatensauce oder eines Lebkuchens oder beim Trinken eines Bieres schon einmal daran gedacht, dass Sie dabei womöglich auch Stoffe aufnehmen, die im Körper wie Amphetamine oder Morphin wirken? Tatsächlich sind psychotrope Alkaloide und Amine in der Pflanzenwelt weit verbreitet, und zahlreiche Lebensmittel enthalten daher solche natürlichen Drogen, die unsere Stimmung, unseren Appetit und unsere Gelüste auf bestimmte Speisen nicht unerheblich mitsteuern. Einen spannenden und oftmals überraschenden Einblick lieferte der Lebensmittelchemiker Udo Pollmer bei seinem diesjährigen practica-Seminar, das wir hier auszugsweise wiedergeben.

„Bekanntlich gilt alles, was schmeckt und gute Laune macht, sofort als verdächtig, unsere Gesundheit zu schädigen.“ Dies sei eine der Ausgangsthesen vieler moderner Ernährungsberater, meint Udo Pollmer. Sein Ziel ist es, diese These Zug um Zug zu widerlegen. Denn sein Credo lautet: Der Körper weiß in der Regel selbst am besten, was ihm guttut.

Neurotransmitter in der Tomatensauce

Richtig ist, dass gerade besonders beliebte Nahrungsmittel oft Substanzen enthalten, die in unseren Gehirnstoffwechsel eingreifen und z. B. stimmungsaufhellend wirken können. Die Pflanzen haben solche Stoffe allerdings nicht entwickelt, um dem Menschen einen Gefallen zu tun. Vielmehr handelt es sich meist um Substanzen, mit denen Pflanzen, aber auch Pilze sich gegen Fressfeinde wehren wollen. Manche dieser Substanzen ähneln strukturell und auch in ihrer Funktion Neurotransmittern wie z. B. dem Serotonin bei Säugetieren, das heißt sie können sich in die Signalübertragung des Nervensystems einmischen. Dass diese Verteidigungsstoffe dem Menschen nicht schaden, sei, so Pollmer, ein Verdienst unserer Kochkunst, die diese Substanzen durch ausgeklügelte Techniken auf die richtige Menge reduziert oder auch erst in den „richtigen“ Stoff umwandelt. Eine wirklich gute Tomatensauce lasse sich daher auch nicht im Handumdrehen produzieren. Vielmehr müssten die Zutaten erst stundenlang vor sich hin simmern, damit sich aus Aminosäuren und ätherischen Ölen, Zuckern und Neurotransmitteranaloga schließlich Aromen und psychoaktive Substanzen bilden.

Edle Gewürze mit „Nebenwirkungen“

Menschen sind die einzigen Lebewesen, die ihre Speisen nicht nur salzen, sondern auch mit Gewürzen verfeinern. Exotische Gewürze wurden in früheren Jahrhunderten oftmals mit Gold aufgewogen und dennoch in riesigen Mengen konsumiert. Was weckte diese Gier auf etwas, was eigentlich keinen Nährwert hat?

Safran (Crocus sativus) ist auch heute noch ein teures Würzmittel, und das, obwohl er geschmacklich eher unterirdisch ist. Zum Gelbfärben der Speisen hätten es auch billigere Gewürze wie Gelbwurz oder die Blüten der Färberdistel getan. Zudem ist Safran giftig. Schon das längere Einatmen seiner flüchtigen Bestandteile soll zum Tode führen können. Verdächtig sei allerdings, dass etwas empfindlichere Safranpflücker hin und wieder über heitere Delirien und Rauschzustände berichteten.

Arzneikundige früherer Zeiten verglichen den Safran ob seiner schmerzstillenden und krampflösenden Wirkung daher auch gerne mit dem Opium. In der Volksmedizin wurde Safran – ähnlich wie der Hopfen – als Beruhigungsmittel, bei Krämpfen und bei Asthma eingesetzt. Noch heute ist Safran ein wichtiger Bestandteil mancher Magenbitter. Seine krampflösende und antidepressive Wirkung sei vergleichbar mit dem Medikament Imipramin, so Pollmer.

Hopfen und Malz

Die beruhigende Wirkung des Hopfens war schon den Mönchen des Mittelalters bestens bekannt. In England wurde Hopfen damals sogar wie Opium geraucht. Was nicht verwundern sollte, denn der nächste botanische Verwandte des Hopfens ist der Hanf (Cannabis sativa). Zurückzuführen ist die Hopfenwirkung wohl auf das als sedierend beschriebene Alkaloid Hopein, das zu den Morphinen gezählt werden darf. In alkoholischer Lösung lässt Hopfen den Darm erschlaffen, er löst Krämpfe, beruhigt und wirkt hypnotisch. Alkoholfreies Bier enthält übrigens weniger Hopfen, weshalb man deutlich mehr davon trinken muss, um die gleiche Wirkung zu erzielen. Für besonders Interessierte: Augustiner-Bier enthalte am meisten Hopfen, so Pollmer.

Dass Bier so gerne getrunken wird, obwohl es eigentlich „nach Erbrochenem riecht“ (Zitat Pollmer), liegt zudem wohl auch an dem Zusatz von Malz. Denn beim Mälzen entsteht Hordenin (Dimethyltyramin), welches früher als Arzneimittel gegen Kreislaufstörungen verordnet wurde und in seiner Wirkung mit den Aufputschmitteln Ephedrin und Mescalin vergleichbar ist.

Die Weihnachtsplätzchen machen froh …

Muskatnuss benutzt fast jeder in der Küche. Tatsächlich ist allerdings der Genuss schon weniger Nüsse tödlich, so giftig sind die Früchte des Muskatnussbaums (Myristica fragrans). Doch in geringeren Mengen hat Muskat durchaus erfreuliche Wirkungen. Schon Hildegard von Bingen schwärmte, dass aus Muskatnuss, Zimt, Nelken und Weißmehl leckere Törtchen gebacken werden können, die "die Bitterkeit des Herzens dämpfen und den Geist fröhlich machen".

Verantwortlich für die psychotrope Wirkung sind die im ätherischen Öl der Muskatnuss enthaltenen Stoffe Elemicin und Myristicin. Diese können zu intensiven Halluzinationen und Bewusstseinsstörungen führen, wenn sie in der Leber zu Amphetaminen umgewandelt werden. Ein ähnlicher Umbau findet auch bei anderen Allylbenzolen statt, wie z. B. beim Anethol aus Anis oder dem Eugenol aus Nelken, Basilikum oder Lorbeer. Im Tierversuch offenbarten alle diese Substanzen eine sedierende und analgetische Wirkung, die mit der des Morphiums vergleichbar war.

Myristicin und Elemicin finden sich darüber hinaus auch in größeren Mengen in Cola-Getränken sowie in Lebkuchen und anderem Weihnachtsgebäck. In der Leber sorgen sie dann dafür, dass die Monoaminooxidasen (MAO) gehemmt und somit der Abbau des stimmungshebenden Serotonins gebremst wird. So sorgen also ganz natürliche Substanzen dafür, dass Colatrinker und Gebäckliebhaber immer gute Laune haben.

… Würste aber ebenso!

Ganz nebenbei: Auch die viel gerühmte deutsche Wurst enthält oft Muskatnuss. Und dank der vielen Amine im Wursteiweiß und der Reifung der Wurst entstehen daraus gerne einmal Aufputschmittel, die dem bekannten Metamphetamin (Pervitin) ähneln.

Warum essen wir eigentlich Salat?

Ernährungsphysiologisch sind Kopfsalat, Endivie oder Chicorée eher unbedeutend, und bitter schmecken sie noch dazu. Dennoch werden sie eifrig konsumiert. Der Grund dafür sind vermutlich die in diesen Pflanzen vorhandenen Sesquiterpene wie Lactulin und Lactucopikrin. Sie sind doppelt so wirksam wie das Schmerzmittel Ibuprofen, so Pollmer. Zudem habe man im Kopfsalat Substanzen gefunden, die die Enkephalinase blockieren, also jenes Enzym, das die körpereigenen Opiate abbaut. Kein Wunder, dass in der Literatur beschrieben wird, Kopfsalat könne gereizte Bronchien entspannen und Schläfrigkeit auslösen. Dazu sollte man ihn aber ganz frisch genießen, denn das Sonnenlicht zerstört das „Salat-Opium“ recht schnell.

In Lateinamerika werde der Saft der Zichorie daher auch oft als Schlafmittel insbesondere für Kinder verwendet. Durch Überdosierungen käme es dort immer wieder zu Vergiftungen, deren Symptome einer Morphium-Überdosis glichen.

Kommen wir zurück auf die Tomatensauce. Tomaten sind reich an biogenen Aminen wie Tryptamin und Serotonin (am höchsten ist der Gehalt in Ketchup). Besonders wirksam werden diese, wenn das Produkt noch etwas Acetaldehyd aufweist, wie das besonders auf Tomatenmark aus Süditalien zuträfe, so Pollmer, da dieses klimatisch bedingt schon etwas in Gärung übergegangen ist. Langes Köcheln bei milder Wärme schaffe dann optimale Bedingungen für den Umbau von Tryptamin und Serotonin zu stimmungsaufhellenden psychotropen Alkaloiden.

In unseren Gewürzregalen und Vorgärten herrscht also kein Mangel an psychoaktiven Substanzen. Süchtig werden könne man von diesen Genussdrogen nicht, gibt Pollmer Entwarnung, aber in gewisser Weise abhängig davon sei man wohl doch schon etwas.

Referiert von Dr. Ingolf Dürr


Erschienen in: Der Allgemeinarzt, 2015; 37 (SH practica) Seite 44-47