Der Weg zum Wunschkind führt viele Paare heute über spezialisierte Kliniken, wo modernste Techniken der Fertilisation angewendet werden. Was aber unternahmen unsere Vorfahren, wenn sie ihren Kinderwunsch wahr machen wollten – vor allem den nach einem männlichen Nachkommen? Seit der Antike entwickelten Gelehrte und Ärzte Theorien, Verfahren und Rezepte, um das Geschlecht des Kindes schon vor oder während der Zeugung beeinflussen zu können – mit zweifelhaften Ergebnissen, wie ein Blick in die Geschichte zeigt.

Kaiser, Könige und andere Adlige brauchten Söhne, um die eigene Dynastie bzw. das Adelsgeschlecht zu erhalten. Und manch gekröntes Haupt verließ erbost und enttäuscht das Entbindungszimmer seiner Frau, wenn die Hebamme ihm statt des erhofften Sohnes eine Tochter präsentierte. Auch Kaufleute, Handwerker oder Bauern hofften auf einen Stammhalter, damit der Betrieb in der Familie blieb. Deshalb bemühten sich schon in der Antike Gelehrte, den "Mechanismus" der Geschlechterentstehung aufzuklären, um den Eltern schon während der Schwangerschaft die Geburt eines Jungen bzw. eines Mädchens verkünden zu können. Doch man ging noch weiter. Frühzeitig wurden Überlegungen angestellt, ob man nicht das Geschlecht des zu zeugenden Kindes beeinflussen könne. Deshalb suchten Ärzte, Philosophen und Naturforscher nach Möglichkeiten einer direkten Geschlechtsbeeinflussung. Viele der von ihnen entwickelten Theorien galten bis in die frühe Neuzeit als offizielle Lehrmeinungen in der Medizin.

Der Anteil von Mann und Frau bei der Zeugung

Schon die Wissenschaftler der Antike waren sich einig: Aufgabe der Frau war es, "den Brutraum" und die Ernährung für das entstehende Kind bereitzustellen. Beim Befruchtungsvorgang jedoch gingen die Meinungen auseinander. Da war vor allem die Frage, ob die Frau bei der Befruchtung einen dem männlichen Samen (Sperma) analogen Zeugungsstoff beisteuere oder nicht. Im 5. Jahrhundert vor Chr. war man in Griechenland der Meinung, dass die Frau auch einen zeugungsfähigen Samen produziere, der beim Beischlaf in den Uterus einfließt. Wahrscheinlich hielt man Sekrete der Vagina für den weiblichen Samen. Dagegen vertrat der Grieche Hippon von Rhegion (5. Jahrhundert vor Chr.) die Meinung, dass nur der Mann einen zeugungsfähigen Samen produziert. Der Samen der Frau dagegen trage nicht zur Befruchtung bei, da er sich nicht in den Uterus ergießt.

Aus dem Blut entsteht der Samen des Mannes

Interessant auch die Lehre des Philosophen Aristoteles (384 bis 322 vor Chr.): Für ihn ist das Blut als Lebenssaft und Spender der Körperwärme der Ausgangsstoff für den Samen des Mannes. In einem "Kochprozess" vollziehe sich unter dem Einfluss der Körperwärme die Umwandlung der Nahrung über das Blut bis zum Sperma. Als Beweis für seine These argumentierte Aristoteles, dass in der Jugend kein Samen produziert wird, da die Nahrung zum Wachstum benötigt wird. Auch im Alter erfolge wegen mangelnder Körperwärme keine Samenproduktion mehr. Und beleibte Männer würden die Nahrung zum Fettaufbau verbrauchen und damit nur über wenig Sperma verfügen.

Qualität und Quantität sind entscheidend

Seit Menschheitsbeginn wurden den Geschlechtern unterschiedliche Eigenschaften zugeordnet: Der Mann wurde immer mit Stärke und Wärme assoziiert, während die Frau als schwach und kalt galt. Nach und nach wurde diese "Wärme-Theorie" auch auf die Geschlechtsentstehung übertragen. War der Samen warm, wurde ein Junge gezeugt. War der Samen kalt, entstand ein Mädchen. Eine andere Theorie war die "Rechts-Links-Theorie": Dabei ging man bei der Frau von einer Gebärmutter aus, die sich wie ein Geweih in zwei Hörner (Hälften) aufteilt. Auch die hoch entwickelte altägyptische Medizin vertrat die Ansicht von einem zweihörnigen menschlichen Uterus. Setzte sich bei der Befruchtung der Samen im rechten Teil des Uterus fest, entstand ein Junge. War es der linke Teil des Uterus, kam ein Mädchen zur Welt. Da der einflussreiche griechische Arzt Galen (129 bis 199 nach Chr.) ebenfalls ein Vertreter der Rechts-Links-Theorie war, beherrschte sie fast 2.000 Jahre die Medizin. Die sog. "Stärke-Theorie" dürfte wohl die älteste Hypothese zur Geschlechtsdeterminierung sein. Sie besagt, dass quantitative und qualitative Vorzüge des Samens das Geschlecht des Kindes bestimmen. Neben der Samenmenge galten auch Wärme bzw. Kälte, Konsistenz und Beweglichkeit als entscheidend für die Geschlechtsentstehung. So würden Mädchen aus dünnem, schwachem und Jungen aus dichtem, starkem Samen entstehen.

Den linken oder rechten Hoden abbinden

Viele Tipps und Maßnahmen zur Festlegung des Geschlechts beim Zeugungsakt richten sich an den Mann. Auf der Rechts-Links-Theorie aufbauend, soll der Mann Folgendes beachten: Will er einen Sohn, muss er beim Coitus den linken Hoden so fest wie nur möglich abbinden. Wünscht er eine Tochter, schnürt er den rechten Hoden ab. Doch dieser Empfehlung widerspricht später heftig der berühmte französische Chirurg Ambroise Paré (1517–1590). Er hatte die Erfahrung gemacht, dass Männer, deren rechter Hoden amputiert war, sehr wohl Knaben zeugen können. Die hippokratischen Ärzte sahen den Zeitpunkt des Beischlafes als entscheidend für die Geschlechtsentstehung an: Erfolgte der Sex gegen Ende oder nach Beendigung der Regelblutung, würde ein Junge gezeugt. Währenddessen war der Höhepunkt der Menstruation der geeignete Zeitpunkt für ein Mädchen. Doch diese Theorie konnte sich nicht durchsetzen, da im arabischen, jüdischen und später auch im christlichen Kulturkreis die Frau während der Menstruation als unrein galt und vom Mann zu meiden war.

Welche Pflanzen das Geschlecht bestimmen!

Eine große Rolle bei der Bestimmung des kindlichen Geschlechts spielten bestimmte Pflanzen. Dabei unterschied man entsprechend Form und Aussehen männliche und weibliche Pflanzen, wobei das nicht im heutigen botanischen Sinne zu verstehen ist. In vielen Darreichungsformen angewandt, sollten die femininen Pflanzen zur Entstehung eines Mädchens, die maskulinen zu einem Knaben führen. Auch die Signaturenlehre wurde zur Geschlechtsbestimmung herangezogen. Dabei bevorzugte man Pflanzen, die entweder eine bestimmte Ähnlichkeit mit der weiblichen Scham aufweisen, oder Früchte und Wurzeln, die an Hoden erinnern. Eine der ältesten zur Geschlechtsbestimmung eingesetzten Pflanzen ist das Nabelkraut (Umbilicus pendulinus DC.). Die Frau trank einen mit Salz und Kreuzkümmel versetzten Tee aus dem Nabelkraut. Wurde für den Tee die weibliche (breitere) Pflanze verwendet, brachte die Frau eine Tochter zur Welt. Die männliche (kleinere) Pflanze dagegen sollte für einen Sohn sorgen. Berühmt war auch das Bingelkraut (Mercurialis annua), eine bis 50 cm hohe, der Brennnessel ähnliche giftige Pflanze, die als Unkraut auf Schuttplätzen, Äckern und in Gärten wächst. Viele bekannte Autoren der Antike wie Theophrastus von Eresos (371–287 vor Chr.), der griechische Arzt Dioskurides (1. Jahrhundert nach Chr.) und der Naturforscher Plinius (23–79 nach Chr.) empfehlen das Bingelkraut zur Geschlechtsfestlegung. Die Blätter der weiblichen Art sollten, fein gestoßen und getrunken oder nach der Menstruation als Zäpfchen angewendet, die Empfängnis eines Mädchens bewirken, die männliche Art gleichermaßen appliziert zu einem Jungen führen.Bis in die Neuzeit empfahl man zur Geschlechtsbeeinflussung Orchideen wie die Knabenkräuter Orchis morio, O. longicruris und O. papilionacea, deren knollenartige Wurzeln an Hoden erinnern. Verzehrt der Mann die größere Knolle, bewirkt dies die Geburt eines Knaben, die kleinere, von der Frau genossen, jedoch die Geburt eines Mädchens.

Einige Rezepte aus dem Tierreich

Einige Autoren verweisen auch auf Tierteile, um das Geschlecht des Kindes zu beeinflussen. Plinius empfahl Männern, die sich einen Sohn wünschten, Hahnenhoden zu verzehren. Des Weiteren sollten Uterus, Hoden und Lab (der geronnene Mageninhalt) des Hasen zu einer Knabengeburt führen. Diese Tierteile nahm die Frau als Speise oder getrocknet in Wein ein. Um die Wirkung zu verstärken, sollte auch der Mann den Wein trinken. Dagegen bewirke das Trinken von reinem Hasenblut die Empfängnis einer Tochter.



Autor
Ernst-Albert Meyer

Erschienen in: doctors|today, 2021; 1 (4) Seite 64-66