Der Reizmagen bzw. die funktionelle Dyspepsie und der Reizdarm gehören mit über 10 Millionen Betroffenen zu den häufigsten gastrointestinalen Erkrankungen in Deutschland. Bei beiden Erkrankungen sind die Ursachen multifaktoriell und noch nicht gut verstanden. Die Diagnose wird per Ausschlussdiagnostik gestellt. Schlüssel dafür ist eine gute Anamnese. Die Therapie ist symptomorientiert und oft nicht einfach.

Reizmagen/funktionelle Dyspepsie

Definition: Laut der ROME–III-Kriterien muss für die Diagnose Reizmagen/funktionelle Dyspepsie Folgendes vorliegen:

1. Eines oder mehrere der folgenden Symptome:

a. Unangenehmes postprandiales Völlegefühl
b. Frühes Sättigungsgefühl
c. Epigastrischer Schmerz
d. Epigastrisches Brennen

2. Keine Hinweise auf eine organische Erkrankung (auch nicht bei gastroösophagealer Endoskopie), die die Symptome wahrscheinlich erklären kann.

Diese Kriterien müssen für mindestens drei Monate erfüllt sein und mindestens sechs Monate vor der Diagnose aufgetreten sein [1].

Ursachen

Die Ursachen des Reizmagens sind vielfältig. So werden eine Imbalance des autonomen Nervensystems, Sensibilitäts- und Motilitätsstörungen, aber auch eine gestörte Immunreaktion mit dem Krankheitsbild in Verbindung gebracht. Häufige Symptome sind Völlegefühl, Blähungen, frühe Sättigung, Oberbauchschmerzen, Übelkeit, Aufstoßen, Erbrechen und Sodbrennen.

Diagnostik

Andere, gefährliche Krankheiten müssen ausgeschlossen werden. Entsprechende Alarmsymptome wären:
  • Fieber
  • kurze Vorgeschichte
  • Gewichtsverlust
  • Blut im Stuhl
  • Störung der Nachtruhe durch die Beschwerden
  • stetige Zunahme der Beschwerden

Eine Schlüsselrolle in der Diagnostik nimmt die subtile Anamnese ein. Die Symptome sollten detailliert herausgearbeitet werden (Schmerzen, Durchfall, Verstopfung, Blähungen etc.).

  • Welches Symptom führt? Wie lange? Intermittierend/kontinuierlich?
  • Abhängigkeit von Nahrungsaufnahme, Tageszeit, Stress etc. erfragen: nach dem Essen schlechter/besser? stressabhängig?
  • Assoziation zu Lebensumständen bzw. Umfeld?
  • Krebserkrankung im Umfeld? Konflikte (Familie, Arbeitsplatz)?
  • Begleitsymptome an anderen Organsystemen?
  • Muskuloskelettale Beschwerden? Kopfschmerzen? Rückenschmerzen? Angst?

Die Basislabordiagnostik beinhaltet wenige Werte: Blutbild, CRP, Gamma-GT, GOT, GPT, Kreatinin und Lipase.

Eine Abdomensonographie und eine Ösophagogastroduodenoskopie sollten einmalig zum Ausschluss anderer Ursachen durchgeführt werden.

Die erweiterte Differentialdiagnostik ist symptomabhängig. So kann bei Refluxsymptomatik eine 24h-pH-Metrie, eine Impedanzmessung oder eine Manometrie hilfreich sein. Bei Blähungen können H2-Atemteste Kohlenhydratintoleranzen nachweisen bzw. ausschließen. Unnötige Wiederholungsuntersuchungen sollten vermieden werden.

Therapie

Die Therapie des Reizmagens ist multifaktoriell [2]. Die Basis ist ein ausführliches Therapiegespräch. Dieses sollte eine gute Aufklärung über das Krankheitsmodell und die Behandlungsmöglichkeiten beinhalten. Ergänzend können eine Ernährungsberatung und Hinweise auf ergänzende Verfahren wie körperliche Bewegung, Stressabbau, Entspannungsübungen und psychotherapeutische Therapien sein.

Medikamentös werden bei ulkus- bzw. refluxartigen Symptomen Protonenpumpeninhibitoren und Phytotherapeutika wie z. B. Iberogast® und Spasmolytika eingesetzt. Bei postprandialen Beschwerden können Prokinetika hilfreich sein, bei psychosomatischer Komorbidität Antidepressiva.


Reizdarm

Definition: Die in der neuesten S3-Leitlinie der Deutschen Gesellschaft für Verdauungs- und Stoffwechselerkrankungen vorgeschlagene Definition beinhaltet drei Kriterien [3]:

1. Chronische Beschwerden (> 3 Monate), die von Patient und Arzt auf den Darm bezogen werden und in der Regel mit Stuhlgangsveränderungen einhergehen.

2. Der Patient sucht wegen der Beschwerden Hilfe und wird durch sie in seiner Lebensqualität relevant beeinträchtigt.

3. Es liegt keine andere Krankheit als Ursache der Beschwerden vor.

Neu daran ist, dass Stuhlgangsveränderungen nicht mehr obligat vorhanden sein müssen.

Ursachen

Die Ursachen des Reizdarmsyndroms sind vielfältig. Gut gesichert sind eine viszerale Überempfindlichkeit und Motilitätsstörungen. Eine wichtige Rolle spielt auch eine Störung der Darm-ZNS-Interaktion durch Transmitter wie Serotonin. Die Krankheit hat eine genetische Basis. Es spielen aber auch Infekte und immunologische Störungen eine Rolle.

Diagnostik

Wie beim Reizmagen müssen auch beim Reizdarm andere Ursachen ausgeschlossen werden. Hier helfen Alarmsymptome wie:
  • kurzer Verlauf
  • Gewichtsverlust
  • Beschwerden nachts
  • Alterprogrediente Beschwerden
  • Familienanamnese positiv für Karzinom oder chronisch entzündliche Darmerkrankung
  • Fieber
  • Blut im Stuhl
  • Anämie
  • Leukozytose

Die Basisdiagnostik beinhaltet neben der ausführlichen Anamnese eine körperliche Untersuchung sowie ein Basislabor mit Blutbild, CRP, Natrium, Kalium, Gamma-GT, GOT, GPT, Kreatinin, Lipase, TSH und Urinstatus. Dies wird durch eine Abdomensonographie und eine Koloskopie ergänzt. Bei Frauen sollte eine gynäkologische Untersuchung zum Ausschluss eines Ovarialkarzinoms durchgeführt werden.

Die erweiterte Labordiagnostik kann je nach Symptomatik eine Bestimmung des Calprotektins oder Lactoferrins im Stuhl oder der Transglutaminase-AK (bei V. a. Zöliakie) und eine mikrobiologische Stuhluntersuchung beinhalten.

Die weitere Diagnostik ist symptomorientiert. Führt die Obstipation, kann eine Kolontransitzeitbestimmung eine Slow-transit-Obstipation nachweisen. Eine Defäkationsstörung kann durch eine Rektaluntersuchung, eine Defäkographie und/oder eine anale Manometrie diagnostiziert werden.

Bei führender Blähungs-Symptomatik können Kohlenhydratmalabsorptionen mittels H2-Atemtest nach Gabe von Laktose, Fruktose oder Sorbit nachgewiesen werden, eine bakterielle Fehlbesiedlung durch einen Glukose-Atemtest.

Beim Leitsymptom Diarrhoe ist die Wahrscheinlichkeit für eine andere Ursache am höchsten. Daher sollten hier die umfangreichsten differenzialdiagnostischen Bemühungen erfolgen. Infrage kommen eine erweiterte Erregerdiagnostik im Stuhl (z. B. Lamblien, Wurmeier), eine Ileokoloskopie mit Stufenbiopsien (mikroskopische Kolitis), eine ÖGD mit Duodenalbiopsien, Laktose-, Fruktose-, Sorbit-H2-Atemtests und ein Colestyramin-Test bei V. a. Gallensäureverlustsyndrom.

Nicht empfohlen werden Tests auf IgG-AK gegen Nahrungsmittelallergene sowie die Bestimmung von quantitativen Parametern der Stuhlflora (sog. Darm-Ökogramm), da diese Tests keinen gesicherten Nutzen haben, nicht unerhebliche Kosten verursachen und die Patienten unnötig verunsichern.

Therapie

Die Therapie des Reizdarms steht auf drei Säulen:

1. Ärztliche Führung mit Allgemeinmaßnahmen und ggf. Ernährungsberatung

2. Psychosomatische Grundversorgung bzw. in Einzelfällen Psychotherapie

3. Medikamentöse Therapie

Die Allgemeinmaßnahmen bestehen aus einer Aufklärung über das Krankheitsbild und das Wesen und die Ursachen der Beschwerden und einer Ernährungsberatung.

Bei der Ernährung sollten die Patienten je nach Einzelfall blähende Speisen, bestimmte Kohlenhydrate oder sogenannte FODMAPs meiden. FODMAPs sind Fermentable Oligosaccharide, Disaccharide, Monosaccharide und Polyole (vgl. Tabelle 1). Diese werden im Darm bei Reizdarmpatienten oft schlecht aufgenommen, was zu einem osmotischen Wassereinstrom führt. Die dann folgende bakterielle Vergärung hat Gasbildung mit entsprechenden Symptomen zur Folge. Eine qualitativ hochwertige australische Studie konnte einen guten therapeutischen Effekt FODMAP-armer Diät bezüglich der Symptome und der Lebensqualität bei Reizdarmpatienten zeigen [4].

Die psychosomatische Therapie besteht aus unterschiedlichen Verfahren. Infrage kommen:
  • verhaltenstherapeutische Kombinationsverfahren
  • psychoanalytische Kurzzeittherapie
  • kognitive Verhaltenstherapie
  • Hypnotherapie
  • Stressbewältigungsprogramme
  • selektive Serotonin-Reuptake-Inhibitoren/ Trizyklische Antidepressiva

Die medikamentöse Therapie ist symptomorientiert. Wenn Bauchschmerzen im Vordergrund stehen, kommen folgende Medikamente infrage:
  • Spasmolytika
  • lösliche Ballaststoffe
  • TCA/SSRI
  • Einzelfälle: 5-HT3-Antagonisten (z. B. Alosetron*)
  • Probiotika
  • Phytotherapeutika
  • Linaclotid (Constella®)*
*nicht in Deutschland zugelassen, in USA und Schweiz verfügbar

Gegen Diarrhoe helfen z. B.:
  • Loperamid
  • Ballaststoffe
  • Einzelfälle: 5-HT3-Antagonisten (z. B. Alosetron = Lotronex®)*Colestyramin
  • Probiotika
  • Phytotherapeutika/Spasmolytika
*nicht in Deutschland zugelassen

Bei Obstipation werden folgende Medikamente eingesetzt:
  • Ballaststoffe in Form wasserlöslicher Gelbildner (z. B. Flohsamenschalen)
  • osmotische Laxanzien vom Macrogol-Typ
  • andere osmotische oder stimulierende Laxanzien
  • Probiotika
  • Phytotherapeutika (STW-5 = Iberogast®)
  • Spasmolytika
  • SSRI

Therapierefraktär:
  • Prucaloprid (Resolor®) 1 x 2 mg/d
  • Lubiproston (Amitiza® 2 x 8 µg, in USA, UK und Schweiz verfügbar)
  • Linaclotid 1 x 290 µg/d (Constella®)

Nicht vergessen werden sollte auch der Plazeboeffekt. In einer englischen Studie konnte gezeigt werden, dass sich dieser bei Reizdarmpatienten positiv auf die Symptome und die Lebensqualität auswirken kann [5].

Zusammenfassend sind die Krankheiten Reizmagen und Reizdarm:
  • häufige Krankheitsbilder,
  • klinisch eindeutig definiert,
  • Ausschlussdiagnosen.Die Pathogenese ist multifaktoriell.
  • Die Diagnose erfolgt nach klaren Kriterien.
  • Das klinische Bild ist heterogen.
  • Die Therapie erfolgt symptomorientiert.

Literatur
1. Tack J, Talley NJ, Camilleri M, Holtmann G, Hu P, Malagelada JR, Stanghellini V. Functional gastroduodenal disorders. Gastroenterology. 2006 Apr;130(5):1466-79.
2. Lacy BE, Talley NJ, Locke GR 3rd, Bouras EP, DiBaise JK, El-Serag HB, Abraham BP, Howden CW, Moayyedi P, Prather C. Review article: current treatment options and management of functional dyspepsia. Aliment Pharmacol Ther. 2012 Jul;36(1):3-15.
3. Irritable bowel syndrome: German consensus guidelines on definition, pathophysiology and management Layer P, Andresen V, Pehl C, Allescher H, Bischoff SC, Classen M, Enck P, Frieling T, Haag S, Holtmann G, Karaus M, Kathemann S, Keller J, Kuhlbusch-Zicklam R, Kruis W, Langhorst J, Matthes H, Mönnikes H, Müller-Lissner S, Musial F, Otto B, Rosenberger C, Schemann M, van der Voort I, Dathe K, Preiss JC; Deutschen Gesellschaft für Verdauungs- und Stoffwechselkrankheiten; Deutschen Gesellschaft für Neurogastroenterologie und Motilität. Z Gastroenterol. 2011 Feb;49(2):237-93.
4. Halmos EP, Power VA, Shepherd SJ, Gibson PR, Muir JG. A Diet Low in FODMAPs Reduces Symptoms of Irritable Bowel Syndrome. Gastroenterology. 2014 Jan;146(1):67-75.
5. Kaptchuk TJ, Kelley JM, Conboy LA, Davis RB, Kerr CE, Jacobson EE, Kirsch I, Schyner RN, Nam BH, Nguyen LT, Park M, Rivers AL, McManus C, Kokkotou E, Drossman DA, Goldman P, Lembo AJ. Components of placebo effect: randomised controlled trial in patients with irritable bowel syndrome. BMJ. 2008 May 3;336(7651):999-1003.



Autor:

Prof. Dr. med. Tilo Andus

Klinik für Allgemeine Innere Medizin, Gastroenterologie,
Hepatologie und Internistische Onkologie
Krankenhaus Bad Cannstatt
Klinikum Stuttgart
70374 Stuttgart

Interessenkonflikte: Der Autor hat keine deklariert.


Erschienen in: Der Allgemeinarzt, 2015; 37 (8) Seite 46-50