Ist Stress ein Trigger für Morbus Basedow? Zu dieser These liefern Studien kontroverse Daten. Welche Belege es für die "Stress-Hypothese" gibt und was dagegen spricht, soll in folgendem Beitrag erörtert werden.

Die erste Beschreibung einer Schilddrüsenüberfunktion (1808 durch Perry), lässt die Vermutung einer Auslösung durch Stress aufkommen: Die junge Patientin "Elizabeth S." entwickelt einige Wochen nach einem Sturz aus dem Rollstuhl eine sehr gut geschilderte Hyperthyreose. Perry weist allerdings darauf hin, dass bei dem Unfall nicht viel passiert sei. Die Aufregung rund um den Auslöser der Hyperthyreose scheint ihm also etwas übertrieben. Carl von Basedow publizierte 1840 die Krankengeschichte eines Patienten, der nach monatelangen, geschäftlichen Misserfolgen eine eindrucksvolle Hyperthyreose mit Exophthalmus entwickelte. Besonders treffend wird das Symptom der Thermophobie in diesem Fall beschrieben: "... wobei er sich leidenschaftlich gern der kalten Zugluft aussetzte und eine angenehme Abkühlung darin fand, die Brustbekleidung gegen kalten Regen, Wind und Schneegestöber zu öffnen …" Der ausgiebige Stress, gemeinsam mit Brechdurchfall, schien für Basedow die Symptomatik auszulösen. In der 2. Ausgabe des Lehrbuchs "Thyroid and its Diseases" (1948) von JH Means, Boston, wird von einem vorher gesunden und psychisch unauffälligen Patienten berichtet, der nach einem relativ harmlosen Autounfall innerhalb von drei Wochen das Vollbild einer Hyperthyreose mit Struma und Exophthalmus entwickelte. Diese drei Fälle sollen nur als pars pro toto dafür stehen, dass es in der früheren Literatur viele, größtenteils überzeugende Fallbeschreibungen der Hyperthyreose nach einem akuten Stressereignis gibt – zumeist mit Exophthalmus, also einem Morbus Basedow. Relativ rezent wurde von einer 18-jährigen Frau berichtet, die nach wiederkehrendem Stress zweimal ein Rezidiv des Morbus Basedow durchmachte [11].

Basedow im Krieg

Aber auch chronischer Stress, wie ihn Holocaust-Überlebende bzw. Kriegsopfer durchlebten, scheint mit einer signifikant erhöhten Inzidenz von Hyperthyreose einherzugehen [13]. In der englischen Literatur wird interessanterweise vom "Kriegs-Basedow" (sic!) gesprochen; vermutlich, weil die ersten Berichte aus beiden Weltkriegen stammten – mit allerdings mangelhafter Dokumentation.

Gut dokumentiert ist dagegen der Jugoslawien-Krieg [7]. Dort kam es in einer besonders umkämpften Region zu einer fünf- bis sechsfach erhöhten Häufigkeit von Morbus Basedow. Die Studie zeigt allerdings einen gravierenden Nachteil: Die Jodsalz-Prophylaxe wurde in dieser Zeit von 10 mg auf 20 mg/kg Vollsalz erhöht. Solche Maßnahmen können vorübergehend die Häufigkeit einer autoimmun bedingten Schilddrüsenerkrankung erhöhen.

In den 1990er-Jahren wollte man mit Fall-Kontroll-Studien die Bedeutung von Stress bei der Entstehung des Morbus Basedow evaluieren. Dazu wurden betroffenen Patienten Fragebögen vorgelegt, in denen sie nach belastenden Lebensereignissen ("stressful life events") innerhalb eines bestimmten Zeitraums vor der Diagnosestellung befragt wurden. Diese Ereignisse mussten sie als positiv oder negativ einstufen und auf einer willkürlichen Skala beurteilen, als wie schwerwiegend sie diese empfanden.

Bei sechs von sieben Studien zeigte sich eine signifikante Korrelation zum Morbus Basedow, vor allem mit den negativ empfundenen "stressful life events" [4, 6, 8, 9, 14, 15]. Bei der einen Studie, die keine Signifikanz zeigte [5], war der ausgewertete Zeitraum vor der Diagnose mit sechs Monaten eventuell zu kurz für eine signifikante Korrelation, bei den anderen sechs Studien lag dieser bei zwölf Monaten.

Besonders bemerkenswert ist die Studie von Yoshiuchi et al. [15], da sie die Korrelation zwischen Morbus Basedow und Stress bei Frauen erheben konnte. Zusätzlich fanden die Autoren heraus, dass der Nikotinkonsum einen fast gleichwertigen Risiko-Parameter darstellte (Tabelle 1). Bei Männern (immerhin 46 Patienten) konnten sie keine signifikante Korrelation vorweisen. Der Grund dafür könnte sein, dass Männer mit einer anderen CSF-Ausschüttung auf Stress reagieren als Frauen.

Eine weitere Studie von Matos Santos [6] (Abb. 1) zeigt – bei einem allerdings relativ kleinen Patientengut –, dass nur negativ empfundene "stressful life events" bei Morbus Basedow signifikant häufiger sind. Für positive Ereignisse ließ sich keine signifikante Korrelation feststellen. Die Autoren konnten zudem zeigen, dass die "negativen stressful life event"-Parameter bei Patienten mit Morbus Basedow signifikant häufiger als bei Patienten mit toxisch multinodulärer Struma bzw. als in der Kontrollgruppe sind. Es scheint also eine stressinduzierte Auslösung des Autoimmunprozesses stattzufinden, der zum Morbus Basedow führt.

So überzeugend diese Fall-Kontroll-Studien auch sein mögen, es gibt starke Gegenargumente:

  • Die Wirkung eines stressreichen Ereignisses kann bei Individuen verschieden sein.
  • Die Wertigkeit des Ausfüllens eines Fragebogens kann bei einem emotionalen Zusammenhang begrenzt sein.
  • Das Datum des Krankheitsbeginns ist schwierig zu definieren. Eine bereits milde, begonnene Hyperthyreose zum Zeitpunkt des Stressereignisses ist möglich.

Bei der ersten Beschreibung einer Hyperthyreose durch Perry könnte z. B. die beobachtete Überreaktion von Elizabeth S. auf den eher harmlosen Unfall darauf hinweisen, dass zum Zeitpunkt des "auslösenden Stresses" bereits eine Schilddrüsenüberfunktion bestand.

Der durch Stress bedingte Morbus Basedow scheint gewisse klinische Eigenheiten zu zeigen: So sind Rezidive häufiger [3] und Patienten öfter depressiv [3], wobei eine längere Gabe von Bromazepam die Rezidiv-Inzidenz zu mindern scheint [1]. Eine 131-Jod-Therapie löst häufiger und früher eine Hypothyreose aus [10]. Das Ausmaß des Stresses korreliert mit klinischem, aber nicht mit biochemischem Schweregrad des Morbus Basedow [12].

Wo ordnet man die Rolle des Stresses bei der Pathogenese des Morbus Basedow in Anbetracht der manchmal eindrucksvollen klinischen Beobachtung eines fast zwingenden Zusammenhanges ein? Brix et al. haben 2001 in einer Zwillingsstudie den Beweis erbracht, dass die Entstehung eines Morbus Basedow in 79 % genetischen Faktoren zugeordnet werden kann [12]. Für die restlichen Faktoren werden heute Östrogene und Umweltfaktoren verantwortlich gemacht (vgl. Abb. 2). Bei diesen Umweltfaktoren wird Stress als einer von mehreren Faktoren angeführt.

Wann löst nun Stress einen Morbus Basedow aus?

Beim natürlichen Verlauf der Entstehung der Erkrankung werden vier Stadien der autoimmun bedingten Hyperthyreose beschrieben:

  • Stadium 1: normales TSH, fT4 und neg. TPO
  • Stadium 2: normales TSH, fT4, schwach pos. TPO
  • Stadium 3: supprimiertes TSH, normales fT4, pos. TPO
  • Stadium 4: supprimiertes TSH, erhöhtes fT4, pos. TPO, pos. TRAK

Bei genetisch prädisponierten Personen (die Vielzahl der betroffenen Gene sind in der Abb. 2 angeführt), die sich im Stadium 2 befinden, kann Stress offensichtlich den Übergang zur Hyperthyreose triggern oder zumindest beschleunigen [2].

Zusammenfassend lässt sich sagen, dass Stress bei manchen Patienten ursächlich an der Entstehung eines Morbus Basedow beteiligt sein kann. Die ihm früher zugeordnete, fast ausschließlich ätiologische Bedeutung ist aber heute nicht mehr haltbar, obwohl es in Einzelfällen manchmal so erscheinen mag.


Literatur:
1) Benvenga S: 1996: 6: 659
2) Effraimidis G & Wiersinga W: Europ J Endocrinol 2014: 170: R241
3) Fukao A et al: Clin Endocrinol 2003: 58: 550
4) Kung 1995 Clinical Endocrinology 42: 303-8
5) Martin du Pan 1998 Ann Endocrinol (Paris) 59: 107-12
6) Matos Santos A et al: Clin Endocrinol 2001: 55: 15
7) Paunkovic N et al: Thyroid 1998: 8: 37
8) Radosavljevic et al 1996 Europ J Endocrinol 134: 699-701
9) Sonino et al 1993: Acta endocrinologica 128: 293-6
10) Stewart et al: J Nucl Med 1985: 26: 592
11) Vita et al: Nature Clinical Practice Endo & Metab 2009: 55
12) Vos XG et al: Europ J Endocrinol 2009: 160: 193
13) Weisman SA 1958: Ann Intern Med 48: 747 – 1521
14) Winsa et al: Lancet 1994: 338: 1475
15) Yoshiuchi K et al: Psychosom Med 1998: 60: 182


Autor:

Univ. Prof. Dr. med.Michael Weissel

Praxis für Innere Medizin (Schwerpunkt Schilddrüse)
A-1080 Wien

Interessenkonflikte: Der Autor hat keine deklariert.



Erschienen in: Der Allgemeinarzt, 2016; 38 (15) Seite 50-53