Der Lein – auch Flachs genannt – ist eine der ältesten Kulturpflanzen des Menschen. Bereits 5000 Jahre v. Chr. war der Lein den Babyloniern bekannt. Von dort gelangte er über Ägypten, Griechenland und Italien nach Mitteleuropa. Wegen seiner arzneilichen und vor allem ernährungsphysiologischen Eigenschaften ist der Leinsamen heute wieder aktuell.

Der botanische Name Linum usitatissimum bedeutet der "allergebräuchlichste" oder "äußerst nützliche Lein". Dieser Name bringt die Wertschätzung des Menschen gegenüber dieser vielfältig anwendbaren Pflanze zum Ausdruck. Schon im alten Ägypten baute man den Lein feldmäßig an, um aus den Fasern seiner Stängel die bis heute begehrten Leinenstoffe herzustellen und die Samen arzneilich zu nutzen. Als Mittel gegen Katarrh, Unterleibsschmerzen, Durchfall, Husten und Schwindsucht findet der Leinsamen bereits Erwähnung in verschiedenen alten Schriften, bekannt sogar schon seit etwa 5000 v. Chr.

Zubereitung von Leinsamenschleim
3 Esslöffel Leinsamen am besten am Abend vorher mit 500 ml Wasser einweichen und über Nacht quellen lassen. Am Morgen kurz aufkochen und mit einem groben Sieb oder einer Lage Mull den Schleim von den Leinsamen trennen. Den Leinsamenschleim in eine Thermosflasche füllen und ihn über den Tag verteilt körperwarm und schluckweise trinken, sowie abends vor dem Schlafengehen. Achtung: Leinöl wird schnell ranzig (oxidiert). Deshalb sollte man die Flasche nach der Entnahme der Samen sofort verschließen und dunkel sowie kühl aufbewahren.

Der Lein ist eine einjährige Pflanze von 60 bis 100 cm Höhe, die endständige Blüten mit fünf blauen, gelegentlich auch weißen Blütenblättern und schmal-lanzettlichen Blättern ausbildet. Die Früchte sind runde, erbsengroße Kapseln, die 8 bis 10 braune, flache und glänzende Samen enthalten. Hauptanbauländer sind Kanada, China, USA, Indien, Argentinien und Äthiopien. Die Droge – also die arzneilich verwendeten Leinsamen – besteht aus den getrockneten, reifen, braunen Samen des Leins.

Ballaststoffe und fettes Öl

Leinsamen enthalten rund 25 % Ballaststoffe. Davon sind 3 bis 19 % Schleimstoffe, die in der Oberhaut (Epidermis) der Samenschale lokalisiert sind. Weiterhin sind 30 bis 45 % fettes Öl, ca. 25 % Eiweiße und 0,1 bis 1,5 % cyanogene Glykoside vorhanden. Die Kommission E beim damaligen Bundesgesundheitsamt nennt als Wirkungen der Positiv-Monografie: laxierend (über eine Volumenzunahme des Darminhaltes) und schleimhautschützend (durch einen abdeckenden Effekt). Als Indikationen werden empfohlen:

  • habituelle Obstipation
  • durch Abführmittel geschädigtes Kolon
  • Colon irritabile
  • Divertikulitis
  • als Schleimzubereitung bei Gastritis und Enteritis und
  • als Kataplasma bei lokalen Entzündungen (äußerliche Anwendung).

Als Kontraindikation ist Ileus jeglicher Genese zu beachten. Nebenwirkungen sind bei Beachtung der Dosierungsanleitung (ausreichende Flüssigkeitszufuhr) nicht bekannt. Bei insulinpflichtigen Diabetikern kann eine Reduktion der Insulindosis notwendig werden.

Mildes Abführmittel ohne Gewöhnungseffekt

Die in der Samenschale vorhandenen Schleimstoffe besitzen ein hohes Wasserbindungsvermögen. So können 100 g Leinsamen 1.300 bis 3.000 g Wasser binden, was zu einer großen Volumenzunahme der Leinsamen führt. Nach dem Europäischen Arzneibuch soll Leinsamen mindestens die Quellzahl 4 aufweisen, d. h. beim Quellen sein Volumen mindestens um das Vierfache vergrößern. Der abführende Effekt des Leinsamens basiert auf dieser hohen Wasserbindungsfähigkeit. Es kommt so zu einer Zunahme des Stuhlvolumens – durch den erhöhten Füllungsdruck auf die Darmwand wird die Darmperistaltik angeregt. Der Transport des Darminhalts wird außerdem durch die Konsistenzverbesserung des Stuhls und den Gleiteffekt der sich bildenden Schleimschicht verbessert. Ein schneller Wirkungseintritt ist bei Leinsamen nicht zu erwarten: Es dauert 12 bis 24 Stunden, bis das Laxans wirkt. Ein Gewöhnungseffekt ist jedoch nicht bekannt. Bei Obstipation sollte 2- bis 3-mal täglich 1 Esslöffel unzerkleinerter Leinsamen mit jeweils mindestens 150 ml Wasser eingenommen werden (1 Esslöffel Leinsamen entspricht etwa 10 g). Leinsamen sollte nicht mit Milch eingenommen werden, da hier kein Quelleffekt eintritt. Wird zerkleinerter (geschroteter) Leinsamen verwendet, kann der Quellvorgang schon im Magen und nicht – wie erwünscht – erst im Dickdarm einsetzen. Außerdem wird bei zerkleinertem Leinsamen auch das fette Öl freigesetzt, das zu einer hohen Kalorienbelastung führt. Leinsamen ist wegen seiner guten Verträglichkeit besonders bei der häufig auftretenden Verstopfung im Alter zu empfehlen. Bei geriatrischen Patienten verbesserte laut einer klinischen Studie die Einnahme von Leinsamen (2-mal täglich 32 g) die Häufigkeit der Defäkation [1].

Lässt Schleimhautläsionen abheilen

Eine Therapiemöglichkeit bei gastritischen Beschwerden besteht in der Anwendung von Leinsamenschleim. In Tierversuchen zeigte Schleim eine deutliche protektive Wirkung bei stressverursachten Läsionen der Magenschleimhaut. Dabei geht man davon aus, dass im Schleim enthaltene Polysaccharide und Glykoproteine eine strukturelle Ähnlichkeit mit dem Magenschleim aufweisen. Daraus resultiert die Fähigkeit des Leinsamenschleims, sich für 2 bis 3 Stunden an den natürlichen Magenschleim anzuheften. Die dadurch zusätzlich aufgebaute Schleimschicht gibt dem Magen Zeit und Ruhe, sich selbst zu regenerieren und Entzündungen und Läsionen abzuheilen. Für diese Indikation sollte frisch bereiteter Leinsamenschleim zur Anwendung kommen (siehe Kasten oben). Eine Kur mit Leinsamenschleim kann außerdem eine Alternative – zumindest unterstützend – zu Protonenpumpenhemmern sein, die aufgrund ihrer Neben- und Wechselwirkungen und der zu häufigen und unkritischen Einnahme zunehmend in der Kritik stehen.

Leinöl statt Fischöl

Durch eine ungesunde Ernährung (vorwiegend tierische Fette) werden dem Körper zu viele Ω-6-Fettsäuren zugeführt, welche nach ihrer Verstoffwechslung an der Entstehung einer Reihe von (Zivilisations-) Krankheiten beteiligt sind. Die für den Menschen essentiellen Ω-6- und Ω-3-Fettsäuren konkurrieren um das gleiche Enzymsystem (Desaturasen, Elongasen) im Körper. Eine verstärkte Einnahme der ernährungsphysiologisch wertvollen Ω-3-Fettsäuren fördert eine antithrombotische, entzündungshemmende sowie vasodilatatorische Wirkung. Zusätzlich verringern Ω-3-Fettsäuren die Triglyceridspiegel, verbessern das Verhältnis von HDL- zu LDL-Cholesterol und sollen so das Risiko für eine koronare Herzkrankheit reduzieren.

Keine Vergiftungsgefahr!
In der Verbraucherpresse erscheinen hin und wieder Meldungen, die vor zu großen Mengen Leinsamen warnen. Denn aus den enthaltenen cyanogenen Glykosiden Linustatin und Neolinustatin würde im Körper Blausäure freigesetzt, die Vergiftungen auslösen kann. Toxikologische und klinische Untersuchungen haben diesen Verdacht jedoch nicht bestätigt. Denn im sauren Milieu des Magens kann keine Blausäure entstehen, da das für die Spaltung der cyanogenen Glykoside verantwortliche Enzym Linamarase durch die Magensalzsäure inaktiviert wird.

Doch die kardioprotektiven Effekte einer Supplementation mit Ω-3-Fettsäuren werden seit Jahren in der Fachliteratur kontrovers diskutiert. Um die Zufuhr der gesunden Ω-3-Fettsäuren zu erhöhen, wird ein regelmäßiger Verzehr von Kaltwasserfischen (Makrele, Hering, Thunfisch und Lachs) oder ihren Fischölen empfohlen. Kritiker weisen jedoch auf die hohe Schwermetallbelastung der Fische und die Belastung von in Fischfarmen gezüchteten Lachsen mit Hormonen hin. Leinöl stellt hier eine Alternative dar – es enthält hauptsächlich die wichtige α-Linolensäure, eine Ω-3-Fettsäure.


Literatur:
1) W. Wirths et al., Zeitschrift Gerontologie 1985; 18: 107 –110


Autor:

Ernst-Albert Meyer

Fachapotheker für Offizin-Pharmazie und Medizin-Journalist
31840 Hessisch Oldendorf

Interessenkonflikte: Der Autor hat keine deklariert.



Erschienen in: Der Allgemeinarzt, 2017; 39 (16) Seite 42-44