Kongressbericht: Schmerzen zu lindern ist eine der wichtigsten Aufgaben des Hausarztes – doch leider ist das oft schwierig und frustrierend. Mit dem Griff zum Rezeptblock allein ist es jedenfalls nicht getan. Doch mit pharmakotherapeutischem Know-how und dem Bestreben, möglichst individuell auf den Einzelnen und sein Umfeld einzugehen, kann es gelingen, den Patienten Erleichterung zu verschaffen.

Trotz aller Fortschritte in der neurologischen Forschung lässt sich das Phänomen Schmerz immer noch ungenügend fassen. Oder wie es der britische Philosoph John Locke ausdrückte: "Freude und Schmerz lassen sich nicht beschreiben, man kann sie nur aus der Erfahrung kennenlernen. Schmerz ist eine sehr individuelle Angelegenheit. Und auch der Einzelne nimmt Schmerzen unterschiedlich stark wahr, je nach momentaner Situation und Verfassung", erklärte Dr. med. Roland Kunz vom Spital in Affoltern auf der 16. Fortbildungstagung des Kollegiums für Hausarztmedizin (KHM) in Luzern. Der Palliativmediziner gab dafür ein Beispiel: "Morgens klemmt man sich den Finger in der Küchenschublade ein, als man den Kaffeelöffel herausnimmt. Wie stark es schmerzt, hängt davon ab, ob es schon vor dem ersten Kaffee passiert ist, ob man sich über den Partner geärgert hat, ob man selbst der Schussel war, der die Schublade zugedrückt hat, oder der Partner – und von vielen anderen möglichen Faktoren."

Schmerzkategorien

Schmerz ist also nicht gleich Schmerz. Um ihn zu erfassen, bedient man sich unterschiedlicher Einteilungen. Pathophysiologen unterscheiden zwischen nozizeptiven und neuropathischen Schmerzen.

Die nozizeptiven Schmerzen werden in somatische und viszerale Schmerzen weiter unterteilt. Somatische Schmerzen sind in der Regel gut zu lokalisieren und treten an der Haut oder am Bewegungsapparat auf – beispielsweise ein verstauchter Knöchel beim Sport. Viszerale Schmerzen beziehen sich meist auf die Eingeweide, sind eher unspezifisch und schlecht zu lokalisieren.

Neuropathische Schmerzen, so Kunz, werden wiederum unterteilt in Dysästhesien, zentral bedingte Schmerzen und Neuralgien. Die Dysästhesien beinhalten Hyper- und Parästhesien sowie Allodynie. Die zentral verursachten Schmerzen korrespondieren in der Peripherie mit den ZNS-Schäden. Neuralgien sind durch plötzlich einschießende, elektrisierende Schmerzen charakterisiert. Kunz wies nachdrücklich darauf hin, dass Neuralgien, auch wenn diese peitschenschlagartigen Schmerzen nur gelegentlich auftreten, den Patienten das Leben zur Hölle machen, weil sie ständig in Angst vor der nächsten Attacke leben.

Am wichtigsten im ärztlichen Alltag sei jedoch die Einteilung in akute und chronische Schmerzen, so Kunz. Der akute Schmerz ist sinnvoll und lebenserhaltend, weil er Schutzreaktionen auslöst. Er ist meist von kurzer Dauer, hat eine definierbare Ursache, ist behandelbar und in der Regel einfach psychisch zu verarbeiten – nicht zuletzt durch die große Akzeptanz und die Zuwendung, die der Kranke durch seine Mitmenschen erfährt.

Stürzt jemand beispielsweise auf der Straße, so springen viele Passanten sofort hinzu und helfen auf oder holen Hilfe. Anders beim chronischen Schmerz: Er hat keine Funktion mehr, ist nur quälend, endlos, sinnlos. Er ist oft losgelöst von der ursprünglichen Ursache, er wird zur eigenständigen Schmerzkrankheit, und der Kranke erfährt nur wenig Akzeptanz bei seiner Umwelt – denn wer will sich schon endlos Klagen anhören und sich hilflos fühlen.

Chronischer Schmerz zieht Kreise

Die Reaktion der Umwelt zeigt schon, dass der körperliche Schmerz Kreise zieht. Er wirkt sich auf das gesamte Leben aus. Zum körperlichen kommen der seelische, der soziale und der spirituelle Schmerz hinzu (vgl. Abbildung).

Der chronische Schmerz in seiner Komplexität stellt den Arzt vor große Herausforderungen. Er selbst kann – mit dem nötigen medikamentösen Instrumentarium – den körperlichen Schmerz lindern, er muss aber auch den individuellen Lebensumständen und Ängsten nachspüren, um gegebenenfalls interdisziplinäre oder interprofessionelle Hilfe zu veranlassen, zum Beispiel durch Physiotherapeuten oder Sozialarbeiter. Auch hier gab Kunz ein Beispiel aus seiner Praxis: Für einen Patienten mit Pankreaskarzinom standen nicht so sehr die starken Schmerzen im Vordergrund, sondern vielmehr die Sorge um die Tochter und ihre finanzielle Absicherung für ihr Studium.

Erfassung chronischer Schmerzen: Bedeutung im Alltag
  1. Wie stark sind Sie in den letzten Wochen ganz allgemein durch Schmerzen beeinträchtigt worden?
  2. Wie stark sind Sie im Moment durch Schmerzen beeinträchtigt?
  3. Wie stark sind Sie von den Schmerzen beeinträchtigt, wenn sie am stärksten sind?
  4. Wie viele Tage in der Woche werden die Schmerzen richtig schlimm?
  5. Wie stark werden Sie von den Schmerzen beeinträchtigt, wenn sie am schwächsten sind?
  6. Wie stark haben die Schmerzen Ihre Alltagsaktivität beeinträchtigt?

Mit Ausnahme von Punkt 4, für den die Anzahl Tage verzeichnet wird, gilt folgende Skala: 1 = überhaupt nicht, 2 = ein wenig, 3 = mäßig, 4 = ziemlich stark, 5 = sehr stark

Schmerzmanagement

Das moderne Schmerzmanagement besteht im Wesentlichen aus vier Punkten:

  • Schmerzerfassung und -analyse
  • Zielerfassung
  • Schmerztherapie
  • Evaluation.

Schon beim ersten Punkt wird es schwierig, denn es gibt kein zuverlässiges Messinstrument für das Ausmaß des Schmerzes. Am gebräuchlichsten ist die visuelle Analogskala (VAS), bei der der Patient seinen Schmerz auf einer Skala von 1 bis 10 angibt. Doch diese Skala wurde, so Kunz, für Patienten nach Operationen entwickelt und ist somit eher für akute Schmerzen geeignet. Für das Erfassen chronischer Schmerzen präferiert Kunz die Philadelphia Geriatric Center Pain Intensity Scale (vgl. Kasten).

Die auf die Erfassung folgende Schmerzanalyse fragt vor allem nach kausalen Behandlungsansätzen. Kann man beispielsweise bei alten, multimorbiden Patienten etwas gegen die Arthrose oder die Osteoporose tun? Hier kommt eventuell eine Basistherapie oder ein Gelenkersatz infrage. Auch externe Faktoren sind zu berücksichtigen. Oft lassen sich schon mit kleinen Veränderungen deutliche Erleichterungen herbeiführen. Als Beispiel berichtet Kunz von einer Erfahrung aus einem Pflegeheim: "In der Seniorenresidenz werden alle Bewohner auf die gleich hohen Stühle gesetzt. Doch kleine, alte Damen werden dann gezwungen, ganz auf der Stuhlkante zu sitzen, um mit den Füßen auf den Boden zu kommen. Wer das einmal über einige Stunden probiert hat, weiß, was Rückenschmerzen sind! Mit einem Fußschemel kann hier leicht Abhilfe geschaffen werden."

Nach der Schmerzanalyse gilt es, das Therapieziel zu definieren. Die dauerhafte Schmerzfreiheit in allen Situationen ist meist nicht zu erreichen. Vielmehr muss mit dem Patienten ein realistisches Ziel gefunden werden. Erreichbarer ist da eher die Schmerzfreiheit in Ruhe oder die Verhinderung von Schmerzattacken. Zudem sollte mit dem Patienten festgelegt werden, welcher Schmerz denn noch erträglich wäre.

Nichtopioide

Bei der Wahl der Schmerztherapie sollte man sich im Klaren darüber sein, dass es kein ideales Schmerzmittel, kein "eines für alle" gibt. Kunz gab einen kurzen Überblick zu den gängigen Analgetika.

In der Gruppe der Nichtopioide kommt Paracetamol ein großer Stellenwert zu. Das häufig verordnete Analgetikum hat aber auch seine Tücken. Es hat eine flache Dosis-Wirkungs-Kurve, was bedeutet, dass eine Dosissteigerung über 2 g/Tag keinen nennenswerten höheren Effekt hat, jedoch die Nebenwirkungen steigert, vor allem die Lebertoxizität. Zudem hat Paracetamol in höheren Dosen die gleichen Nebenwirkungen wie andere nichtsteroidale Antirheumatika (NSAR), insbesondere ein erhöhtes Risiko für gastrointestinale Ulzera und kardiovaskuläre Ereignisse (Myokardinfarkt). Für die Langzeitanwendung ist Paracetamol nicht geeignet.

Die Gruppe der NSAR ist bekanntlich stärker analgetisch und antiinflammatorisch wirksam als Paracetamol. Allerdings haben sie auch vor allem bei längerer Anwendung größere Nebenwirkungen. An erster Stelle steht hier das Risiko für gastrointestinale Blutungen. Daher ist bekanntlich Vorsicht geboten bei einer Komedikation mit Steroiden, oralen Antikoagulanzien oder Acetylsalicylsäure (ASS). Nach Kunz’ Ansicht sollten bei über 75-Jährigen NSAR nur kurzfristig zum Einsatz kommen. Das Risiko für Magenblutungen kann durch die begleitende Gabe von Protonenpumpeninhibitoren (PPI) vermindert werden. Auch die Gruppe der Coxibe hat ein geringeres Blutungsrisiko als klassische NSAR. Weniger bekannt als die gastrointestinalen Nebenwirkungen sind die Auswirkungen der NSAR auf die Niere. Kunz berichtete, dass durch die COX-II-Hemmung die Nierenfunktion eingeschränkt werde, es dadurch zu einer Wasser- und Salzretention komme, was wiederum das Herzinfarktrisiko steigere. Eine Kontraindikation für NSAR sieht Kunz bei einer glomerulären Filtrationsrate (GFR) von weniger als 60 ml/min.

Vor allem für ältere Schmerzpatienten geeignet sieht Kunz Metamizol (Novaminsulfon = Novalgin®). Die Risiken für Gastrointestinaltrakt, Herz und Niere seien gering. Jedoch gibt es bei dieser gut analgetisch wirkenden Substanz ein Agranulozytoserisiko. Die Inzidenzangaben schwanken hier laut Kunz zwischen 1:1 500 und 1:1 Million. Da 90 % der Agranulozytosen in den ersten zwei Monaten der Behandlung auftreten, rät Kunz in dieser Zeit zu einer engmaschigen Kontrolle.

Opioide

Lässt sich mit den Nichtopioiden kein ausreichender analgetischer Effekt erzielen – bei neuropathischen Schmerzen sind sie ohnehin fast wirkungslos –, muss auf Opioide zurückgegriffen werden. Die Therapie mit diesen Substanzen sollte oral und im festen Intervall erfolgen. Das erzeugt stabile Wirkspiegel, vermindert Nebenwirkungen und reduziert die Suchtgefahr.Alle schwachen Opioide sind Prodrugs, dass heißt, sie müssen im Organismus erst in wirksame Substanzen umgewandelt werden. Jedoch sind 7 bis 10 % der Bevölkerung Poor Metabolizers, sie können diese Umwandlung nicht ausreichend vollziehen. Bei Tramadol in Kombination mit Serotonin und Noradrenalin-Wiederaufnahmehemmern kommt es zu verstärkten Nebenwirkungen wie Nausea, Verwirrtheitszuständen (vor allem bei Älteren) und Krampfanfällen.

Generell gibt es bei den starken Opioiden keine Dosislimitierungen. Zum praktischen Umgang mit den Opioiden gab der Palliativmediziner einige Tipps: Zur fixen Gabe sollte immer auch eine Reservedosis verordnet werden, die ein Sechstel der Tagesdosis betragen sollte. Obligate Nebenwirkungen der Opioide wie Obstipation und Nausea sollten unbedingt mitbehandelt werden – das gilt sowohl für schwache als auch für starke Opioide. Gegen die Übelkeit helfen Metoclopramid oder auch Haloperidol (Kunz empfiehlt hier 3 x 3 Tropfen). Falls nötig könnten Opiate auch subkutan per Butterfly-Kanüle verabreicht werden, wobei die subkutane Dosis die Hälfte der oralen betrage, so Kunz. Und: Autofahren unter Opioidbehandlung ist dann möglich, wenn eine stabile Langzeiteinstellung erfolgt ist. In Einstellungs- und Umstellungsphasen sollte nicht Auto gefahren werden.

Bei Morphin steht eine breite Palette an galenischen Zubereitungen zur Verfügung, es ist bewährt und kostengünstig. Allerdings kann es durch die aktiven Metabolite zu Kumulation mit toxischer Wirkung auf das ZNS kommen. Bei eingeschränkter Nierenfunktion ist daher Vorsicht geboten. Ab einer GFR von weniger als 30 ml/min sollte kein Morphin mehr gegeben werden.

Hydromorphon ist siebenmal potenter als Morphin und bildet keine aktiven Metabolite. Kunz hält es unter anderem deshalb für ideal für geriatrische, multimorbide Patienten.

Oxycodon, das nur in oraler Form zur Verfügung steht, bildet ebenfalls kaum aktive Metabolite. Als Fixkombination mit Naloxon (Targin®) kann es vor allem bei hartnäckiger opioidbedingter Obstipation eingesetzt werden.

Tapentadol kombiniert die Opioidwirkung mit Noradrenalin-Wiederaufnahmehemmung. Es entstehen aktive Metabolite, die bei eingeschränkter Nierenfunktion kumulieren können.

Ein weiteres Opioid ist Fentanyl. Es liegt als Injektionslösung, bukkale Zubereitung (gegen Durchbruchschmerzen) und als transdermales System (d. h. Pflaster) vor. Bei der Pflastergalenik ist zu beachten, dass bei kachektischen Patienten oder bei sehr dünner Altershaut die Resorption zu schnell verlaufen kann, da das Substanzdepot im Unterhautfettgewebe entsteht. Durch die im Alter verlängerte Halbwertszeit kann es auch bei Fentanyl zur Kumulation kommen.

Buprenorphin gibt es ebenfalls als transdermales System. Es wird überwiegend hepatisch eliminiert (kaum Kumulationsgefahr) und ist daher besonders bei geriatrischen Patienten geeignet.

Pethidin hält Kunz für die Behandlung von chronischen Schmerzen vor allem bei älteren Menschen für weniger geeignet, da es eine kurze Wirkdauer hat und sich schnell eine Toleranz entwickelt. Auch sei hier die Suchtgefahr gegeben. Kunz würde Pethidin nur in Akutsituationen einsetzen.

Auch Methadon sei kein ideales Schmerzmittel, da es wegen der individuell sehr unterschiedlichen Halbwertszeit eine vorsichtige Einstellung und eine engmaschige Kontrolle erfordere. Infrage komme Methadon, das auf die Opiat- und NMDA-Rezeptoren wirke, vor allem bei Opiattoleranz oder neuropathischen Schmerzen.

Wirksamkeit der Schmerztherapie überprüfen

Wichtig ist Kunz auch, dass die Wirksamkeit der Schmerztherapie überprüft wird. Das gelte vor allem, wenn beispielsweise bei neuropathischen Schmerzen Opioide mit Co-Analgetika wie Antikonvulsiva (z. B. Pregabalin) oder Antidepressiva (z. B. Amitriptylin, Venlafaxin, Duloxetin) kombiniert würden. Hier sollte nicht das ganze therapeutische Arsenal nach dem Motto "viel hilft viel" zum Einsatz kommen, sondern bei jeder Substanz sollte einzeln geprüft werden, ob und wie viel sie dem Patienten an Schmerzerleichterung bringt.

Genehmigter und bearbeiteter Nachdruck aus CongressSelection: Hausarztmedizin, September 2014,104. Jg.



Autorin:
Angelika Ramm-Fischer

Erschienen in: Der Allgemeinarzt, 2014; 36 (18) Seite 62-68