Eine Urinprobe, die die Helferin in helle Aufregung versetzt: knallrot und geleeartig verdickt. Klarer Fall von Makrohämaturie – oder nicht? Was kann die Ursache für dieses Phänomen sein? Was müssen Sie den Patienten fragen? Welche Diagnostik steht nun an? Hat es Zeit oder ist es dringlich? Beantworten Sie diese Fragen zuerst für sich und lesen erst dann weiter. Haben Sie richtig gelegen?

Was ist das Problem?

Der 40-jährige Patient hatte am Morgen einen Urinbecher zur Untersuchung gebracht und sich dann gleich wieder auf den Weg gemacht. Als der Doktor eintrifft, empfängt ihn die Helferin mit den Worten: "Herr Doktor, schauen Sie mal ins Labor, da hat jemand einen ganz komischen Urin vorbeigebracht." Der Becher enthält eine rote, nahezu gelatinöse Masse.

Was wollen Sie noch wissen?

Zwei Tage später stellt sich der Patient erneut in der Praxis vor. Zu fragen ist nun nach:

  • Schmerzen: Falls ja, ist bei einer Makrohämaturie an eine Infektion in Blase oder Prostata oder ein Steinleiden (bei Koliken) zu denken, falls nein, an ein Malignom.
  • Fieber: Pyelo- oder Glomerulonephritis (dann oft auch Ödeme, Hypertonie, Arthralgien, Hautveränderungen)
  • Dysurie, Algurie, Pollakisurie: Hinweis auf Harnwegsinfekt oder Stein
  • Blasenentleerungsstörungen: Hinweis auf Prostatitis, Prostataadenom oder -karzinom
  • Artefakt: Nach dem Genuss von Roten Beten, Brombeeren oder von Lebensmitteln mit Farbstoffen kann sich der Urin rötlich verfärben, außerdem bei einer Marschhämoglobinurie oder Einnahme von bestimmten Pharmaka (Aminophenazon, Daunorubicin, Doxorubicin, Phenolphthalein, Phenothiazin, Alpha-Methlyl-Dopa, Rifampicin)

Was sollten Sie untersuchen?

  • Nierenlager: klopfempfindlich – Hinweis auf Pyelonephritis
  • Harnblase: druckempfindlich – Hinweis auf Zystitis
  • Blutdruckmessung: Hypertonie – Hinweis auf Nephrosklerose
  • Ödeme: Hinweis auf glomeruläre Erkrankung
  • Rektale Untersuchung mit Prostatapalpation: verhärtet – Hinweis auf Prostatakarzinom, weich – Hinweis auf Prostatitis

Was noch?

  • Urinstatus; Sediment: Erythrozytenzylinder – Hinweis auf glomeruläre Erkrankung, Leukozyturie, Leukozytenzylinder – Hinweis auf Harnwegsinfekt
  • Laborwerte: Diff-BB, Thrombos, BKS, CRP, Kreatinin, Harnsäure, Kalzium, Gesamteiweiß und E-phorese, PTT, INR
  • Sonografie: Urolithiasis? Nierentumoren? Zystennieren?

Was ist wahrscheinlich?

Hinter einer Makrohämaturie stecken am häufigsten Nieren- und Harnleitersteinleiden sowie infektiöse Ursachen (Harnwegsinfekte, Zystitis, Prostatitis).

Was kann es schlimmstenfalls sein? (Abwendbar gefährlicher Verlauf)

Hier ist insbesondere an Tumoren der Nieren und ableitenden Harnwege sowie an das Prostatakarzinom zu denken.

Wie ging es weiter?

Jede Hämaturie sollte dringend abgeklärt werden, weil ein Malignom dahinterstecken könnte. Aber auch ein Harnwegsinfekt beim Mann sollte abgeklärt werden. Merke: Ein gesunder Mann hat keinen Harnwegsinfekt! Körperlicher Befund und alle weiteren Untersuchungen waren unauffällig, ebenso das i.v.-Pyelogramm, das CT, die Nierenangiographie und die Zystoskopie. Vier Wochen später ereignete sich erneut eine Makrohämaturie, wieder blieb die Diagnostik ohne Befund. Erst ein Jahr später, nach erneuter Makrohämaturie, entdeckte man im CT und in der Nierenangiographie ein Hypernephrom. Der Patient wurde operiert und ist mittlerweile seit 20 Jahren beschwerdefrei.

Was lernen wir?

Die schmerzhafte Makrohämaturie ist ein Alarmsymptom, das zur Abklärung wenn nötig das gesamte diagnostische Arsenal erfordert, das bei jedem erneuten Auftreten des Symptoms wiederholt zum Einsatz kommen muss.

50 Fälle
Der hier vorgestellte Fall wurde dem Buch "Die 50 wichtigsten Fälle Allgemeinmedizin" von Prof. Dr. med. Reinhold Klein, erschienen bei Elsevier Urban & Fischer, München, ISBN: 978-437-43157-9, 2. Auflage 2016, entnommen.

Überblick über die bisher in dieser Serie erschienenen Beiträge:



Autor:

Prof. Dr. med. Reinhold Klein

Facharzt für Allgemeinmedizin
Leiter der Lehre am Institut für Allgemeinmedizin der TU München
85235 Pfaffenhofen a. d. Glonn

Erschienen in: Der Allgemeinarzt, 2017; 39 (12) Seite 60-61