Notruf in der vollen Sprechstunde: Ein junger Mann wurde plötzlich bewusstlos. Was sagen Sie am Telefon? Welche Maßnahmen sind am Notfallort nötig bzw. möglich? Was ist bei der Langzeitbetreuung zu beachten? Der Patient beißt sich nachts auf die Zunge, was müssen Sie nun veranlassen? Wie sieht ein typischer Zungenbiss aus? Beantworten Sie diese Fragen zuerst und lesen erst dann weiter. Haben Sie richtig gelegen?

50 Fälle
Der hier vorgestellte Fall wurde dem Buch "Die 50 wichtigsten Fälle Allgemeinmedizin" von Prof. Dr. med. Reinhold Klein, erschienen bei Elsevier Urban & Fischer, München, ISBN: 978-437-43157-9, 2. Auflage 2016, entnommen.

Was ist das Problem?

Der Vater des 26-jährigen Dachdeckers Rudi H. ruft gegen 18 Uhr aufgeregt in der Abendsprechstunde an: "Herr Doktor, kommen Sie schnell, der Rudi liegt vor dem Haus. Er ist bewusstlos und zuckt am ganzen Körper." Bei Herrn H. ist ein Alkoholabusus (bis zehn Bier am Wochenende) bekannt.

Welche Anweisungen geben Sie am Telefon?

  • Sie kündigen einen sofortigen Hausbesuch an und fordern simultan Rettungsdienst und Notarzt an.
  • Es sollte alles aus dem Weg geräumt werden, was den Patienten beim wilden Umsichschlagen verletzen könnte. Eine Polsterung mit Kissen oder Decken um den Patienten herum ist sinnvoll, damit er sich so wenig wie möglich verletzt.
  • Keine Gewalt anwenden – Patient nicht festhalten!

Welche Maßnahmen ergreifen Sie am Notfallort?

Bei Ihrem Eintreffen zuckt der Patient immer noch. Da unmittelbares Handeln erforderlich ist, um den Status zu durchbrechen, beschränkt sich die Diagnostik auf ein Minimum: Inspektion (Zyanose/Atemfrequenz?), falls möglich Puls- und Blutdruckkontrolle, PO2. Diagnostik und Therapie gehen simultan Hand in Hand:

Folgende Erstmaßnahmen sind beim Status epilepticus indiziert:

  • Stabile Seitlagerung, Atemwege frei machen, evtl. Larynxtubus.
  • Sicheren venösen Zugang schaffen.
  • Benzodiazepine i. v. (4 mg Lorazepam oder 12 – 20 mg Diazepam), cave Atemdepression!

Nach über zwei Monaten stationärem und anschließendem Reha-Aufenthalt stellt sich der Patient wieder in der Praxis vor. Außer der Epilepsie Z. n. ausgedehnter Aspirationspneumonie bds. Entlassungsmedikation: Phenytoin (Phenhydan®) Tabletten 2 × 100 mg.

Wie sieht die Langzeitbetreuung aus?

  • Regelmäßige Kontrolluntersuchungen: Anfallsanamnese, Laborkontrollen (Phenytoin: cave Leber! – Spiegelbestimmung)
  • Mitbehandlung durch Neurologen
  • Umschulung (als Dachdecker absturzgefährdet)
  • kein Alkohol
  • für regelmäßigen Tag-Nacht-Rhythmus sorgen
  • stroboskopische Blitze meiden (Disco!)
  • eine Fahrerlaubnis erst nach zwölfmonatiger Anfallsfreiheit beantragen

Was tun bei Zungenbiss?

Nach sechs Monaten konsultiert Sie der Patient erneut wegen Zungenschmerzen (Abb. 1). Zu denken ist an einen nächtlichen Zungenbiss im Rahmen eines epileptischen Anfalls. Was tun Sie jetzt?

  • Blutentnahme zur Phenytoinspiegelbestimmung, da die Serumkonzentration des Antiepileptikums unmittelbar nach dem Anfall entscheidend für die weiter notwendige Aufdosierung ist.
  • Überweisung zum Neurologen, um erneut ein EEG anzufertigen und in geteilter Verantwortung mit dem Spezialisten das weitere Prozedere festzulegen.

Was lernen wir?

Schutz vor Selbstverletzung, Freihalten der Atemwege und medikamentöse Durchbrechung des Anfalls sind die wichtigsten Sofortmaßnahmen beim Status epilepticus. Nach Entlassung aus der Klinik erfordert die Betreuung von Epileptikern eine intensive Zusammenarbeit zwischen Hausarzt und Neurologen. Anfallsauslösende und im Anfall gefährliche Situationen sind zu vermeiden.

Die Frage der Fahrtüchtigkeit muss ggf. durch einen Gutachter geklärt werden. Die Fahrtüchtigkeit ist jedoch frühestens nach einem Jahr Anfallsfreiheit gegeben.

Überblick über die bisher in dieser Serie erschienenen Beiträge:



Autor:

Prof. Dr. med. Reinhold Klein

Facharzt für Allgemeinmedizin
Leiter der Lehre am Institut für Allgemeinmedizin der TU München
85235 Pfaffenhofen a. d. Glonn

Erschienen in: Der Allgemeinarzt, 2017; 39 (13) Seite 50-51