Thema Impfstellen: Welche Alternativen gibt es zum Musculus deltoideus? Warum wurde der frühere Standard "Glutaeus maximus" verlassen? Wohin impft man bei kleinen Kindern, bei denen der Deltoideus noch nicht ausreichend ausgebildet ist?

Impfungen: Fragen und Antworten
Kaum ein Fachgebiet der Medizin wirft so viele Fragen auf wie das Thema „Impfungen und Impfstoffe“. Zuweilen bieten die STIKO-Empfehlungen durchaus Interpretationsspielraum. Außerdem sind die individuellen Konstellationen so vielfältig, dass Unsicherheiten geradezu vorprogrammiert sind – sei es, was fraglich stattgefundene Impfungen, Impfabstände, Impfreaktionen, Dosierungen oder Indikationen angeht, und, und, und. Diese neue Serie befasst sich mit konkreten Fragen rund ums Thema Impfungen, die unser Experte Dr. med. Andreas Leischker fachkundig beantwortet.

Es gibt Impfstoffe, die sowohl intramuskulär als auch subkutan verabreicht werden können (z. B. einige Impfungen gegen saisonale Influenza), andere Impfstoffen sollen ausschließlich intramuskulär verabreicht werden.

Für eine sichere intramuskuläre Injektion ist eine ausreichende Muskelmasse erforderlich. Besonders bei Impfstoffen mit Adjuvantien kann es zu schmerzhaften Entzündungen und zur Bildung von Granulomen kommen, wenn der Impfstoff statt in das Muskelgewebe in das subkutane Fettgewebe gelangt. Bei einigen Impfstoffen kann zudem der Impferfolg bei subkutaner Gabe geringer ausfallen. Die Injektionsstelle soll zudem so ausgewählt werden, dass weder Nerven noch größere Blutgefäße getroffen werden.

Deltoideus als erste Wahl

Für intramuskulär zu applizierende Impfstoffe ist bei Jugendlichen und Erwachsenen der Musculus deltoideus die bevorzugte Injektionsstelle:

Die Injektion erfolgt drei Querfinger unterhalb des Akromion senkrecht zur Hautoberfläche in die höchste Erhebung des Musculus deltoideus. In den Musculus deltoideus sollten maximal 2 ml Injektionslösung injiziert werden.

In den aktuellen STIKO-Empfehlungen sind erstmalig Empfehlungen zur Nadellänge enthalten:

  • Jugendliche und Erwachsene: 20 – 50 mm
  • Säuglinge > 2 Monate und Kinder: 25 mm
  • Säuglinge < 2 Monate: 15 mm

Entgegen früheren Empfehlungen sollte vor der intramuskulären Injektion von Impfstoffen keine Aspiration mehr erfolgen. Dies gilt für alle Altersgruppen. Eine Aspiration ist überflüssig, da an den für die Impfung empfohlenen Injektionsorten keine größeren Blutgefäße verlaufen.

Bei Säuglingen und Kindern unter zwei Jahren ist der Musculus deltoideus meist noch nicht ausreichend ausgebildet – die Injektion sollte bei diesen in den Musculus vastus lateralis (anterolateraler Oberschenkel) erfolgen. Sofern bei Jugendlichen und Erwachsenen eine Injektion in den Musculus deltoideus nicht möglich ist – z. B. wegen lokaler Hautinfektionen –, kann bei diesen ebenfalls in den Musculus vastus lateralis geimpft werden. Dieser Injektionsort wird übrigens – altersunabhängig – auch für die Applikation von Adrenalin zur Therapie einer schweren anaphylaktischen Reaktion empfohlen.

Glutaeus ist "out"

Früher wurden intramuskuläre Injektionen bevorzugt in den Musculus glutaeus maximus appliziert. Vorteil dieses Injektionsortes bei der Applikation von Medikamenten ist, dass auch mehr als 2 ml Injektionsvolumen appliziert werden können. Für Impfungen wird dieser Injektionsort allerdings seit mehreren Jahren aus mehreren Gründen nicht mehr empfohlen:

Bei nicht korrekt gewähltem Injektionsort kann es zu einer Schädigung des Nervus ischiadicus führen. Diese kann neben neurologischen Ausfällen persistierende brennende Schmerzen nach sich ziehen. Bei Kindern kann die Verletzung dieses Nervs zu Wachstumsstörungen und Fußdeformitäten führen. Wenig bekannt ist der Injektionsschaden des N. glutaeus superior, der die Mm. glutaeus medius, glutaeus minimus und tensor fasciae latae versorgt. Eine Schädigung des (rein motorischen) Nerven ist nicht von Schmerzen und Sensibilitätsstörungen begleitet. Die sich später einstellende Muskelatrophie wird durch eine meist dicke Fettgewebsschicht verdeckt. Deshalb wird die Ursache der resultierenden Gangstörung (Watschelgang; Duchenne-Hinken) oftmals verkannt. Nervenschädigungen sind grundsätzlich auch bei Injektionen im Bereich des Oberarmes und des Oberschenkels möglich, das Risiko ist aber deutlich geringer als im Bereich des Gesäßes.

Zudem ist die subkutane Fettschicht bei vielen Menschen im Bereich des Gesäßes so stark ausgebildet, dass die Injektion nicht in der Muskulatur, sondern im Fettgewebe landet.



Autor:

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Dr. med. Andreas H. Leischker, M.A.

Facharzt für Urologie – Andrologie
Facharzt für Innere Medizin – Reisemedizin (DTG), Flugmedizinischer Sachverständiger
Gelbfieberimpfstation
Alexianer Krefeld GmbH, 47918 Krefeld

Interessenkonflikte: Dr. Leischker hat Honorare/Reisekostenunterstützung von Pfizer, Novartis und Sanofi-Pasteur-MSD erhalten. Er ist Dozent und Mitglied der Akademie des Centrums für Reisemedizin (CRM) Düsseldorf


Erschienen in: Der Allgemeinarzt, 2017; 39 (2) Seite 44-45