Gangstörungen sind ein häufiges Symptom im Alter. Über ein Drittel aller über 70-Jährigen leiden darunter [1]. Die Ursachen sind häufig multifaktoriell. Neben degenerativen Veränderungen des Bewegungsapparates wie Arthrosen und schmerzbedingten Einschränkungen müssen auch neurologische Erkrankungen berücksichtigt werden. Die häufigsten und einige seltenere, bei denen sich jedoch wichtige therapeutische Konsequenzen ergeben, sollen in diesem Artikel zusammengefasst werden (vgl. auch Tabelle 1).

Sensorische Defizite

Gangstörungen aufgrund einer beeinträchtigten Oberflächen- und Tiefensensibilität sind typische Zeichen einer Polyneuropathie (PNP). Das Gangbild ist typischerweise breitbasig und unsicher mit Problemen beim Strichgang (sensible Ataxie). Dunkelheit oder Augenschluss aggravieren die Symptome. Die Patienten berichten Taubheitsgefühle der Füße, ein "Wie-auf-Watte-Gehen", Missempfindungen der unteren Extremitäten oder Muskelkrämpfe. Nicht selten wird auch ein ungerichteter "Schwindel" als Hauptsymptom angegeben, der die Unsicherheit beim Gehen widerspiegelt. Autonome Störungen wie Impotenz, orthostatische Dysregulation oder trophische Störungen (Ulcera) können hinzukommen. In der klinischen Untersuchung finden sich abgeschwächte oder fehlende Achillessehnenreflexe und ein pathologischer Stimmgabeltest am Malleolus medialis (Vibrationsempfinden < 6/8; Abb. 1). Die häufig zu beobachtende Atrophie der kleinen Fußmuskeln führt zu einer Betonung des Fußgewölbes (Abb. 2).

Polyneuropathien gehören nach den Schlaganfällen zu den häufigsten neurologischen Erkrankungen [2]. Über 200 verschiedene Ursachen sind bekannt, wobei Diabetes mellitus und Alkoholabusus sowie eine chronische Niereninsuffizienz die häufigsten sind. Dabei ist zu berücksichtigen, dass bereits eine pathologische Glukosetoleranz eine manifeste PNP verursachen kann und einer entsprechenden Behandlung bedarf. Zur Diagnosesicherung wird vom Neurologen eine Elektroneurographie und -myographie durchgeführt. Daneben ist eine gezielte Labordiagnostik unumgänglich.

Steht beim Patienten eine ausgeprägte Gangunsicherheit im Dunklen bzw. bei Augenschluss oder auf unebenem Grund im Vordergrund, ist differenzialdiagnostisch auch an die wenig bekannte bilaterale Vestibulopathie zu denken. Weitere Kennzeichen dieser beidseitigen Schädigung des Vestibularorgans sind Bildverwacklungen und Unscharfsehen bei Bewegungen (Oszillopsien). Die Diagnose kann relativ einfach durch Testung des vestibulookulären Reflexes im Kopfimpulstest nach Halmagyi (Abb. 3) gestellt werden. Die Erkrankung ist im Alter am häufigsten degenerativ bedingt und findet sich gelegentlich zusammen mit einer PNP [3]. In jedem Fall ist eine HNO-ärztliche Abklärung zum Ausschluss spezifisch zu behandelnder Ursachen (z. B. chronischer M. Menière) sinnvoll.

Eine Visusminderung bei begleitenden ophthalmologischen Erkrankungen (z. B. Katarakt), eine unzureichend angepasste Sehhilfe oder der Nichtgebrauch von vorhandenen Sehhilfen sollten als Ursache oder Verstärkungsfaktor einer Gangunsicherheit des älteren Patienten bedacht werden.

Störung der Motorik

Eine lumbale Spinalkanalstenose ist charakterisiert durch intermittierende Gehschwierigkeiten nach bestimmter Gehstrecke (Claudicatio spinalis). Es kommt in aufrechter Haltung zu Schmerzen und flüchtigen sensomotorischen Defiziten, die reversibel sind durch Kyphosierung der LWS (Hinsetzen, Vorbeugen, Liegen mit gebeugten Beinen, im Gegensatz zur Claudicatio bei pAVK). Treppensteigen oder Bergaufgehen ist meist gut möglich, während Bergabgehen Beschwerden verursacht. In späteren Stadien finden sich persistierende sensible Defizite, ausgefallene Beinreflexe und Paresen. Bei Wurzelläsionen stehen radikulär ausstrahlende Schmerzen mit Verstärkung bei Nervendehnung (positives Lasègue-Zeichen) im Vordergrund. Es kommt zu sensiblen Defiziten im entsprechenden Dermatom und abgeschwächten Kennreflexen (PSR: L4, ASR: S1). Wenn bei ausgeprägten Wurzelläsionen auch die motorischen Fasern betroffen sind, finden sich schlaffe Paresen. Das Gehen ist insbesondere schmerzbedingt hinkend, bei Vorhandensein von Lähmungen finden sich Bewegungsmuster entsprechend den Ausfallserscheinungen (z. B. Stepper- und Trendelenburggang bei L5-Läsion). Diagnostisch hilfreich sind ENG/EMG-Untersuchungen durch den Neurologen und eine bildgebende Untersuchung der LWS.

Eine beinbetonte Hemisymptomatik oder gar isolierte Beinparese durch einen zerebralen Insult ist vergleichsweise selten, kann aber durch Versorgungsstörungen im Gebiet der A. cerebri anterior auftreten. Akut auftretende, schmerzlose Beinparesen sind immer verdächtig auf eine zerebrovaskuläre Erkrankung, insbesondere, wenn die Parese über das Versorgungsgebiet eines einzelnen Nerven hinausgeht. Klinisch hinweisend für die zentrale Genese sind gesteigerte Muskeleigenreflexe und ein positives Babinski-Zeichen auf der betroffenen Seite. In der Akutphase eines zerebralen Insults sind die Lähmungen schlaff, die typische Spastik als Zeichen der zentralen Parese entwickelt sich erst im Verlauf. In jedem Fall ist eine Notfalldiagnostik mit zerebraler Bildgebung zur Ursachenfindung unumgänglich.

Ein hypokinetisches, kleinschrittiges Gangbild mit fehlenden Armmitbewegungen und Problemen bei Drehungen ist Kennzeichen eines Parkinson-Syndroms. In der passiven langsamen Bewegungsprüfung der Extremitäten ist bei Parkinson-Patienten typischerweise ein erhöhter Widerstand (Rigor) zu finden. Der charakteristische einseitige Ruhetremor kann fehlen. Die Standsicherheit ist durch eine Reduktion der Stellreflexe beeinträchtigt. Bei Verdacht auf eine Parkinson-Erkrankung sollte die Abklärung über einen Neurologen erfolgen und eine kranielle Bildgebung, am besten ein MRT, beinhalten.

Klinisch schwierig ist zuweilen die Abgrenzung von Parkinson-Syndromen zu anderen zentral bedingten Störungen des Gehens, z. B. der Subkortikalen Arteriosklerotischen Enzephalopathie (SAE) oder dem Normaldruckhydrozephalus (NPH). Beide Krankheitsbilder gehen mit einer Parkinson-ähnlichen Gangstörung einher, bei der die Füße nur schwer vom Boden abgehoben werden können. Es kommt zu einem kleinschrittigen "klebenden" Gang mit Startstörungen, wobei die Armmitbewegungen aber in der Regel gut sind. Weitere klinische Kennzeichen beider Krankheitsbilder sind eine Harninkontinenz und kognitive Defizite. Ursache sind jeweils Läsionen von frontal gelegenen Hirnzentren für die Gang- und Blasenkontrolle, entweder bedingt durch chronische Hypertension (SAE) oder durch einen Liquor-Aufstau und Ausweitung der Seitenventrikel (NPH). Beide Krankheitsbilder sind einfach in der zerebralen Bildgebung zu diagnostizieren (Abb. 4) und haben wichtige therapeutische Konsequenzen. Bei der SAE steht die konsequente RR-Einstellung im Vordergrund, während der NPH durch wiederholte Liquorpunktionen oder die Anlage eines ventrikulo-peritonealen Shunts therapiert wird (vgl. Kasten bzw. ShutterLink®).

Das ataktische Gehen bei zerebellärer Degeneration ist gekennzeichnet durch eine verbreiterte Basis, variable Schrittlänge und unkoordinierte Bewegungen. Es findet sich bereits im Stand ein Schwanken (Standataxie), z. T. mit Fallneigung. Zusätzliche Symptome der Kleinhirnschädigung sind Störungen der Okulomotorik, des Sprechens (Dysarthrie) und eine Extremitätendysmetrie. Die häufigsten Ursachen sind vaskuläre Läsionen (Insult) und die alkoholisch bedingte chronische Degeneration. Bei letzterer imponiert klinisch in der Regel ein Mischbild aus sensorischer (PNP) und zerebellärer Ataxie.

Kognitiv bedingte Gangstörungen

Kognitive Störungen bei Demenzerkrankungen können das Gehen eigenständig beeinträchtigen. Durch die Orientierungsstörung ist das Gehen verlangsamt, es kommt zu einer Verschlechterung durch Ablenkung (verminderte „Dual-Task-Fähigkeit“) und häufigeren Stürzen [4].

Angst wirkt als negativer Verstärkungsfaktor. Angst kann jedoch auch Hauptgrund für eine Beeinträchtigung des Gehens sein. Bei solchen Patienten ist das Gehen objektiv nur minimal beeinträchtigt, die Angst zu stürzen steht jedoch im Vordergrund. Das Gehen ist deutlich verlangsamt und haltsuchend. Im Gegensatz zu dementiellen Erkrankungen wird bei Angsterkrankungen eine Besserung des Gehens durch Ablenkung oder durch minimale Unterstützung beobachtet. Eine depressive Komorbidität ist häufig vorhanden. Dementsprechend steht hier die verhaltenstherapeutische und medikamentöse Therapie (z. B. SSRI) der psychiatrischen Komponente im Vordergrund.

Medikamentös-toxische Effekte sind insbesondere als Verstärker von Gangstörungen zu beachten. Gerade bei fluktuierender Symptomatik, der Angabe von ungerichtetem Schwindel und anamnestischem Zusammenhang mit der Einnahme bestimmter Substanzen (insb. Psychopharmaka, Antihypertensiva, Antiarrhythmika) sollte ein Medikamenteneffekt hinterfragt und ggf. ein Auslassversuch unternommen werden.

Therapieprinzipien

Allen Gangstörungen gemein ist der Nutzen einer gezielten krankengymnastischen Therapie, wobei der Benefit nicht wissenschaftlich belegt ist. Eine gezielte Gangschulung sollte die Verbesserung der Koordination und Gleichgewichtskontrolle sowie sensorische Übungen beinhalten. Neben spezifischen Ansätzen bei identifizierten Krankheitsbildern (z. B. dopaminerge Therapie bei M. Parkinson) stehen natürlich das Weglassen schädigender Noxen (Alkohol, bestimmte Medikamente) und das Erfassen und Behandeln von psychogenen Komponenten im Vordergrund. Bei Sturzgefahr ist eine Versorgung mit Hilfsmitteln (auch entsprechendes Schuhwerk) angebracht. Da der Erhalt der kognitiven Fähigkeiten eng mit der körperlichen Aktivität verknüpft ist, ist eine Förderung der körperlichen Aktivität auch im Sinne einer antidementiven Therapie wichtig.

Danksagung

Ich danke Univ. Doz. Dr. Manfred Tillich, Diagnostikum Graz Süd West, für die freundliche Überlassung der MRT-Bilder.


Literatur:
1 Verghese J, Levalley A, Hall CB, Katz MJ, Ambrose AF, Lipton RB: Epidemiology of gait disorders in community-residing older adults. J Am Geriatr Soc 2006; 54: 255–61.
2 MacDonald BK, Cockerell OC, Sander JW, Shorvon SD. The incidence and lifetime prevalence of neurological disorders in a prospective community-based study in the UK. Brain. 2000 Apr;123 ( Pt 4):665-76.
3 Zingler VC, Weintz E, Jahn K, Huppert D, Cnyrim C, Brandt T, Strupp M: Causative factors, epidemiology, and follow-up of bilateral vestibulopathy. Ann N Y Acad Sci. 2009 May;1164:505-8.
4 Beauchet O, Annweiler C, Dubost V, Allali G, Kressig RW, Bridenbaugh S, Berrut G, Assal F, Herrmann FR: Stops walking when talking: a predictor of falls in older adults? Eur J Neurol. 2009 Jul;16(7):786-95.



Autor:

Dr. med. Friederike von Lewinski, Graz-Eggenberg

Fachärztin für Neurologie
A – 8020 Graz-Eggenberg

Interessenkonflikte: keine deklariert


Erschienen in: Der Allgemeinarzt, 2014; 36 (8) Seite 22-26