Hinter dem Symptom "Dyspnoe" kann sich eine Vielzahl von pathophysiologisch völlig unterschiedlichen Störungen verbergen. Um eine erfolgversprechende Therapie einleiten zu können, muss das Problem mittels einer ausgiebigen Befragung des Patienten korrekt eingeordnet werden – nicht selten eine Herausforderung für den Hausarzt.

Das Erkennen und die Behandlung von Atemnot sollte für den Hausarzt eigentlich eine alltägliche Aufgabe darstellen. Erhebungen wie die Framingham-Studie sagen immerhin aus, dass 6 – 27 % (je nach Geschlecht und Altersgruppe) der Patienten über irgendwie geartete Atemprobleme klagen. Dyspnoe ist somit einer der häufigsten Gründe für Patienten, ärztliche Hilfe in Anspruch zu nehmen.

Atemnot ist jedoch vielschichtig und stellt uns immer wieder vor Probleme, wenn die auf Basis der diagnostischen Einschätzung initiierte Therapie keinen oder zumindest keinen ausreichenden Erfolg nach sich zieht. Wissen wir also wirklich immer, was unsere Patienten meinen, wenn sie über eine behinderte, unzureichende Atmung klagen? Für die tägliche Arbeit in der Arztpraxis erscheint es demnach sinnvoll, sich mit dem Phänomen der Atemnot differenziert auseinanderzusetzen, denn nur das richtige Verständnis für die beklagte Atemnotproblematik ermöglicht ein erfolgreiches ärztliches Handeln.

Kasten 1: Dyspnoe ist eine subjektive Erfahrung von Atembeschwerden mit wechselnder Qualität und Stärke
  1. Verschiedene Mechanismen und afferente Pathways sind für verschiedene sensorische Qualitäten verantwortlich (Atemarbeit/Effort, Enge und Lufthunger/unbefriedigende Inspiration)
  2. Die unterschiedlichen Sensationen treten normalerweise nicht isoliert auf
  3. Dyspnoesensationen können in ihrer Stärke und ihrer emotionalen und Verhaltenssignifikanz variieren


Beim Bauchschmerz z. B. haben wir gelernt, diesen in all seinen Facetten zu hinterfragen, um sich seinen Ursachen schon anamnestisch zu nähern. Ähnlich können wir auch bei der Atemnot agieren: den Patienten konkrete Fragen stellen (vgl. Tabelle 1). Das Gespräch sollte dabei keine Unsicherheiten aufbauen und nicht zu weitergehenden Missverständnissen führen, sondern helfen, über die exakte Symptombeschreibung zur Verdachtsdiagnose und dann zu einer erfolgreichen Therapie zu gelangen.

Atemnot – schwer fassbar

Als Ursachen der Atemnot kommen verschiedenste Störungen und Erkrankungen mit sehr differenten pathophysiologischen Mechanismen infrage, die im Einzelfall nur schwer erkennbar sind. Dyspnoezustände treten in unterschiedlichsten, teils variablen Schweregraden auf. Nicht immer zeigen sie hinsichtlich des tatsächlichen Bedrohungspotenzials eine sichere Korrelation zur subjektiv erlebten Intensität, da es stets um ein subjektiv erlebtes Gefühl geht.

Die akute Atemnotsymptomatik bedarf meist einer unmittelbaren Intervention, da sie sich rasch zu einem bedrohlichen Notfall entwickeln kann. Bei einer im Intervall rezidivierend auftretenden Dyspnoe bleibt aber meist genügend Zeit zur differenzialdiagnostischen Aufarbeitung.

Entstehungsmechanismen und Definition

Die verschiedenen und teils nicht exakt identifizierbaren pathophysiologischen Stimuli, die das Symptom Atemnot auslösen können, sind außerordentlich komplex. Grundsätzlich wird die Atmung durch eine Homöostase des Säure-Basen-Haushalts, also durch die Vermeidung von Hypoxie einerseits und Hypo-/Hyperkapnie andererseits gesteuert. Neben den daraus resultierenden Stimuli für die Atmungssteuerung können auch veränderte Spannungs- und Dehnungszustände der Atemmuskulatur zu einem Missverhältnis von Soll- und Ist-Zustand und somit zu Dyspnoeempfinden führen.

Das bedeutet, dass sehr unterschiedliche, rezeptorvermittelte Signale (z. B. durch Chemo- und Mechano-, Lungen- und Thoraxwandrezeptoren) für die Entstehung dieser Sensation verantwortlich sein können. Auch ein Missmatch von efferenten Signalen an die Atemmuskulatur und afferenten Rückmeldungen an den Cortex kann ein Gefühl von unzureichender Atmung induzieren. Es gibt also eine Vielzahl von Pathomechanismen, die eine Dyspnoe erklären können. Die aktuelle Definition von Atemnot der amerikanischen Thoracic Society ist in Kasten 1 zusammengefasst. Hier kann man leicht erkennen, dass subjektive Faktoren bei der Ausgestaltung des Symptoms ganz wesentlich beteiligt und daher bei der Gesamtbeurteilung zu berücksichtigen sind.

Vereinfacht lässt sich Atemnot als ein abnormales, unangenehmes Gefühl bei der Atmung beschreiben. D. h. der Patient verspürt "irgendwie" ein Zuwenig an Atemkapazität, und es ist unsere ärztliche Aufgabe, hierfür eine erklärende Rationale zu erarbeiten. Der im deutschen Sprachgebrauch verwendete Begriff "Atemnot" betont bereits semantisch die emotionale Komponente der erlebten Symptomatik. Die mit dieser Not häufig einhergehende Angst-/Paniksymptomatik verstärkt wiederum die Atemsensation negativ, z. B. durch unkoordinierte bis hin zu chaotisch ineffektiver Atmung. Eine Art Circulus vitiosus kann so entstehen.

Primärdiagnostik

Für die Erfassung und die Quantifizierung von Atemnot ist noch immer keine im klinischen Alltag anwendbare Diagnostik verfügbar, die Art und Ausmaß von Dyspnoe sicher erklären könnte. Atemnot ist also nicht messbar. Es zeigen sich häufig nur sehr schwache Korrelationen zwischen Dyspnoeintensität und Lungenfunktionsmessungen (z. B. FEV1). Gleiches gilt für die Pulsoxymetrie beziehungsweise die Blutgasanalyse. Daher gilt es zu akzeptieren, dass mitunter trotz umfangreicher Diagnostik für die geklagte Atemnot kein beweisendes Messkorrelat zu finden ist. Umgekehrt können ausgeprägte Veränderungen physiologischer Parameter (z. B. ausgeprägte Hypoxie, stark eingeschränkte Lungenfunktion) ohne wesentliches Dyspnoeempfinden auftreten. Normalbefunde schließen intermittierende Atemnot nie aus!

Im Rahmen der klinischen Untersuchung können Atemfrequenz, Auskultationsbefund der Lunge, Kreislaufparameter und klinische Zeichen einer kardio-pulmonalen Dekompensation (Zyanose, Ödeme, periphere Vasokonstriktion etc.) erfasst werden. In der Akutsituation kann die Pulsoxymetrie als diagnostische Minimalausstattung dann zu einer sinnvollen Ersteinschätzung des Bedrohungsgrades beitragen.

Atemnot besteht mitunter aber nur passager im Intervall und entzieht sich somit – bei häufig fehlender Reproduzierbarkeit – möglicherweise unserem diagnostischen Zugriff.

Dyspnoe-Anamnese – so einfach wie wichtig!

Pathophysiologisch sehr unterschiedliche Funktions- oder Organstörungen wie Lungenödem, Status asthmaticus, Lungenembolie, Aspiration, Hyperventilation, Glottisödem und vieles mehr können eine akute Dyspnoe mit unterschiedlicher Intensität und Qualität induzieren. Eine möglichst gute Beschreibung des Erlebten kann dabei wertvolle Hinweise auf die Genese liefern (vgl. Tabelle 1), wie etwa die beschriebene Manifestationsgeschwindigkeit/-dynamik. Hat sich die Atemnot schlagartig, perakut (z. B. Pneumothorax, Aspiration, funktionelle obere Atemwegsobstruktionen) oder über eine gewisse Dauer (wenige Minuten/Stunden) entwickelt (z. B. Asthmaanfall, Lungenstauung etc.)? Hat der Betroffene ähnliche Zustände in vielleicht geringerer Intensität mit gleicher Atemnotcharakteristik (z. B. COPD-Exazerbation) schon zuvor erlebt oder ist diese Form der Atemeinschränkung für ihn völlig neu (z. B. Lungenembolie, Glottisödem, Pneumothorax)?

Die Zuordnung der Atemlimitation zur In- oder Exspiration ist nicht immer durch Auskultation zu klären und sollte unbedingt erfragt werden. Wichtig kann auch die Angabe der Atemnotqualität sein. Liegt das Problem eher im Atmen gegen einen lokalisierbaren in- oder exspiratorischen Widerstand (z. B. Atemwegsobstruktionen)? Welchem Bereich des respiratorischen Systems ist diese Behinderung zuzuordnen (Hals/Trachea oder Thorax)? Besteht eher das Gefühl von quälendem Lufthunger (z. B. Herzinsuffizienz, Hyperventilation, Lungenfibrose)? Wird die Intensität der Dyspnoe von Körperlage und -haltung beeinflusst?

Akute und chronische Dyspnoe

Die häufigsten Auslöser für akute Dyspnoe sind in Tabelle 2 zu finden, die hier lediglich tabellarisch aufgelistet sind. Zur Diagnostik und Therapie dieser Störungen sei auf die entsprechenden Leitlinien verwiesen. Kurz skizziert werden in diesem Beitrag auch nur die akuten funktionellen Störungen im Bereich der oberen Atemwege, da diese noch relativ unbekannt sind und in vielen Lehrbüchern vielleicht noch keine ausreichende Erwähnung gefunden haben. Gerade die sogenannte Vocal Cord Dysfunction (VCD, paradoxe, mit Stridor einhergehende inspiratorische, atemnotinduzierende Adduktion der Stimmbänder) sollte auch der Hausarzt kennen.

Das klinische Bild kann Asthma bronchiale täuschend ähneln und meist werden die Attacken als bedrohlich imponierende Notsituationen wahrgenommen. Typisch für diese Form von Atemnotattacken ist die meist innerhalb kürzester Zeit (30 – 120 Sek.) eintretende Selbstlimitierung. Diese Anfälle sind nicht einfach reproduzierbar, so dass sie sich diagnostisch meist nur sehr schwer fassen lassen. Gerade bei der VCD kann aber eine subtile Anamnese mit Nutzung der "Sprache der Atemnot" einfach und schnell wegweisend sein. Im Alltag hat sich – falls situativ realisierbar – die Erfassung solcher Atemnotzustände mittels Smartphone-Videos als sehr hilfreich erwiesen.

Problematisch kann die Differenzialdiagnose der Dyspnoe auch dann werden, wenn sich neben einer vorbestehenden, atmungsbeeinträchtigenden Vorerkrankung eine zusätzliche Störung manifestiert, die zur Dyspnoe führt und auf die Vormedikation keine oder nur eine unzureichende Besserung zeigt. So kann z. B. eine zusätzliche Linksherzinsuffizienz wie auch ein kleiner Pneumothorax bei schwergradiger COPD eine starke, aber nicht COPD-Therapie- sensitive Dyspnoe auslösen. Ähnlich können akut entzündliche pulmonale Veränderungen eine vorbekannte COPD oder Lungenfibrose in eine scheinbar therapierefraktäre Atemdekompensation überführen. In solchen Fällen können Fragen an den Patienten hinsichtlich veränderter Atemnotqualität und -charakteristik hilfreich sein.

Medikamentöse Therapie und Maßnahmen bei akuter Atemnot

Auch bezüglich der krankheitsspezifischen medikamentösen und nicht-medikamentösen Therapieoptionen bei den Differentialdiagnosen sei hier auf entsprechende leitlinienkonforme Therapiestandards und -empfehlungen verwiesen. Bei Atemnot kommt neben den medikamentösen Ansätzen den oft nur am Rande erwähnten Begleitmaßnahmen eine wichtige therapeutische Bedeutung zu.

Da der Patient mit massiver Dyspnoe meist ängstlich/agitiert ist, finden sich regelhaft ineffektive Atemmuster mit Tachypnoe und Hustenattacken bei psychomotorischer Unruhe. Beruhigt man den Patienten durch Reduktion der Atemfrequenz, Betonung der Exspiration mittels Lippenbremse (vor allem bei obstruktiven Lungenerkrankungen) und Optimierung der Körperposition bei gleichzeitiger Sauerstoffgabe, ist in vielen Fällen schon eine Besserung zu erzielen. Die Indikation zur akuten Sauerstoffgabe kann der Arzt anhand einer Pulsoxymetrie stellen, wobei damit selbst bei verbesserter Oxygenierung das Gefühl der Atemeinschränkung oft unbeeinflusst bleibt. Bei VCD reicht in der Regel schon das Wissen um die zugrunde liegende Störung für die Patienten aus, um über spezielle, beruhigte Atemstrategien ("Throat relaxed breathing", also unangestrengtes vorsichtiges Einatmen) ihre zuvor als bedrohlich erlebten Atemnotattacken beherrschbar zu machen. Eine medikamentöse Behandlung ist bei reiner VCD nicht nötig, da wirkungslos.

Bei chronisch rezidivierender Atemnot kann eine individualisierte, medikamentöse und nicht-medikamentöse Therapie unter Berücksichtigung der vorliegenden Störungen meist die Symptomatik beherrschen oder zumindest lindern. Bei persistierender, quälender Dyspnoe, welche die Lebensqualität der Betroffenen massiv mindern kann, sollte man den frühzeitigen Einsatz niedrig dosierter, retardierter Morphinpräparate nicht scheuen – allerdings nicht erst bei Erreichen einer präfinalen Lebensphase. Bei Besserung kann man eine solche Morphintherapie durchaus wieder folgenlos beenden. Für Dyspnoepatienten ist die "Droge Arzt" übrigens oft ein wunderbares Therapeutikum, mit dem sich durch beruhigende Zuwendung die psychischen Komponenten dieses existenziell bedrohlichen Symptoms erheblich verbessern lassen.

Dyspnoe verstehen

Hinter akut als auch chronisch rezidivierend auftretender Dyspnoe kann sich eine Vielzahl von pathophysiologisch völlig unterschiedlichen Störungen verbergen.

Voraussetzung für eine erfolgversprechende Therapie ist die korrekte differenzialdiagnostische Einordnung des Problems, die im Einzelfall durchaus eine spannende Herausforderung für den Hausarzt sein kann. Dabei kommt dem exakten Hinterfragen dieses komplexen Leitsymptoms "Atemnot" mitunter besondere Bedeutung zu. Hier zeigen sich Analogien, die uns bei der Beurteilung von Schmerzbildern vertraut sind.

Gerade für den Patienten mit bedrohlich erlebter Atemnot ist – neben den notwendigen Medikamenten – zudem die beruhigende Einwirkung des Arztes von nicht zu unterschätzender Bedeutung. Bei unzureichendem oder fehlendem therapeutischem Effekt ist eine Co-Kausalität der Atemnot durch eine andere, nicht vorbekannte oder zuvor klinisch nicht relevante Zusatzerkrankung zu bedenken. In scheinbar therapieresistenten Einzelfällen kann es sinnvoll sein, die Vordiagnose auszublenden und eine ergebnisoffene Re-Evaluation dieser bislang nicht beherrschbaren Atemsymptomatik vorzunehmen. So können wir bei den uns anvertrauten Patienten unnötige Nebenwirkungen einer letztlich unwirksamen, gegebenenfalls sogar gefährlichen Therapieeskalation bei nicht korrekter Diagnose verhindern. Generell gilt: Wer die Atemnot verstanden hat, wird sie auch erfolgreich behandeln können.


Literatur:
1. Kenn., Notfallmedizin 28;2002:190-193
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5. Abernethy et al. BMJ Volume 327 6. 9/2013
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7. Kenn K, Balkissoon R. Vocal cord dysfunction: what do we know? Eur Respir J. 2011 Jan;37(1):194-200



Autor:

Prof. Dr. med. Klaus Kenn

Schön Klinik
Berchtesgadener Land
83471 Schönau am Königssee

Interessenkonflikte: Der Autor hat keine deklariert



Erschienen in: Der Allgemeinarzt, 2020; 42 (10) Seite 38-41