Was die Möglichkeiten der Prävention angeht, lässt sich der Diabetes in fünf Stufen einteilen, die im Folgenden näher erläutert werden sollen.

Nestor der deutschen Diabetologie
Wer kennt ihn nicht? Prof. Dr. med. Hellmut Mehnert ist seit über 50 Jahren auf dem Gebiet der Diabetologie aktiv. Auch heute noch hält der ehemalige Chefarzt der Medizinischen Klinik des Krankenhauses München-Schwabing Vorträge und leistet Aufklärungsarbeit. Auch auf der practica erfreuen sich seine Seminare gleichbleibender Beliebtheit. Das liegt daran, dass Mehnert Diabetesforschung so vermitteln möchte, dass sie auch für den niedergelassenen Allgemeinarzt umsetzbar ist. In diesem Sinne sind auch "Mehnerts Diabetes-Tipps" verfasst, die als Serie im Allgemeinarzt erscheinen und hoffentlich dazu beitragen, dass Sie Ihre Diabetes-Patienten besser betreuen können.

Während man früher primäre, sekundäre und tertiäre Prävention unterschied, hat es sich heute bewährt, besser fünf Stufen zu berücksichtigen.

Stufe eins

Eine normale Stoffwechselsituation ist keine Garantie dafür, dass – vor allem bei entsprechender genetischer Belastung – sich der Stoffwechsel nicht im Laufe eines Lebens zu einem Diabetes hin bewegt. Man sollte also schon im frühen Kindesalter mit der Prävention beginnen, indem man Kinder und Jugendliche anhält, sich vernünftig zu ernähren und ausreichend zu bewegen. In erster Linie soll dabei das Übergewicht vermieden werden. Die richtige Ernährung zu Hause, aber auch in der Schule ist bedeutsam, wobei letztere häufig durch Fastfood und Colagetränke, verabreicht durch den Hausmeister, erschwert wird. Keinesfalls sollte natürlich eine Anorexie entstehen. Die körperliche Aktivität ist ganz besonders wichtig. Man empfiehlt eine Mischung aus Kraft- und Ausdauertraining.

Stufe zwei

Hier handelt es sich um einen Prädiabetes anhand einer gestörten Nüchternglukose oder einer gestörten Glukosetoleranz (75 g OGTT). Man sollte bedenken, dass bei den über 35-Jährigen in Deutschland im Rahmen eines nicht ins Budget fallenden Check-ups auch eine Nüchternglukosebestimmung möglich ist. Dies sollte unbedingt wahrgenommen und gegebenenfalls durch einen HbA1c-Wert erhärtet werden. Zwischen 5,7 und 6,4 % kann man am ehesten noch von einem Prädiabetes sprechen, was in den USA etabliert ist, während man in Deutschland doch besser eine Glukosebelastung zur weiteren Diagnostik heranzieht. Auch der Gestationsdiabetes gehört in diese Stufe, an dem immerhin 4,4 % aller Schwangeren erkrankt sind.

Die Framingham-Studie hatte vor Jahren gezeigt, dass auch Prädiabetiker, also Patienten mit einer gestörten Glukosetoleranz, ein erhöhtes kardiovaskuläres Risiko aufweisen – nicht so hoch wie bei den manifesten Diabetikern, aber signifikant höher als bei Nichtdiabetikern. Man sollte also versuchen, durch die oben genannten Grundmaßnahmen zu erreichen, dass solche Patienten möglichst nicht manifest diabetisch werden bzw. dass sie vom Prädiabetes in das nichtdiabetische Stadium durch eine Reduzierung des Übergewichts zurückgeführt werden.

Stufe drei

In diesem Bereich liegt nun der manifeste Diabetes, der bei einem Nüchternblutzucker von über 126 mg/dl (7,0 mmol/l) bzw. einem HbA1c-Wert von 6,5 und mehr festgestellt worden ist. Selbstverständlich sollte bei einem hier ermittelten Typ-1-Diabetes sofort eine intensivierte Insulinbehandlung eingeleitet werden. Diese erfolgt ja mit mehreren Insulininjektionen am Tag bzw. mit der Insulinpumpe, die auch schon bei Kindern und Jugendlichen zunehmend eingesetzt wird. In Bayern, Sachsen und Niedersachsen werden bei Vorsorgeuntersuchungen von Kindern und Jugendlichen auch die Autoimmunmarker bestimmt, um im positiven Fall die Eltern auf einen womöglich drohenden Typ-1-Diabetes hinzuweisen. Bei Typ-2-Diabetes dominiert die Optimierung der Lebensweise mit Ernährungs- und Bewegungstherapie, die natürlich auch bei einer eventuell nötig werdenden medikamentösen Behandlung erforderlich bleibt. Man spricht von "Geschwistern" im Hinblick auf die Früherkennung und die Prävention.

Eine Harnzuckeruntersuchung kann bestenfalls als eine Art von Präscreening, aber keinesfalls zur Diagnose des Diabetes dienen. Diese wird allein mit dem Blutzucker- oder dem HbA1c-Wert gestellt. Man muss bedenken, dass zwischen Manifestation und Diagnose des Typ-2-Diabetes meist ein Abstand von mehreren Jahren besteht, sodass sich in diesem Zeitraum, in dem der Patient unbehandelt blieb, natürlich auch schon mikro- und makroangiopathische Schäden entwickeln konnten. Auch hier ist natürlich die Einleitung einer ernährungs- und bewegungstherapeutischen Behandlung unbedingt angezeigt, zumal ja 85 % der Typ-2-Patienten übergewichtig oder adipös sind und im Übrigen auch 50 % der Typ-1-Diabetiker im Laufe ihres Lebens übergewichtig werden.

Bei Typ-2-Patienten dominiert die Ernährungs- und Bewegungstherapie (s. o.), die aber auch die Grundlage für eine eventuell nötig werdende medikamentöse Behandlung darstellt. Hier sind nun zunächst die oralen Antidiabetika in Form von Metformin, Gliptinen und Gliflozinen oder dem zu injizierenden GLP1-Rezeptor-Agonisten bedeutsam. Metformin ist der ideale Kombinationspartner und wird hier zusammen mit den Gliptinen und erfolgreich auch mit den Gliflozinen als "Triple-Therapie" eingesetzt. Wenn dies nicht ausreicht, kommt die basalunterstützte orale Therapie (BOT) zu ihrem Recht, wobei als Basalinsulin eines der hervorragenden neuen Analoga (Glargin U100, Glargin U300, Degludec) genutzt werden sollte. Erfreulicherweise hat ja die Lebens- und damit die Diabetesdauer der Patienten ständig zugenommen; so könnte es dann auch im hohen Alter sogar zu einer intensivierten Insulintherapie kommen. Auf keinen Fall sollte man hier auf die notwendige Insulingabe verzichten, da der anabole Effekt des Hormons gerade auch in diesen späten Stadien besonders segensreich ist, wie es die so behandelten Diabetiker – nach anfänglicher Skepsis – dann immer wieder bestätigen.

Stufe vier

Im Wesentlichen gilt hier, was in Stufe drei bereits ausgeführt wurde. Man soll die Verschlechterung der Komplikationen vermeiden oder wenigstens bremsen. Wodurch zeichnet sich diese Phase der Erkrankung aus? Natürlich ist ein hoher Blutzucker zu vermeiden, da es ja zweifellos zu einem engen Zusammenhang zwischen Hyperglykämie und Gefäß- bzw. Nervenschäden kommt. Die Mikroangiopathie äußert sich besonders an der Netzhaut, an der Niere, aber auch am diabetischen Herzen. Bei massiven Schäden der Niere, besonders bei Typ-1-Patienten, kommt es nicht selten auch zu einer proliferierenden Retinopathie. Erfreulicherweise ist diese durch die Verbesserung der Therapie in ihrer Inzidenz zurückgegangen.

Stufe fünf

Das wichtigste Anliegen der Diabetesbehandlung ist die Vermeidung der Stufe fünf, die früher als Tertiärschaden bezeichnet wurde: Dialyse, Erblindung oder Amputationen gehören hierher. Auch der Herzinfarkt ist natürlich eine schwerwiegende Komplikation. Die Behandlung mit Stents ist bei Diabetikern dadurch erschwert, dass die Plaques in den arteriosklerotischen Gefäßen diffus und nicht wie bei Nichtdiabetikern häufig nur mit einer singulären Stenose auftreten. Trotzdem sollte man immer versuchen, die Stentbehandlung durchzuführen.

Man darf abschließend sagen, dass wir im Kampfe gegen die diabetischen Folgeschäden und im Kampfe für eine bessere Lebenserwartung und Lebensqualität der Patienten eine einzige scharfe und wirklich wichtige Waffe haben: die rechtzeitige und richtige Behandlung des Diabetes mit Bekämpfung von Hyperglykämie und Hypoglykämie, Dyslipidämie sowie Hypertonie.



Autor:

© Kirchheim
Prof. Dr. med. Hellmut Mehnert

Forschergruppe Diabetes e.V., 82152 Krailling

Interessenkonflikte: Der Autor hat keine deklariert.



Erschienen in: Der Allgemeinarzt, 2019; 41 (13) Seite 54-55