Gesetze jedweder Art setzen Veränderungen in Gang, deshalb sind sie geschaffen worden. Das Terminservice- und Versorgungsgesetz (TSVG) besitzt genügend Potenzial, um genau dies zu erreichen. Dass der Angriff auf die Freiberuflichkeit und die geringe Wertschätzung der Arbeits- und Lebensleistung von Ärztinnen und Ärzten durch die Politik fast schon Salonreife erlangt haben, ist ja seit Jahren nichts Neues.

Im TSVG nimmt eine Terminservicestelle, welche die Patienten 24 Stunden am Tag kontaktieren können, eine Schlüsselstelle ein. Hier werden Patienten von nichtärztlichem Personal nach einem anerkannten Einschätzungssystem an Ärzte vermittelt. Die Ursprungstatsache mit jahrzehntelanger Tradition, ein Patient geht mit Beschwerden zum Arzt, wird dort begutachtet und zweckdienlicher Therapie zugeführt, wird nun ad absurdum geführt! Wenn dann auch noch die Übernahme von Patienten, welche von der Terminservicestelle vermittelt werden, weitaus mehr finanzielle Mittel freisetzt als der Patient, der mit qualifizierter Überweisungsscheindiagnose vom Hausarzt an den Gebietsarzt geschickt wird, ergeben sich grundsätzliche Fragen.

Wer als Berufsgruppe über Jahre mindergeschätzt wird, wer gemaßregelt wird, wer erhebliche Einschränkungen seiner freien Berufsausübung hinnehmen muss, wird sich abwenden und innerlich emigrieren. Und das ist das Schlimmste, was der Gesellschaft passieren kann: Wenn ihre Ärzte das Vertrauen an die Selbstheilungs- und Erneuerungspotenziale des Systems verloren haben. Allein das Gefühl, immer mehr Staatsmedizin zu erfahren, erzeugt andere Handlungsweisen von Ärzten. Noch weigern wir uns, als Leistungserbringer bezeichnet zu werden, aber die Gesellschaft macht uns zunehmend allein dazu.

Wenn der Patient von der Politik wie ein Kunde in Gesundheitssysteme vermittelt wird, werden Verhaltensmuster inauguriert, welche auf ein Abarbeiten evidenzbasierter medizinischer Erkenntnisse abzielen, und eine Betreuung unserer Patienten mit Empathie, Mitleid, Zuwendung und persönlichem ärztlichem Interesse wird in den Hintergrund treten. Leidtragende sind die chronisch Erkrankten, ja auch häufig die unbeholfenen Patienten, welche auf die uneingeschränkte Zuwendung angewiesen sind. Da man Arztzeit nicht vermehren kann, ist es zwangsläufig, dass es Gewinner und Verlierer geben wird und sich viele ungeschriebene Gesetze im Behandlungszyklus unserer Patienten breitmachen werden. Und dies alles völlig ohne Not, da Deutschland Bequemlichkeitslücken aufweist, aber keine Versorgungslücken.

Was können wir als Ärzte und Freiberufler in dieser Situation tun? In erster Linie sind wir Ärzte unseren Patienten verpflichtet. Medizinisches Denken sollten wir voranstellen und auf die Lockangebote mit angeblich extrabudgetärem Geld verzichten. Wir sollten durch kreative Lösungen vor Ort, durch engeren Zusammenschluss aller Ärzte und klar definierte rote Linien diesen gesundheitspolitischen Irrwegen trotzen, für unser Selbstverständnis und für unsere Patienten!



Autor:

Dr. med. Hanjo Pohle

Facharzt für Allgemeinmedizin,
Vizepräsident der Landesärztekammer Brandenburg
03044 Cottbus

Erschienen in: Der Allgemeinarzt, 2019; 41 (11) Seite 5